Zu viele dicke Kinder und zu viel ungesundes Essen: Diese Ansichten halten sich im Diskurs hartnäckig. Der Oecotrophologe und Buchautor Uwe Knop räumt mit einigen Mythen auf und verrät, was aus seiner Sicht wirklich alarmierend ist. Das komplette Interview ist bereits in Schulverpflegung 1-2/2019 erschienen.
Ernährungsmythen
Der mündige Ess-Bürger – das ist das Ziel des Diplom-Oecotrophologen Uwe Knop. Er ist zudem Buchautor von Titeln wie „Kind, iss was … dir schmeckt“ und „intuitiv essen“. Er engagiert sich für die öffentliche Aufklärung rund um alle Mythen zur gesunden Ernährung. Der mündige Ess-Bürger soll intuitiv auf sich selbst und seine Körpergefühle Hunger, Lust, Sattheit und Verträglichkeit vertrauen. Mehr dazu im Interview.
Herr Knop, wie steht es um die Kinder-Ernährung in unserem Land?
Grundsätzlich bestens. Wir leben in Deutschland de facto in einem Schlaraffenland. Noch nie in der deutschen Geschichte gab es ein derart vielfältiges Angebot an nahezu allen Lebensmitteln und Mahlzeiten in bester Qualität, höchster Sicherheit und zu anständigen Preisen, die es jedem ermöglichen, auch mit kleinem Geldbeutel gut einzukaufen. Erziehungsberechtigte und Kita- bzw. Schulleiter müssen nur dafür Sorge tragen, dass die Kinder an diesem „Ernährungsparadies“ teilhaben können; das liegt in deren Verantwortung, da die Kinder noch zu jung sind, um sich selbst zu versorgen. Ergo gilt es, sowohl für Abwechslung und Vielfalt als auch für Frische und Genuss auf dem Teller der Kinder zu sorgen und dem Nachwuchs immer wieder neue kulinarische Erlebnisse zum Probieren anzubieten.
Es gibt Siegel, Standards, Empfehlungen, Forschungen und einen besorgten Mainstream, der glaubt, dass unsere Kinder immer dicker werden. Wie glaubwürdig ist das?
Das ist absolut unglaubwürdig. Insbesondere die „Generation dicke Kinder“, die immer wieder als Grund für den Aktionismus von Ernährungsaposteln herangezogen wird, existiert schlicht nicht. Sie ist ein künstliches Konstrukt der Panik-Propaganda. Laut der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Studie) waren im Jahr 2017 gerade einmal 5,9 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland fettleibig. Im Vergleich zu 2006 ist die Quote stabil geblieben: Das Robert-Koch-Institut konnte keinen Anstieg beobachten. Aktuelle Zahlen der Krankenkasse DAK liegen sogar noch weit darunter, konkret bei nur 3 %. Oder anders: 97 % des hiesigen Nachwuchses ist nicht fettleibig. Hinzu kommt, dass das Gros der adipösen Kinder und Jugendlichen in sozial schwachen Schichten lebt, oft mit Migrationshintergrund.
Wer den fettleibigen Kindern wirklich helfen will, der trommelt nicht öffentlich lautstark nach Zwangsmaßnahmen wie Zuckersteuer oder Werbeverbot, sondern investiert in lebensnahe Maßnahmen für sozial schwache Familien. Doch hier passiert nichts, genauso wenig wie am spindeldürren anderen Ende der Skala: Etwa doppelt bis dreimal so viele Kinder gelten als untergewichtig. Nur wird das öffentlich kaum thematisiert.
„Was bringt eine Schulmensa, die gesunde Mahlzeiten auf Basis von Zwangsregularien anbietet, die Kinder aber nicht essen, weil es ihnen nicht schmeckt und es letztlich im Müll landet? Gar nichts.“
Uwe Knop, Diplom-Oecotrophologe und Buchautor
Welche Beweise für gesunde Ernährung gibt es tatsächlich?
Solche Beweise existieren nicht und es wird sie auch niemals geben. Es ist unmöglich, dazu evidenzbasierte Aussagen zu treffen. Und das liegt schlicht und einfach daran, dass die Ernährungswissenschaft einem Blick in die Glaskugel gleicht. Denn aufgrund massiver Limitierungen der Datengrundlage, basierend auf unüberprüfbaren Eigenangaben der Probanden und beweisfreien Beobachtungsstudien kann dieser Forschungszweig keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen liefern, sondern nur statistische Zusammenhänge im Sinne von: „Bananen verlängern das Leben“. Das heißt, es fehlen sowohl Beweise für gesunde Ernährung im Allgemeinen als auch für spezielle Lebensmittel – und erst recht für einzelne Inhaltsstoffe.
Für Kinder existieren noch viel weniger Korrelationsstudien, meist noch mit widersprüchlichen Ergebnissen. Dadurch lassen sich keine Aussagen aufstellen für eine wissenschaftlich gesicherte Kinderernährung.
Wie sieht also gesundes Essen für Kinder aus?
Das ist sehr einfach: Wenn den Kindern ihr Essen schmeckt, sie sich darauf freuen und sich mit den ihnen angebotenen Mahlzeiten gerne satt essen. Sie sollten das Essen gut vertragen und es sollte ihnen ein gutes Gefühl geben. Alles, was sie nicht gerne essen und intuitiv ablehnen oder gar ausspucken, das kann nicht gesund sein, egal welche frei erfundenen Thesen Ernährungsprediger auch verbreiten.
Wie sollte gesunde Schulverpflegung definiert werden und was ist zu tun?
Wichtig ist nur eins: Was wollen die Kinder und was essen sie tatsächlich? Denn es geht nicht darum, das Mahlzeitenangebot gesunden Regeln zu unterwerfen. Essenziell ist, dass es den Kindern schmeckt und sie sich genussvoll satt essen.
Hier sind die Schulverpfleger gefragt, die Kinder zu befragen und das Angebot entsprechend zu gestalten – vielfältig, abwechslungsreich, lecker und idealerweise frisch zubereitet. Denn was bringt eine Schulmensa, die gesunde Mahlzeiten auf Basis von Zwangsregularien anbietet, die Kinder aber nichts essen, weil es ihnen nicht schmeckt und es letztlich im Müll landet? Gar nichts.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Quelle: B&L MedienGesellschaft