Al Capone, einer der berüchtigtsten Verbrecher Amerikas, betrachtete sich als „öffentlicher Wohltäter“, der missverstanden wurde. In seinem 1936 erschienen Buch „How to Win Friends and Influence People“ beschreibt Dale Carnegie das Selbstbild von Mördern und Mafiosi, um seine These zu untermauern: Menschen üben selten Selbstkritik, rea-gieren auf Kritik mit Ablehnung – und sehnen sich nach Anerkennung. Diese Einsicht erleichtert das Verständnis vieler Vorgänge auch heute.
Nachhaltige Gastronomie für das Gemeinwohl
In Politik und öffentlicher Debatte erleben wir eine Täter-Opfer-Umkehr: Diejenigen, die Verantwortung übernehmen, werden als Bedrohung inszeniert – als „Verbotsfanatiker“ und „Spinner“, die „nicht mehr alle Tassen im Schrank haben“. Gleichzeitig inszenieren sich jene, die unsere Lebensgrundlagen zerstören, als Opfer – als neutrale Mitte und Stimme der Vernunft. Das funktioniert, weil sich niemand moralisch unterlegen fühlen möchte. Wenn Unbehagen aufkommt, suchen viele lieber Schuldige als Ursachen. So fällt die Erzählung, dass nicht soziale Ungleichheit oder ökologische Misswirtschaft das Problem seien, sondern diejenigen, die darauf hinweisen – oder „die anderen“, beispielsweise Migranten – auf fruchtbaren Boden. Man kann weitermachen wie bisher.
Weswegen sich diese Geschichte so gut verkauft? Sie spielt im Heute, nicht in einer ungewissen Zukunft. Sie verspricht sofortige Verbesserung – auf Kosten anderer. Und sie funktioniert langfristig: Wenn sich keine Verbesserung einstellt, liegt es daran, dass man nicht entschlossen genug gegen die „Spinner“ und „die Anderen“ vorgegangen ist. Wir wissen natürlich, dass diejenigen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, weder Täter noch Opfer sind. Aber es fehlt in der Regel eine positive und vor allem einfache Gegenerzählung – eine, die nicht nach Verzicht oder Zukunftsmusik klingt.
Nachhaltige Gastronomie ist klar im Vorteil
In der Gastronomie gelingt das besser. Zwar zeigt sich auch hier, wenn auch immer seltener und immer milder, das Muster der Täter-Opfer-Umkehr: Wer nachhaltig denkt, pflanzlich kocht oder Bio einkauft, wird schnell als dogmatisch oder elitär abgestempelt. Gerade wer aus ethischen Beweggründen nachhaltig handelt, bringt ungewollt das schlechte Gewissen der anderen zum Klingen – und wird damit zur Zielscheibe.- Wir kommen selten damit klar, wenn andere moralisch fortschrittlicher sind.
Dennoch: Die nachhaltige Gastronomie ist klar im Vorteil. Sie kann eine Geschichte erzählen, die sich im Hier und Jetzt abspielt und nicht erst „für unsere Kinder“ relevant wird. Eine Geschichte, die emotional berührt, weil sie nicht nur rational darstellen kann, welche Vorteile sie für Klima, Artenvielfalt, Gesundheit und die Tiere mit sich bringt. Eine Geschichte, die alle verbindet – über Altersgruppen, Milieus und Lebensstile hinweg.
Viele nachhaltige Restaurants sind bereits heute reale, sinnliche Orte, die zeigen, wie der Alltag aussehen kann, wenn gutes Essen, faire Bedingungen und ökologische Verantwortung zur Normalität geworden sind. Wer hier isst, kostet ein Stück Zukunft – heute. Ob das Zukunftsbild mediterran, regional oder fusion-cuisine ist – entscheidend ist: Es ist spürbar da. Nachhaltige Gastronomie darf, nein, muss Spaß machen. Sie lädt ein, gemeinsam zu feiern, was morgen selbstverständlich sein wird – und verankert Nachhaltigkeit damit emotional in der Gegenwart.
Gastronomen, die diesen Weg gehen, sollten selbstbewusst sagen: „Wir sind viele. Und wir zeigen gemeinsam, wie es anders geht.“ Denn sie sind keine zufälligen Einzelfälle, sondern die neue Normalität. Diese neue Normalität braucht Sichtbarkeit. Denn Menschen orientieren sich an dem, was andere als normal, schön und begehrenswert vorleben?
Gelebte Praxis
Nachhaltige Gastronomie kann nicht nur erklären, was richtig wäre – sie zeigt, wie es schmeckt, riecht und sich anfühlt, wenn man Verantwortung lebt. Hier ist die Zukunft in der Gegenwart erlebbar. Denn nachhaltige Gastronomie verbessert die Lebensqualität aller: für die Menschen, die darin arbeiten, für die Gäste, die mit gutem Gewissen genießen, für die Umwelt, deren Ressourcen geschont werden, und für die Tiere, die leben dürfen.
Sie schafft Resonanz. In anderen Branchen. In der Gesellschaft. In der Politik. Und genau dadurch wird möglich, was heute verdreht erscheint: Dass die, die sich für das Wohl aller einsetzen, nicht belächelt, sondern gefeiert werden.
Quelle: Balázs Tarsoly/Branding Cuisine

Balázs Tarsoly
ist Geschäftsführer von Branding Cuisine, Restaurantmarken-Experte und Autor der Bücher „Zukunftsküche – Nachhaltigkeit als Erfolgsrezept für die Gastronomie“ und „CO2lution – Gemeinsam. Klima wandeln. Jetzt.“ Als Kreativer sieht er sich in der Verantwortung, sein Designerdenken und Verständnis für Food, Branding und Nachhaltigkeit einzusetzen, um den Wandel hin zu einer enkeltauglichen Ernährungswirtschaft mitzugestalten und voranzutreiben.