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Digital zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen

Mit ihrem Wissen rund um Produkt- und Service-Design setzt Olga Graf sich schon immer für mehr Nachhaltigkeit ein – seit 2012 insbesondere für nachhaltige Lebensmittelsysteme. Als Head of Sustainability im Food Service Innovation Lab von Dussmann Service Deutschland arbeitet sie gemeinsam mit Christian Hamerle und dem Team an der Vision den Weg der Lebensmittel vom Acker bis zum Teller bzw. „from soil to cell“ nachverfolgbar zu machen.

„Wir müssen digitale Tools so einsetzen, dass wir nachhaltige Lebensmittelsysteme skalieren können, ohne dabei den Menschen aus dem System zu rationalisieren, nur weil es langfristig günstiger sein könnte, weniger menschliche Arbeitskraft einzusetzen.“

Olga Graf

Wir haben mit ihr gesprochen über:

  • die aktuellen Rohstoffengpässe und die harte Lehre daraus
  • die Chancen, die sich daraus für die regenerative Landwirtschaft ergeben
  • den Beitrag der Digitalisierung (Stichwort Blockchain) zum Thema nachhaltige Lebensmittelsysteme
  • erste Ansätze wie sich der Weg der Lebensmittel vom Acker, über die Verarbeitung zum Teller bis hin zum Menschen (Stichwort Ernährung) transparent darstellen lässt

„Aktuell sind wir teilweise darauf angewiesen, welche Daten unsere Großhändler von den Produzierenden erhalten haben. Es sind also viele Abhängigkeiten vorhanden, die in Zukunft über Systeme mit Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und IoT gelöst werden können.“

Frau Graf, sehen Sie in den aktuellen Rohstoffengpässen ein Hindernis oder eher eine Chance – Stichwort Regionalität – für nachhaltige Lebensmittelsysteme?

Beides. Akut ist es ein lähmendes Hindernis, weil wir als Gesellschaft nicht darauf vorbereitet waren. Gleichzeitig ist es wichtig, die Rohstoffengpässe differenziert zu betrachten: In Deutschland leiden wir weniger darunter als Länder, in denen die Lebensmittelsicherheit durch die aktuellen Ausfälle der Getreide- und Saatenlieferungen grundlegend gefährdet ist. Nichtsdestotrotz haben uns auch in Deutschland seit 2018 der Klimawandel, die Pandemie und der Ukrainekrieg gezeigt, wie fragil unsere Lieferketten sind und wie schnell wir die Auswirkungen zu spüren bekommen. Auch wenn das eine harte Lehre ist, ist es tatsächlich auch eine große Chance, die uns weltweit den Weg weist, viele Systeme neu zu denken.

Dass Regionalität auch mehr Resilienz bedeutet, wussten wir. Jetzt müssen wir schauen, wie wir als Gesellschaft wirklich regionaler werden, wie wir akut Abhilfe schaffen und welche Systeme zukunftsweisend sind.

Olga Graf, Head of Sustainability, Food Service Innovation Lab (Quelle: Graf)

Wo genau liegen die Chancen?

Wir haben jetzt die Möglichkeit unsere Landwirtschaft regenerativ zu gestalten, den Boden mit jeder Ernte etwas mehr aufzubauen, anstatt ihn auszulaugen, und eine maximale Vielfalt auf die Äcker zu bringen, die schlussendlich auf unseren Tellern landet. Einige Pioniere, wie Hof Lebensberg, Gut & Bösel oder Wilmars Gärten arbeiten beispielsweise mit Hochdruck daran Agroforstsysteme im deutschen landwirtschaftlichen Kontext machbar und wirtschaftlich zu machen. In Zukunft wird es die Aufgabe vom Food Service Innovation Lab sein, mit solchen Innovationsbündnis-Partnern Kooperationen aufzubauen.

Was verbirgt sich hinter einem Agroforstsystem?

Im Gegensatz zum monokulturellen System sind hier Obst- und Gemüseanbau, Viehzucht, Saaten- und Getreidewirtschaft auf kleinen oder großen Flächen eng miteinander verwoben. Das Ergebnis ist eine große Vielfalt an Erzeugnissen von einem Acker.

Braucht es (mehr) Digitalisierung für durchgängig nachhaltige Lebensmittelsysteme?

Definitiv. Vor allem braucht es die richtige Digitalisierung und Technologisierung an den richtigen Stellen. Es darf nicht darum gehen, alles der Innovation wegen zu digitalisieren.

Wir müssen digitale Tools so einsetzen, dass wir nachhaltige Lebensmittelsysteme skalieren können, ohne dabei den Menschen aus dem System zu rationalisieren, nur weil es langfristig günstiger sein könnte, weniger menschliche Arbeitskraft einzusetzen.

Also wird der Mensch trotz Digitalisierung nicht „überflüssig“?

Wenn wir Digitalisierung ethisch-moralisch denken, dann können wir sinnvoll dem Fachkräftemangel entgegenwirken und gleichzeitig Berufe in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie attraktiver machen. Wir schaffen damit mehr Transparenz und damit mehr Wertschätzung für Lebensmittel und die Arbeit, doch braucht es immer den Menschen im System, der emotional und authentisch die Geschichten aus der Lebensmittelwertschöpfung heraus vermitteln kann.

Gibt es bereits Beispiele, bei denen die Digitalisierung der Wertschöpfungskette ethisch-moralischen Mehrwert bringt?

Das Startup Seedtrace zeigt, wie man mit Blockchain-Technologie Transparenz nicht nur über die Herkunft, sondern auch über die Arbeitsbedingungen der Menschen ganz am Anfang der Wertschöpfung möglich machen kann.

Das Startup SPRK setzt auf eine KI-getriebene Distributionsplattform für den B2B-Sektor, um frühzeitig zu identifizieren, wo Lebensmittelverschwendung in der Wertschöpfung entsteht. Lebensmittelströme können so rechtzeitig umgeleitet und damit ihre Verschwendung umgangen werden.

Wo liegen aktuell Grenzen? Was erschwert eine durchgängige Transparenz?

Konkrete Grenzen finden wir heute wohl darin, dass wir noch nicht an allen Stellen in der Wertschöpfung die richtigen Daten sammeln, Daten aus unterschiedlichen Bereichen sinnvoll miteinander verknüpfen und konkrete nachhaltige Schlüsse für unsere Handlungen daraus ziehen. Auf der Metaebene betrachtet, gibt es Grenzen bei der Umsetzung digitaler Interventionen vermutlich auch dabei, dass uns gesellschaftlich an einigen Stellen der Mut fehlt, radikale Veränderung anzustreben.

Zu viel Digitalität erinnert uns an Science-Fiction-Filme und macht erstmal Angst.

Gleichzeitig können wir darüber entscheiden, welche Grenzen wir an welchen Stellen setzen – gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch.

Beim Food Service Innovation Lab verfolgen Sie das Ziel, den Weg vom Acker auf den Teller transparent nachverfolgbar zu machen, oder gar „from soil to cell“ – was sind die nächsten Schritte?

Unter „from soil to cell” verstehen wir, Transparenz vom Acker über die Verarbeitung auf dem Teller bis zum Menschen darzustellen. Was bewirkt das Produkt vom Acker schlussendlich im menschlichen Körper? Es gehören also auch Themen wie Nutrition Tracking dazu. Denn wir haben uns mit dem Food Service Innovation Lab vorgenommen: „Was bei uns auf den Teller kommt, tut dem Planeten genauso gut wie uns.“

Für diese Transparenz benötigen wir Daten. Aktuell sind wir teilweise darauf angewiesen, welche Daten unsere Großhändler von den Produzierenden erhalten haben. Das wiederum setzt voraus, dass die Produzierenden bestimmte Daten über kompatible Systeme zur Verfügung stellen können und wollen. Gleiches gilt für den Direktbezug. Es sind also viele Abhängigkeiten vorhanden, die in Zukunft über Systeme mit Technologien wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und IoT gelöst werden können.

Das Flavour Network in Ismaning bei München. (Dussmann)

Um solche Themen anzugehen, identifizieren wir im Food Service Innovation Lab relevante Produzierende, Unternehmen und Startups, bauen Kooperationen auf und pilotieren Projekte. Wie mit der Münchner Bauerngenossenschaft, die für uns Quinoa und Edamame anbauen und wir uns verpflichtet haben einen Ernteausfall zu kompensieren. In unserem jüngsten hybriden Gastronomiekonzept, dem Flavour Network in Ismaning, vereinen wir diverse Kooperationen an einem Ort: Too Good To Go, Vytal, Querfeld und viele regionale Produzierende. Wir sourcen hier direkt auf Augenhöhe. Künftig werden unsere Gastronomiekonzepte noch buntere Sträuße aus Kooperationen sein, da wir die Vielfalt an Themen gar nicht allein bespielen können und wollen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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