Vincent Fricke im Interview: Ganztierverwertung, Insekten, 3D-gedrucktes Fleisch, Tierwohllabel – wie sieht der Weg hin zu einem nachhaltigen, ethischen Fleischkonsum aus? Experten der Branche – vom kochenden Ganztierverwerter über den veganen Koch bis hin zum Unternehmer für Fleischalternativen – geben einen Einblick.
Die sechsteilige Reihe unter dem Motto „Nachhaltiger, ethischer Fleischkonsum: Ist kein Fleisch auch (k)eine Lösung?“ starten wir mit einem Interview mit Vincent Fricke, dem Ganztierverwerter-Koch, der sagt: „Für mich sind alle tierischen Produkte Edelteile.“
Zur Person: Vincent Fricke
Der gelernte Koch und Geschäftsführer von Bairisch Stew Catering und des Consultingunternehmens Holistic Food plädiert für mehr ethische Kulinarik und Kontrast-Konsum, z. B. in Form von Nose-to-Tail-Eating.
Verwertung von Kopf bis Fuß
Herr Fricke, was sind die größten Herausforderungen hin zu einem ethisch besseren Fleischkonsum?
Die größten Herausforderungen sind tatsächlich gar nicht trivial. Wir müssen bei unserem Mindset respektive unserer persönlichen Einstellung gegenüber Fleisch beginnen. Wir müssen beginnen Fleisch als etwas Besonderes wahrzunehmen und nicht als etwas Allgegenwärtiges.
Der zweite große Punkt sind unsere Lieferketten und die Organisationstrukturen des Einkaufs zwischen Küche und Lieferant, die grundlegend verändert werden müssen. Bio-regionaler Einkauf funktioniert nicht wie gehabt – man kann dann nicht spontan 150 Portionen Schweinefilet bestellen. Es gilt anders zu planen und organisieren – und zwar auf beiden Seiten, also auch beim Zulieferer bzw. Großmarkt.
Als dritten Ansatzpunkt sehe ich eine transparentere Kommunikation – sowohl im Team als auch aus der Küche heraus. Wir brauchen Geschichten, um den Gästen zu erklären was wir tun. Und diese schreiben sich von allein, wenn man regional einkauft, den Bauern kennt oder den Hof besucht hat.
Und wir brauchen den Mut und die Vorleistung großer Abnehmer, z. B. namhafter Betriebsgastronomen. Aber auch große Erzeuger oder Zulieferer haben mit ihrer Marktmacht und ihrer wirtschaftlichen Power die Möglichkeit, ganze Betriebe bei der Umstellung zu unterstützen und damit Regionen neu zu entwickeln.
Auf allen Ebenen steht uns ein teils arbeitsintensiver Transformationsprozess bevor – hat man starke Partner mit denen man den Weg gemeinsam gehen kann, fällt der schon wesentlich einfacher.
Muss es Bio-Fleisch sein?
Ja! Alles andere ist mit Tierwohl und Ethik, also mit Genuss auf einer Gewissens- und Wissensebene nicht zu vereinbaren.
Sie mögen kurzgebratenes Herz, geschmorte Backe und Zunge – welches unedle Teil hat Ihnen dagegen gar nicht geschmeckt, sie vielleicht auch geekelt?
Ich bin kein großer Fan von Magen, aber als Ekel würde ich das nicht bezeichnen. Übrigens entsteht Ekel im Kopf und kann durch die Gesellschaft tatsächlich auch wieder „abtrainiert“ werden.
Könnten Sie sich vorstellen, statt echtem Fleisch Cultivated Meat zu essen?
Ganz sicher – aber grundsätzlich ist die Vorstellung großartig, wenn wir uns auf pflanzlicher Basis ernähren würden, und Fleisch nur noch punktuell mit in unsere Ernährung einarbeiten – so kämen wir um kultiviertes Fleisch drumherum. oder würden es nur in Burgern und co einsetzen – also da wo es von Haus aus nicht um gesunde Ernährung geht.
Gibt es für Sie einen besonderen Aufreger in der aktuellen kulinarischen Nachhaltigkeitsdebatte?
Es wird noch zu wenig versucht Nachhaltigkeit und Kulinarik überhaupt zusammenzudenken. Es wird zu häufig nur vereinzelt geschraubt und sich darauf fokussiert das Geschraubte so laut wie möglich und medienwirksam nach Außen zu transportieren. Es wird zu sehr um das Narrativ „die Zukunft und die Ernährung von Morgen“ herumgetanzt, als endlich das Heute schon als Teil der Zukunft und damit als bestmöglichen Zeitpunkt zum Beginn für Transformation zu verstehen. Es gibt Ansätze für Austausch, aber aktuell noch zu wenig tatsächliche Anstrengung etwas zu verändern. Letztlich braucht es weniger Debatte, als MacherInnen die ihre Learnings aus dem Doing miteinander austauschen.
Danke für das Gespräch!
Quelle: B&L MedienGesellschaft