Im Dezember 2022 richteten 13 Experten aus Medizin und Ernährungswissenschaft einen Offenen Brief zur Ernährung im Krankenhaus an das Gesundheitsministerium sowie das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium. Die Forderungen des Offenen Briefs sowie Meinungen von Praktikern haben wir im Beitrag „Offener Brief zur Ernährung im Krankenhaus“ zusammengetragen. Was hat sich seither getan? Wir sprachen mit Niklas Oppenrieder, Gründer und Vorstandsvorsitzender, PAN International – Physicians Association for Nutrition e. V., der den Brief mit verfasst hat.
Herr Oppenrieder, haben Sie eine Antwort auf den Offenen Brief erhalten?
Wir haben eine ermutigende Antwort von Herrn Özdemir erhalten, der unsere Initiative sehr begrüßt und auf entsprechende Maßnahmen des BMEL hinweist. So unterstützt das BMEL ein Forschungsvorhaben zur Bewertung der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern, zudem sollen im Rahmen der neuen Ernährungsstrategie die DGE-Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung überarbeitet und bestenfalls verpflichtend etabliert werden. Für Letzteres sind allerdings die Länder bzw. die Träger verantwortlich.
Aus dem Gesundheitsministerium haben wir bisher trotz mehrfacher Anfragen keine Antwort erhalten. Dies deckt sich leider mit den Erfahrungen in unserem Netzwerk: Herr Lauterbach und sein Team scheinen für das Thema Ernährung im Gesundheitswesen enorm schlecht erreichbar zu sein.
Wie hat die Kliniklandschaft auf den Offenen Brief reagiert? Wie die Öffentlichkeit?
Bisher haben uns ausschließlich Zuspruch und viele Unterschriften aus Kliniken und dem Gesundheitswesen erreicht. In der breiten Öffentlichkeit rennt man mit dem Thema sowieso offene Türen ein. Gleichzeitig sind viele Verantwortliche in den Kliniken durchaus frustriert und glauben nicht an eine umfassende Unterstützung aus der Politik. Umso beeindruckender finde ich es, dass gerade eine Art Aufbruchstimmung entsteht und sich viele Kliniken selbst auf den Weg machen.
Sind nun anknüpfend an den Offenen Brief weitere Maßnahmen geplant, um auf die Problematik aufmerksam zu machen?
Wir arbeiten gemeinsam mit Partnern* an verschiedenen Maßnahmen, um das Thema ganz praktisch und auch politisch noch in diesem Jahr weiter voranzubringen. Der Offene Brief war definitiv erst der Anfang.
Das deutsche Gesundheitswesen soll bis 2030 klimaneutral sein. Kann dieses Ziel erreicht werden?
Im Bereich der Ernährung bin ich hier recht optimistisch. Wir können die Verpflegung bereits unter den jetzigen Bedingungen deutlich nachhaltiger gestalten, die Transformation beginnt schon vielerorts und ich denke, dass die Umsetzung der neuen Ernährungsstrategie diese Entwicklung weiter begünstigen wird.
Bezüglich einer gesamten Klimaneutralität des Gesundheitswesens bis zum Jahr 2030 bin ich dagegen leider sehr skeptisch. Hierfür gibt es meines Wissens nach bisher keine ausgearbeiteten Transformationspfade und die derzeitigen Bedingungen und Aktivitäten reichen – wie auch auf die Bundesrepublik übertragen – nicht aus. Der laut WHO größten Gesundheitsbedrohung der Menschheit muss mit deutlich mehr Ressourcen und Ambitionen begegnet werden. Größere Stellschrauben wären u. a. der Abbau der Überversorgung und ein deutlich größerer Fokus auf Prävention.
Ist eine nachhaltige und gesunde Verpflegung ausschließlich eine Frage des Budgets?
Zum Glück kann in den Küchen auch ohne zusätzliches Budget viel für Nachhaltigkeit und Gesundheit getan werden. Im Bereich Nachhaltigkeit ist die mit Abstand wirksamste Methode, um etwas für unser Klima und unsere Umwelt zu tun, die deutliche Reduktion tierischer Lebensmittel. Wenn diese überwiegend durch vollwertige, pflanzliche Grundnahrungsmittel ersetzt werden, wird das Budget entlastet und wir erzielen gleichzeitig einen gesundheitlichen Gewinn. Eine weitere effektive Methode, Planet und Geldbeutel zu schonen, ist die Reduktion von Lebensmittelabfällen.
Erst nach Umsetzung dieser wirksamsten Schritte sollte man sich meiner Meinung nach der etwas komplexeren und ggf. teureren Umstellung auf Bio-Produkte sowie solchen aus der Region widmen. Im besten Fall hat man mit den o. g. Schritten so viele Mittel eingespart, dass auch diese sinnvollen Maßnahmen finanziert werden können.
Eine klimafreundliche Verpflegung bedeutet auch, Ernährungs- und Kochgewohnheiten zu ändern. Wie offen sind Ihrer Erfahrung nach Verpflegungsverantwortliche, Patienten und Mitarbeiter für pflanzenbasierte Speisen?
Die kürzlich durch Nestlé veröffentlichte Studie zeigt, dass in Betriebsrestaurants und Universitätsmensen bereits eine große Offenheit diesbezüglich besteht. Mir liegen leider keine entsprechenden Daten zu Krankenhäusern vor; meiner Erfahrung nach zeigt sich aber auch hier eine deutlich wachsende Offenheit.
Die dennoch bestehende Skepsis scheint vor allem durch Sorgen um die Zufriedenheit bzw. Beschwerden von Patienten begründet zu sein. Hier kann sich mehr Mut definitiv auszahlen, denn es häufen sich in letzter Zeit vor allem positive Berichte, so z. B. ein O-Ton der bayerischen Küchenleiter-Tagung: „Und dann haben wir den vegetarischen Tag eingeführt – und gar nix ist passiert, alle fanden es lecker.“ Bei PAN starten wir gerade ein Projekt, um Krankenhäuser zu unterstützen, Mitarbeiter und Patienten zu gesunder und nachhaltiger Ernährung zu informieren und pflanzenbasierte Gerichte anzubieten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Offener Brief zur Ernährung im Krankenhaus
Über 4.000 Unterzeichner zählt der Offene Brief zur Ernährung im Krankenhaus bereits. Sie möchten die Bestrebungen und Forderungen ebenfalls unterstützen? Der Offene Brief kann auf der Webseite des PAN International gelesen und unterzeichnet werden.
(*Genderschreibweise von der Redaktion geändert)
Quelle: B&L MedienGesellschaft