Symbolbild Diversität
Quelle: Colourbox.de/question mark

Es geht nicht um Schuldzuweisung

Die Eventmanagerin Nora Hase erklärt, wie unbewusste Diskriminierung funktioniert und wie Betriebe Diversität fördern können.

Frau Hase, wo fängt Diskriminierung Ihrer Meinung nach an?

Für mich beginnt Diskriminierung im Unbewussten. Das heißt, es fängt nicht erst da an, wo Menschen bewusst aktiv ausgeschlossen werden. Wenn z. B. Blinde zu einem Hotel keinen Zutritt haben, weil man sich dort nicht damit beschäftigen möchte, was sie benötigen, ist das für mich bereits Diskriminierung. Da Diskriminierung ein systemisches Problem ist, betrifft sie Dinge, über die wir selbst gar nicht nachdenken, weil wir eventuell gar nicht betroffen sind. Da schließe ich mich auch selbst mit ein, denn ich bin z. B. weder geh- noch sehbehindert, habe auch keine klassische Neurodivergenz, also kann ich selbst ganz viele Dinge nicht nachvollziehen oder sehen. Weil mir nie anerzogen wurde, darauf zu achten, passiert das in meinem Kopf nicht, dass ich darüber nachdenken muss.

Das heißt, ich stelle immer nur im Nachhinein fest, dass manche Personen ja gar nicht an was auch immer teilnehmen konnten. An diesem Punkt des unterbewussten Nichtwahrnehmens beginnt für mich Diskriminierung. Das ist kein böswilliges Handeln, sondern dieses Unterbewusste, das uns anerzogen worden ist. Deswegen ist aber auch die Gesellschaft so wie sie ist: Sie bevorteilt Menschen, die in diesem engen Konstrukt funktionieren und benachteiligt alle, die herausfallen.

Viele haben ja auch unbewusste Berührungsängste …

Absolut. In diversen Studien ist nachgewiesen worden, dass Berührungsängste anerzogen werden. Schon allein die Medien, die wir täglich konsumieren, fachen diese Berührungsängste durch Präsentation diverser Stereotype an, wenn sie z. B. bestimmte Personengruppen immer im Zusammenhang mit Verbrechen oder nur taxifahrend bzw. als Reinigungskraft zeigen. Es beeinflusst Konsument*innen, wie sie diese Gruppen wahrnehmen. Genau so funktionieren ja auch Stereotype und Vorurteile. Wenn wir bestimmte Menschen immer in einer bestimmten Weise dargestellt bekommen, dann verfestigten sich diese Sichtweisen, ob wir das wollen oder nicht. Das ist keine böse Absicht, sondern es passiert unterbewusst.

Diese Vorurteile hat dann nicht nur die sogenannte Mehrheitsgesellschaft, sondern auch die betroffene Person selbst, die dann versucht, sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Es ist gibt Studien, die belegen, dass Kinder schon in jungem Alter durch unbewusste Reaktionen der Eltern wahrnehmen, wie mit bestimmten Menschen „umzugehen“ ist. Das geht mit nonverbaler Kommunikation los. Ich muss einem Kind nicht sagen „Das ist ein schlechter Mensch“, ich muss mich nur unbewusst anders verhalten mit meiner Körperhaltung. Wenn ich eine Art von Ablehnung ausdrücke, dann überträgt sich die auf mein Kind.

Inwiefern wird Diversität in Deutschland Ihrer Meinung nach bereits gelebt?

Wir sind im Vergleich zu den 90er-Jahren, in denen ich aufgewaschen bin, inzwischen schon viel weitergekommen. Ich bin im Osten Berlins in den sogenannten „Baseballschlägerjahren“, wie sie eine ehemalige Mitschülerin von mir einmal beschrieben hat, aufgewachsen. Wir hatten damals noch keine Worte für das, was uns passiert ist, wir haben nie darüber geredet. Rassismus wurde lange als etwas angesehen, „das nur Nazis machen“ und deshalb fand das Problem in der Mitte der Gesellschaft überhaupt keinen Platz. Neurodiversität war damals auch nur ein wissenschaftlicher Begriff, den niemand im Mainstream jemals in den Mund genommen hätte.

Auch die Witze-Kultur war damals eine ganz andere. Die gibt es zwar heute in Teilen immer noch, aber wie man früher über Menschen mit Behinderung oder einer anderen Sexualität Witze gemacht hat, damit gehen wir heute ganz anders um. Dass wir heute zudem endlich die Worte und die Möglichkeit haben, darüber zu sprechen, was mit vielen Gesellschaftsgruppen – und in vielen Fällen auch mir persönlich – passiert, das ist ein wahnsinnig großer Schritt, der mehr Sichtbarkeit schafft. Dass wir hier nun dieses Gespräch überhaupt führen, das wäre früher undenkbar gewesen.

Wo haben wir Nachholbedarf?

Ich glaube, dass wir stets bedenken müssen, in welcher Blase wir uns bewegen. Während das eigene Umfeld Diversität eventuell schon mit sehr viel Wissen und Achtsamkeit lebt, gibt es noch Bereiche, die eher konservativ sind. Wenn ich z. B. im Eventbereich in eine solche Blase gerate, beispielsweise ein klassisches deutsches Unternehmen, dann herrscht schon häufig noch ein Standpunkt wie von vor 20 Jahren vor.

Dann fangen wir erst wieder an dem Punkt an, an dem ich erklären muss, warum Rassismus oder das N-Wort ein Problem sind. Oder dass Rassismus nicht nur etwas damit zu tun hat, dass jemand sagt „Ich finde Ausländer doof“, sondern dass da Mikroaggressionen mit hineinspielen, die wir überhaupt nicht wahrnehmen. Und wenn wir Diversität in Deutschland benennen wollen, gibt es ja noch viele andere Felder, wie Geschlechtervielfalt, Menschen mit Behinderungen, Altersdiskriminierung, Neurodiversität, sozioökonomischer Status, Alleinerziehende, Eltern … Mit Blick auf das Ziel, dass niemand mehr Benachteiligung erfahren soll, stehen wir immer noch am Anfang.

Über Nora Hase

Nora Hase ist in Berlin aufgewachsen und wohnt heute in Köln, wo sie als Event- und Projekmanagerin bei eyeo sowie als Fotografin tätig ist. Ihre Schwerpunkte neben Digitalisierung sind Diversität, Inklusion und Representation, die sie auch als Speaker auf Events, wie im März 2023 auf der ITB, thematisierte. Mit der Foto-Serie „Afrofuturism“ gewann sie den 1. Platz bei den International Photography Awards.

Die Eventmanagerin Nora Hase klärt über Diskriminierung auf
(Quelle: Nora Hase)

Wie kann man diesem Unverständnis beikommen?

Wir müssen leider weiter erklären, bis es auch die Letzten verstanden haben. „Leider“ sage ich deshalb, weil ich zwar immer gerne erkläre und auch gerne in Unternehmen und auf Veranstaltungen darüber spreche, aber es natürlich immer sehr kräftezehrend ist. Ich glaube auch, das Wichtigste am Erklären ist, dass wir klar machen, dass es nicht darum geht, jemandem etwas wegzunehmen, sondern darum, dass anderen dieselben Chancen ermöglicht werden.

Es geht auch nicht um eine Schuldfrage. Aus unserer eigenen Historie heraus werden Probleme mit Diversität auch gerne in die Nazi-Ecke gerückt und dann ist es ganz schwer darüber zu sprechen, denn das löst bei Menschen sofort eine Antihaltung aus, weil sie dann sagen: „Aber ich bin doch gar kein so böser Mensch“. Und das hat auch keiner gesagt, sondern es wurde lediglich auf ein Problem hingewiesen, über das geredet werden muss. Es geht nicht um Schuldzuweisung, sondern es geht darum, dass wir gemeinsam an gesellschaftlichen Systemen arbeiten.

Ich habe den Eindruck, dass Frauen in diesem Punkt oft verständiger sind als Männer …

Absolut, da Frauen diese Probleme ja selbst kennen. Natürlich gibt es auch Frauen, die sich gegen neue Sichtweisen wehren, weil natürlich auch eine gewisse Bequemlichkeit dafür sorgt, sich in fest zementierten Weltbildern einzufinden, vor allem dann, wenn man einen gewissen Status erreicht hat. Aber grundsätzlich können Frauen diese Transferleistung der eigenen Erfahrungen auf andere Gruppen besser übertragen.

Was Männern häufig fehlt, ist, dass sie ihre eigene Diskriminierung nicht erkennen. Wir werfen gerne mit Begriffen wie „toxische Männlichkeit“ umher, aber eigentlich sind Männer genauso benachteiligt, weil sie in einer Gesellschaft nur dann als Mann ankommen, wenn sie sich gemäß dieser engen Definition des Mannseins verhalten. Es würde auch Männern helfen, sich in der Gesellschaft anders darzustellen. Wir alle können davon profitieren, wenn wir erkennen, dass es eigentlich dieselben Ursachen sind, die uns unterdrücken.

Die Gastronomie ist ja eigentlich eine sehr diverse Branche. Läuft es da anders?

Sehr viel findet dort international statt, deshalb gibt es schon andere Berührungspunkte. Ich treffe aber z. B. im Bereich Eventagenturen schon auch noch auf Konstrukte, in denen diejenigen, die alle Arbeit machen, weiblich sind und in den Managerposten finden sich dann nur Männer. Da kann ein Unternehmen natürlich behaupten, dass es zu 50 Prozent Frauen beschäftigt.

Wenn diejenigen aber zwölf Stunden am Tag arbeiten, um das Event umzusetzen und die mit den großen Gehältern sind dann ausschließlich Männer, dann stimmt da etwas nicht. Dasselbe haben wir ebenso in der Gastronomie und Hotellerie. Und auch von der anderen Seite her muss man das betrachten: Wenn Diversität im Reinigungsteam und am Getränkeausschank herrscht, Teilnehmende eines Events, wie so oft bei Businessevents, aber überwiegend Männer in Anzügen sind, dann muss ich auch hier die Diversität hinterfragen.

Was haben Sie bereits persönlich in diesem Zusammenhang erlebt?

Ich erlebe im Kundenkontakt häufig, dass es ein Macht-Ungleichgewicht gibt. Wenn man dort mit Männern zusammenarbeitet, hat man oft diejenigen, die Frauen als Mädchen für alles behandeln und dann abends auch nach 20 Uhr noch anrufen, weil sie alles sofort haben müssen. Wie oft bin ich schon im Arbeitsalltag hysterisch angeschrieben worden von Männern, die ihren Willen nicht bekommen haben, um dann festzustellen, dass es kein Problem ihrerseits gegeben hätte, wenn sie an meiner Stelle einen männlichen Kollegen als Ansprechpartner gehabt hätten. Ich habe erlebt, dass meine Kompetenzen hinterfragt wurden, nur weil ich eine Frau bin.

Gerade im Bereich Technik gab es vereinzelt Kunden, die Frauen dann nicht einmal zutrauen, ein Mikrofon auf die Bühne zu stellen – ganz gleich wie viele Jahre an Erfahrung sie schon mitbringen. Es ist auch so, dass ich, wenn ich als Gästin auf Events gehe und dort Anzugträger treffe, häufig ein ganz anderes Verhalten als die anderen Teilnehmenden an den Tag legen muss, um gehört und ernstgenommen zu werden. Und so ein Verhalten fördert eine nicht diverse Kultur, weil diese nur Männer in Vorteilsrollen setzt und alle anderen in eine Art Bittstellerhaltung rutschen.

Welche positiven Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich besuchte auf Teneriffa eine Softwarekonferenz. Da ich selbst auch viele Softwarekonferenzen veranstalte, wollte ich wissen, wie andere das machen und was die neuesten Trends sind. Von den 70 Teilnehmenden waren vielleicht sieben oder acht weiblich. Mein erster Gedanke war: „typisch!“. Ich wurde aber positiv überrascht, weil die Konferenz so unfassbar willkommen heißend und warmherzig war. Ich traf auf sehr viele Menschen, denen dieses Ungleichgewicht bewusst war und die den Dialog mit mir gesucht haben und wissen wollten, was man aus meiner Sicht heraus ändern könnte.

Wir haben so tolle Gespräche geführt. Es war auch keine klassische Businesskonferenz, wie wir sie vielleicht aus Deutschland kennen, wo Redner*innen sich auf der Bühne ablösen. Sie wurde auch nicht damit angepriesen, dass irgendein CEO oder VIP vor Ort ist, sondern hatte nicht einmal eine Tagesordnung. Aber man konnte dennoch wahnsinnig spannende Kontakte knüpfen. Es war ein richtig schönes Miteinander.

Haben wir in Deutschland manchmal eine zu starre Struktur?

Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in Deutschland immer noch auf unseren Industrienation-Status beharren, nur weil wir irgendwann mal z. B. in der Automobilindustrie führend waren. Daran wollen wir nicht rütteln. Diese Einstellung sehe ich auch bei vielen Events, dass man glaubt, dass, was vor 20 Jahren funktioniert hat und Erfolg gebracht hat, auch heute noch funktionieren müsse.

Ich denke, dass ein Blick über den Tellerrand helfen würde, ein anderes Miteinander zu schaffen. Das würde dann automatisch Diversität mit sich bringen. Denn dann würden sich auch andere Menschen in der Umgebung wohlfühlen, in der sich bis dato nur weiße Männer wohlfühlen.

Was würden Sie Führungskräften konkret raten, um Diversität zu fördern?

Als Führungskraft muss ich mir ansehen, wie im Unternehmen miteinander umgegangen und was für eine Kultur gelebt wird. Habe ich z. B. eine Kultur, die eher einen Männlichkeits-Kult und -Status fördert und dadurch natürlich die Art der Kommunikation beeinflusst, sodass Menschen ausgeschlossen werden, oder nimmt sie wirklich alle mit. Das andere sind Zahlen, Zahlen, Zahlen. Diversität sollte so behandelt werden wie andere Unternehmensziele auch. Es reicht dabei nicht zu sagen, ich habe nun 50 Prozent Frauen, drei Mitarbeitende aus Afrika und drei aus China eingestellt.

Es geht darum, sie zu halten. Ich würde mir z. B. anschauen, wie mit Beförderungen umgegangen wird. Wer wird im Unternehmen wie gefördert? Wie lange dauert es, bis jemand befördert wird und werden dahingehend Unterschiede gemacht? Wer hat Zugang zur Weiterbildung? Diese Dinge kann ich messen und mir dementsprechend Ziele setzen. Es ist schön zu sehen, dass sich der Arbeitsmarkt gerade von einem Arbeitgeberinnenmarkt hin zu einem Arbeitnehmerinnenmarkt entwickelt, woran die nachfolgenden Generationen einen ganz großen Anteil haben. Sie lassen sich nicht mehr so viel gefallen und arbeiten einfach nicht mehr für Unternehmen, die nicht achtsam genug sind.

Wird Unternehmenskultur insgesamt empathischer?

Absolut. Und das finde ich richtig toll. Das gibt mir ein ganz warmes Gefühl, denn ich sehe, dass wir eventuell nicht die richtig großen Schritte gehen, aber wir machen immerhin Schritte vorwärts.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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