Fachkräftemangel ist ein leidiges Thema in jeder Branche. Doch woran liegt es, dass talentierte Menschen über Bewerbungen, die ins Leere gehen klagen. Zwischen Ghost Jobs, Bewerbungsfristen und HR-Fehlern, wo entstehen die Probleme? Der Koch-Azubi, Herr J. S., der im Frühjahr 2025 seine Prüfung absolviert, bewirbt sich frühzeitig, um sich auf die Wintersaison und seine Prüfung zu konzentrieren. Er lernt in einem bekannten 4*+-Hotel, hat Abitur, eine Belobigung seiner Berufsschule und ein 1A-Zwischenzeugnis.
Er ist 22 Jahre alt und sendet eine schicke, klassische Bewerbungsmappe mit der Post. Im Anschreiben hat er vier Fragen, die man bitte vor einem Termin beantworten möchte. Er spricht, neben der üblichen Anrede, auch den Küchenchef mit Namen an. Die Mappen gehen am 10. Oktober 2024 an sieben Top-Adressen. So liegen diese am 14. Oktober 2024 zur Bearbeitung vor.
Hotel Baur au Lac, Zürich:
Am 14. Oktober kommt eine E-Mail ohne Ansprechpartner und ohne Ansprache. Man habe die Unterlagen „automatisch gelöscht“. Wie das mit einer Mappe funktioniert, erschließt sich uns nicht. Es wird nur auf die Homepage/Karriere verwiesen. Dort wirbt man mit Charming-Generation. Schräger geht’s nimmer. 1/10 Punkte
Rocco Forte The Charles, München
Auf eine eingesandte Mappe überhaupt nicht zu reagieren ist inakzeptabel. Ob das im Sinne von Herrn Beiglböck ist, mag bezweifelt werden. 0/10 Punkte
Hotel Bayerischer Hof, München
Am 24. Oktober fragt Herr S. bei zwei Mailadressen zum Stand nach. Auch hierauf keine Antwort. Vermutlich neuer Stil in München. Spätere Zeilen werden dies kommentieren. 0/10 Punkte
Althoff Seehotel Überfahrt, Rottach-Egern
Bereits am 14. Oktober bittet Fr. S. W. um zwei oder drei Terminvorschläge zum Probearbeiten. Standardsätze ohne jegliche Begeisterung. Personalunterkunft würde gestellt. Die weiteren Fragen werden nicht beantwortet. Wenn man schon zum „Probearbeiten“ einlädt, sollte man die Reisekosten (Bahn) übernehmen, wenn es dann zum Vertrag kommt. Am 20. sagt Herr S. ab, mit dem Hinweis, dass er dennoch 2025 ins Tal wechselt. Am 23. schreibt Frau S. W. dass sie nichts mehr gehört hätte und wünscht viel Erfolg. Auch sie versäumt eine Chance der Bindung. 4/10 Punkte
Das Tegernsee, Tegernsee
Ziemlich spät, am 23. Oktober schreibt Frau S. H. und bietet für eine Woche später zwei Termine an. Küchendienstpläne sind ihr wohl fremd. Alternativ ein Video-Call. Fragen werden nicht beantwortet. Statt Engagement Rechtschreibfehler. Der Bewerber schreibt zurück und bittet vorab um Beantwortung seiner Fragen und dass ein Termin im November realisierbar wäre. Seither herrscht Funkstille im Schloss. HR so lustlos, wie der Service im Sommer auf der Terrasse. 0,5/15 Punkte
Parkhotel Egerner Höfe, Rottach-Egern
Am 14. Oktober bittet Frau U. W. in einer freundlichen E-Mail um die Einverständniserklärung zum Datenschutz und sendet hierzu den Link. Sie bittet um Verständnis und sichert schnelle Bearbeitung zu. Bereits am 15. Oktober erhält Herr S. Antwort und die Telefonnummer von Frau D. B. um einen Termin auszumachen. Drei von vier Fragen werden beantwortet. Am 20. Oktober sagt der Bewerber ab und übermittelt, dass er dennoch ins Tal kommt, aber in ein anderes Haus. Frau U. W. bedauert am 23. Oktober diese Nachricht. Sie wünscht alles Gute und sagt die Retournierung der Mappe zu. Diese trifft am 25. Oktober ein. Insgesamt sehr gut, aber die Chance im letzten Kontakt leider auch versäumt. Bestes Ergebnis mit Glückwunsch und weiter so. 9/10 Punkte
Restaurant Haubentaucher, Rottach Egern
Herr Neuschmid schreibt am 17. Oktober, dass man momentan keinen Bedarf hat. Die Anfrage war aber für März 2025! Er behält die Mappe ein, wenn das “OK” wäre. Für später. Clever, so spart man Porto und Zeit. Statt Empathie Schreibfehler und ideenlos. 3/10 Punkte
Fazit: Fachkräftemangel, aber …
Fast alle klagen beim Thema Fachkräfte bzw. Mitarbeiter. In Konzernen sprechen wir von Human Capital Management. Welche Täuschung in der Hotellerie. Das war der 3. Test zu diesem Thema. Überwiegend miserabel. Die seit über 30 Jahren üblichen 08/15-Standardsätze könnte man heute dank KI aufpeppen. Dies aber setzt vorab menschliche Intelligenz und Willen voraus. Klar ist, dass die meisten Bewerbungen heute über die Homepage/Karriere kommen. Wenige durch persönliche Abgabe per Post. Klar ist auch das Thema Datenschutz. Dennoch: Egal wie die Bewerbung eingeht, erwartet der Bewerber mit gutem Recht eine zügige, persönliche und positive Reaktion mit Empathie und Wertschätzung.
Vor allem auch, wenn die Bewerbung besondere Mühe aufzeigt und eine hohe Motivation verspricht. In einigen 5*+ Häuser geht man wohl immer noch davon aus, dass ein Bewerber demütig und leicht gebückt durch die Katzenklappe vorstellig wird. Und weniger wegen der Wertschätzung, vielmehr des Zeugnisses wegen. Dieser auch hier bestätigte Umgang hat unserer Branche nachhaltig geschadet. Vorne werden Prominente, Reiche und Sternchen hofiert. Zeitgemäße Teampflege aber vernachlässigt. Konkrete Fragen nicht zu beantworten, wie nach der Küchen-Teamstärke, macht Unvermögen deutlich.
Wir wollen die HR-Mitarbeiter hier nicht generell an den Pranger stellen. In den letzten Jahren, auch bei den HR-Awards, haben wir hoch motivierte Mitarbeiter und Teams sowie innovative Ideenansätze kennen gelernt. Viele im HR machen einen guten Job. Aber leider sind es dennoch zu viele, die wie in der Steinzeit agieren. Und das, obwohl auch sie mit der Digitalisierung eine erhebliche Erleichterung erfahren haben. Wenn Teammitglieder fehlen, hat ein HR-Mitarbeiter nicht das Problem, dass er dies mit eigener Mehrleistung kompensieren muss. Er verlässt pünktlich sein Büro.
Empfehlung
Wenn eine hervorragende Bewerbung eingeht, sollte man das große Besteck auffahren. Können die HR-Mitarbeiter eine solche erkennen und werten? Wir haben heute Bewerbungen aus allen Teilen der Welt. In einem Wellnesshotel am Bodensee spricht die Küchencrew englisch. Monsieur Escoffier hätte da einen schweren Stand. Welchen Eindruck wollen wir den Interessenten vermitteln? Dünne Phrasen ohne Begeisterung und ohne Empathie sind ein Armutszeugnis. Die Retournierung der Mappe hätte 1,60 € gekostet. Klar, keine Pflicht. Hätte man aber nutzen können, um einen Gutschein für das Vertrauen beizulegen. Für ein späteres Treffen vielleicht. Das haben wir bei den Hotels im Tal getestet. Wurde nicht genutzt. Wir empfehlen den Executive Head Chefs, den Personalern ab und zu über die Schulter zu schauen.
Und seien Sie beim Vorstellungsgespräch mit dabei! Das HR sollte mit Controlling-Zahlen verknüpft werden, denn was wir in einigen HR-Büros sehen, ist wenig rühmlich. Bei allen eingehenden Bewerbern könnte man anfragen, ob sie regelmäßig eine Karriere-Newsletter erhalten wollen. So bliebe man in Kontakt, teilt Neueröffnungen und News mit. Der Bewerber hatte ja Interesse gezeigt, ggf. auch noch später. So hätte man eine beachtliche Pool-Datenbank an potenziellen Teammitgliedern, die man dann nur ein wenig pflegen müsste. Facebook ist hier kein Allheilmittel. Als wir kürzlich mit Klaus Kobjoll auch hierzu im Gespräch waren, hörten wir, dass Initiativbewerbungen immer noch in der Überzahl sind. Tatsächlich gelebte, zelebrierte und PR-gestützte Wertschätzung und Herzlichkeit seiner Teammitglieder zahlt sich eben aus.
Peter Rothenhäusler, ehem. Hoteldirektor und Partner der Beratungsgesellschaft Concertare im Bereich Servicequalität, nimmt exklusiv für first class Hotels unter die Lupe und deckt Schwachstellen auf.
Quelle: B&L Mediengesellschaft