Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ist seit Dezember 2021 Cem Özdemir. Er ist als Mitglied der Bundesregierung für die Ausrichtung der deutschen Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik verantwortlich. Das Bundeskabinett hat Ende 2022 ein Eckpunktepapier „Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung“ verabschiedet. Das Papier beschreibt die Relevanz der Ernährungsgewohnheiten in Deutschland mit Blick auf Gesundheit, Umwelt und Klima sowie soziale Gerechtigkeit und bekennt sich vor diesem Hintergrund zu internationalen und europäischen Abkommen im Bereich Klimaneutralität und Ernährungsgerechtigkeit.
Cem Özdemir im Interview
Kritiker – wie das Bündnis #ErnährungswendeAnpacken, das auch das Deutsche Netzwerk Schulverpflegung e. V. (DNSV) unterstützt – bemängeln jedoch, dass der Ernährungsstrategie konkrete Ziele sowie ein Budget für die Umsetzung fehlen. Grund genug, um bei Cem Özdemir nachzufragen.
Herr Özdemir, das Bundeskabinett hat die Eckpunkte für eine Ernährungsstrategie beschlossen. Was ist das Ziel der Strategie?
Mit einem Satz gesagt: Wir wollen eine gute, gesunde und nachhaltige Ernährungsweise so einfach wie möglich machen – und zwar unabhängig von Geldbeutel, Alter oder Herkunft. Dafür braucht es bessere Rahmenbedingungen! Die Ernährungsstrategie soll besonders Kinder in den Blick nehmen – ich muss da immer an den Spruch denken: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Da ist viel Wahres dran. Je früher wir vermitteln, dass gutes und gesundes Essen schmeckt, desto besser!
Aber auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte oder weniger Geld haben wir auf dem Schirm – gerade letztere sind mehr von den sogenannten Volkskrankheiten wie etwa Adipositas, Bluthochdruck oder Herzinfarkten betroffen. Das hat viel damit zu tun, wie man sich ernährt. Die Corona-Pandemie hat diese gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland weiter verschärft. Kinder aus einkommensschwachen Familien leiden doppelt so oft unter Übergewicht wie Kinder aus einkommensstarken Familien.
Um welche Schwerpunkte wird es dabei gehen?
Obwohl der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch sinkt, essen wir in Deutschland noch immer mehr als uns gut tut – vor allem die Männer, die Frauen sind da etwas schlauer. Damit schaden wir nicht nur unserer eigenen Gesundheit, sondern auch den Tieren, der Umwelt und dem Klima. Deshalb wollen wir den Zugang zu einer pflanzenbetonten Ernährung mit einem hohen Anteil an möglichst unverarbeiteten, regionalen und saisonalen Lebensmitteln verbessern. Das heißt ganz konkret: Erdbeeren sind im Juni erschwinglich, lecker und unterstützen die regionale Landwirtschaft – im Dezember trifft das nicht mehr zu.
Aber auch bei Fertigprodukten müssen Zucker, Fette und Salz reduziert werden. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt einzuschränken. Werbung hat bei Kindern ein leichtes Spiel. Das Übergewicht, das im Kindesalter entsteht, bleibt oft ein Leben lang und kann weitere Krankheiten zur Folge haben.
„Wir wollen den Zugang zu einer pflanzenbetonten Ernährung mit einem hohen Anteil an möglichst unverarbeiteten, regionalen und saisonalen Lebensmitteln verbessern.“
Cem Özdemir
Welche Rolle kommt dabei der Gemeinschaftsverpflegung zu, welchen Platz nimmt die Kita- und Schulverpflegung ein?
Die Gemeinschaftsverpflegung ist ein wirkmächtiger Hebel, um Erfahrungen mit gutem Essen in die Breite zu tragen. Täglich essen sechs Millionen Menschen auswärts – etwa in Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Kantinen oder Mensen. Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung sollen deshalb gesünder und nachhaltiger werden und die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einhalten. Es hat ja auch etwas mit Wertschätzung zu tun, wenn hart arbeitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich darauf verlassen können, in der Kantine gutes Essen zu bekommen. Es sollte auch selbstverständlich sein, dass wir in Krankenhäusern gutes Essen bekommen, damit wir schnell wieder gesund werden.
Und wir tun uns als Gesellschaft einen großen Gefallen, wenn wir unseren Kita- und Schulkindern ein gesundheitsförderndes und abwechslungsreiches Essensangebot machen. Wenn Kinder früh lernen, was gutes Essen ist, wie das schmeckt und bestenfalls: wie das zubereitet wird, dann ernähren sie sich auch als Erwachsene besser und gesünder. Um dies zu fördern, plant mein Ministerium unter anderem einen Modellregionenwettbewerb.
Die Qualität einer Mensa bemisst sich an der Akzeptanz der Schüler, deshalb ist ein Perspektivenwechsel notwendig, weg von der Schul- hin zur Schülerverpflegung. Ist es nicht an der Zeit entsprechende Finanzen dafür ins System zu geben?
Wir müssen uns als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt fragen, welche Prioritäten wir setzen. Kinder sind das Wertvollste, was wir haben – und das sollte uns dann auch etwas wert sein. Wir müssen weg von dem Grundsatz: Hauptsache günstig. Das ist nicht nachhaltig – und im Zweifelsfall essen es die Kinder auch nicht. Als Vater von zwei Kindern kann ich davon ein Lied singen.
Wie sind Ihre Erinnerungen an Ihre Schulzeit und das Schulessen?
Ich wünschte mir, dass es damals schon gute Mahlzeiten in der Schule gegeben hätte. Die Realität sah leider anders aus. Meine Eltern haben als türkische Gastarbeiter in der Fabrik gearbeitet und ich bekam abgezählt etwas Geld, um mir davon nach der Halbtagsschule ein Mittagessen zu kaufen – in der Regel Rote Wurst und Pommes. Gesund war das mit Sicherheit nicht, aber es hat mir zum Glück nicht nachhaltig geschadet. (lacht)
Mich hat diese Erfahrung allerdings sensibilisiert: Wie wir uns ernähren, ist leider auch eine soziale Frage. Essen entscheidet mit über faire Lebenschancen. Das ist meine Motivation, nicht nur der Bundesminister für Ernährung zu sein, sondern der Minister für gutes Essen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: B&L MedienGesellschaft