Rund 17 Prozent der von Krankenhäusern verursachten Treibhausgasemissionen entfallen auf die Verpflegung von Patienten und Mitarbeitern; Verantwortlich dafür sind vor allem Fleisch und andere tierische Lebensmittel. Um diesen negativen Umwelteinfluss zu reduzieren, hat das Universitätsklinikum Essen die Green Hospital Food-Initiative gegründet. Das Ziel: Patienten und Mitarbeiter künftig mit pflanzenbasierten und umweltfreundlichen Speisen nach den Empfehlungen der Planetary Health Diet zu verpflegen.
Ziele abgesteckt
Den Startschuss für den Transformationsprozess gab eine Umfrage unter Mitarbeitern und Patienten, um Erwartungen an die Verpflegung abzufragen. Das Ergebnis:
- Dass die Speisen gesund und schmackhaft sind, ist den Befragten besonders wichtig;
- ebenso, dass Tierwohlkriterien berücksichtigt werden.
- Eine Mehrheit – 57 Prozent der Patienten und 63 Prozent der Mitarbeiter – ist laut Umfrage bereit, ihren Fleischkonsum zu reduzieren oder tut dies bereits.
Ziel 1: Fleischangebot sukzessive verringern
Eine wichtige Maßnahme der Initiative ist es daher, das Fleischangebot schrittweise zu verringern mit dem Ziel, mittags nur noch an drei Tagen pro Woche Fleisch anzubieten. Damit folgt das Universitätsklinikum den Empfehlungen der DGE. Zusätzlich sollen die angebotenen Fleischmengen entsprechend den Vorgaben der Planetary Health Diet angepasst werden.
Ziel 2: Lebensmittelabfälle reduzieren
Ein weiteres Ziel ist es, Lebensmittelabfälle um mindestens 30 Prozent zu reduzieren. Um hierfür zielführende Maßnahmen zu entwickeln, wurde eine umfangreiche Messung der Speiserückläufe zusammen mit Green Guides durchgeführt und die Ergebnisse in einem Workshop evaluiert. Der effizientere Einsatz von Lebensmitteln sowie die Reduktion von Fleisch eröffnen im oft knappen Verpflegungsbudget von Krankenhäusern Potenziale für ökologisch erzeugte Lebensmittel. Diese sollen ebenso wie regionale Ware Einzug in das Projekt finden, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt.
Zunächst liegt für die Projektgruppe Green Hospital Food der Fokus auf pflanzenbasierten, also vegetarischen und veganen, Speisen, da dadurch ein entscheidender Umweltvorteil gehoben wird – denn wie Studien belegen, entsteht ein Großteil der ernährungsbedingten CO2-Emissionen vor allem bei der Produktion der Lebensmittel, nicht aber bei deren Transport.
„Größten Stellenwert hat für uns die Entwicklung neuer Rezepturen mit dem Fokus auf die rein pflanzliche Küche.“
Claudius Frickenhaus, Küchenleiter am Universitätsklinikum Essen
Menülinie für Mitarbeiter
Folglich wurde zusammen mit dem Cateringunternehmen Klüh, verantwortlich für die Verpflegung von Patienten und Mitarbeitern am Klinikum, die neue Menülinie „Pflanzenbasiert“ eingeführt. Sie umfasst ausschließlich pflanzliche Gerichte und wird zunächst nur in der Mittagsverpflegung für Mitarbeiter angeboten. Um Feedback zur neuen Linie zu erhalten und diese ggf. an Gästewünsche anpassen zu können, geht in der Einführungsphase mit jedem Teller auch ein Kärtchen über die Theke, mit der Möglichkeit, das Essen mit Noten zu bewerten sowie Anregungen und Vorschläge zu kommunizieren.
Nachhaltige Nudges
Um den Wandel in der Verpflegung anzustoßen, wurden zu Projektbeginn verschiedene Nudging-Maßnahmen eingeführt:
- Speiseplangestaltung: An erster Stelle im Speiseplan steht nicht mehr das klassische Vollkostgericht mit Fleisch, sondern das nach den Maßstäben der Planetary Health Diet nachhaltigste Gericht.
- Umweltscore: Die Speisen in der Mitarbeiterverpflegung sollen zudem im Laufe des Jahres mit einem Umweltscore versehen werden, um über die konkreten Umweltauswirkungen des jeweiligen Gerichts zu informieren. Berechnet wird der Umweltscore in Zusammenarbeit mit Eaternity. Die Menüs erhalten im Anschluss kleine Wolken in Ampelfarben.
- Veggie-Tage: Schrittweise sollen Tage eingeführt werden, an denen die Mittagsverpflegung ganz fleischfrei ist.
- Menübestellung: Die Menübestellassistenten werden wiederholt geschult, durch die Art der Fragestellung die Wahl der Patienten hin zur nachhaltigen und gesünderen Option zu lenken.
Weitere anvisierte Maßnahmen, um den Veggie-Anteil weiter zu erhöhen:
- Zugangsessen sind ausschließlich pflanzenbasiert.
- Reduktion der zur Auswahl stehenden Menüs.
- Pflanzenbasierte Option als Standard, nur wenn der Patient explizit nach Fleisch fragt, wird dieses angeboten. Hier dient das Projekt „Greener by Default“ aus New York als Vorbild, bei welchem elf Krankenhäuser genau dies umsetzten.
Rezepturen für Green Hospital Food entwickeln
Für die neue Mitarbeiter-Menülinie und die pflanzlichen Patientenessen reicht es nicht aus, Rezepturen nur anzupassen. „Größten Stellenwert hat für uns die Entwicklung neuer Rezepturen mit dem Fokus auf die rein pflanzliche Küche“, betont Claudius Frickenhaus, Küchenleiter am Universitätsklinikum Essen. So arbeitet die Projektgruppe derzeit an 90 neuen Rezepten für die Mitarbeiter- und Patientenverpflegung. Die Köche an deren Entwicklung zu beteiligen, sei ein essenzieller Bestandteil, damit auch das Küchenteam den Transformationsprozess mitträgt. „Ein Koch, der selbst an einer Rezeptur basteln darf, ist viel motivierter als einer, der sie nur vorgesetzt bekommt“, erklärt der Küchenchef weiter. Für alle Köche gab es daher auch eine Lehrküchenveranstaltung von ProVeg Food Services. Ein weiterer wichtiger Faktor: positives Feedback – und das kommt zum einen über die Feedback-Karten der Pflanzenbasiert-Menülinie aber auch vom Vorstand des Klinikums, der das Projekt wiederholt mit Lob bedenkt.
„Im Casino ist eine erhöhte Bereitschaft, pflanzliche Gerichte zu probieren, zu erkennen. Vor ein paar Jahren war das noch anders.“
Claudius Frickenhaus
Ziel der neuen Rezepturen ist es, u. a. den Hülsenfruchtanteil in der Verpflegung zu steigern. Das pflanzliche Angebot soll damit sukzessive ausgebaut und Fleischgerichte ersetzt oder optimiert werden. Die Mitarbeiter stützen das Vorhaben bereits: „Im Casino ist eine erhöhte Bereitschaft, pflanzliche Gerichte zu probieren, zu erkennen. Vor ein paar Jahren war das noch anders“, beobachtet Claudius Frickenhaus.
Herausforderung Kalkulation
Eine Stellschraube, an der bei der neuen Menülinie noch justiert werden soll, ist der Preis. „Tofu, Planted Chicken, Pflanzendrinks etc. sind im Zukauf nicht günstig. Das muss sich erst noch entwickeln“, prognostiziert Juliane Dreier, Regionalleiterin Klüh Catering. Die Gäste würden jedoch Ersatzprodukte fordern, meint Claudius Frickenhaus. Sieben Tage Linsensuppe anzubieten, sei keine Lösung. Mit den neuen Rezepten will man daher weg von teuren, hochverarbeiteten Ersatzprodukten, hin zu gesunden pflanzenbasierten Eigenentwicklungen. Langfristig ist auch eine Subventionierung der pflanzlichen Gerichte, also eine preisliche Lenkung der Gäste zusätzlich zu den bereits genannten Nudges geplant.
Herausforderung Beschaffung
Das Projekt Green Hospital Food soll ohne zeitliche Limitierung fortwährend weiterlaufen. Eine Herausforderung wird noch sein, die Beschaffung auf eine nachhaltige Verpflegung umzustellen. Aufgrund längerer Lieferzeiten muss die Disposition angepasst und die Vorplanung verbessert werden. „Manche Produkte wie Pflanzendrinks bekommt man nicht just in time. Die Frage ist: Brauchen wir just in time? Hier müssen wir prüfen, welche Veränderungen zukünftig hinsichtlich Lagerhaltung notwendig sind“, erklärt Juliane Dreier. Die mitunter größte Herausforderung ist jedoch die finanzielle Situation in der Verpflegung in Krankenhäusern. Um diese zu erleichtern, hat Dr. Kristin Hünninghaus, die das Projekt operativ und wissenschaftlich leitet, zusammen mit anderen Medizinern zu Projektbeginn einen offenen Brief an die Politik verfasst. Ziel ist eine bessere Vergütung für die Ernährung im Krankenhaus. Aktuell wird diese von den Krankenkassen als nicht-medizinische Leistung abgerechnet.
Mit den während des Projekts gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen will das Universitätsklinikum Essen eine evidenzbasierte deutschlandweite Vorbildfunktion einnehmen. Die Erfahrungen sollen schließlich auf andere Krankenhäuser und Kliniken übertragen werden können und auch eine Einflussnahme auf die Politik ermöglichen – schließlich soll das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden.
Ernährung im Krankenhaus – quo vadis?
Ende 2022 ging ein Offener Brief zur Ernährung im Krankenhaus an das Gesundheitsministerium sowie das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium. Gab es eine Rückmeldung? Und wo steht die Verpflegung in Krankenhäusern derzeit? Niklas Oppenrieder, Gründer und Vorstandsvorsitzender, PAN International – Physicians Association for Nutrition e. V., der den Brief mit verfasst hat, klärt im Interview offene Fragen.
Quelle: B&L MedienGesellschaft