Sich interaktiver auszutauschen, statt nur starren Vorträgen zu lauschen, das war die Intention für das in 2023 erste Erfa-Treffen der Gemeinschaftsgastgeber Baden-Württemberg, die sich unter dem Dach des Dehoga Baden-Württemberg regelmäßig zum fachlichen Austausch zusammenfinden. Unter dem Motto „Bio, Regionalität und Nachhaltigkeit in der Gemeinschaftsgastronomie Baden-Württemberg: Chancen und Herausforderungen“ lud die Erfa-Gruppe am 22. Mai in die LBS Stuttgart ein. Rund 70 Gäste folgten der Einladung.
Stefan K. Best, Abteilungsleiter Wirtschaftsbetriebe und Weinmanagement der LBS, der als Vorsitzender der Erfa-Gruppe die Position der Gemeinschaftsgastgeber im Dehoga Baden-Württemberg vertritt, veranschaulichte die wirtschaftliche Bedeutung des Segments. Allein im Ballungsraum Stuttgart werden täglich 50.000 Menschen außer Haus versorgt.
Nachhaltigkeit bekomme auch in diesem Wirtschaftszweig eine zunehmende Bedeutung. „Der Bedarf der Gemeinschaftsverpfleger an regionalen und biologisch angebauten Lebensmitteln muss jedoch auch befriedigt werden können. Daran hakt es derzeit noch an verschiedenen Stellen. Es kann beispielsweise nicht angehen, dass – nachdem ein großer GV-Betrieb der Region Schweineschnitzel mit dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg aufgetischt hat – die anderen GV-Betriebe der Region fünf Monate warten müssen, bis die Schweine nachgewachsen sind“, konkretisierte Stefan K. Best in seiner Begrüßung, an die sich eine Podiumsdiskussion anschloss.
„Der Bedarf der Gemeinschaftsverpfleger an regionalen und biologisch angebauten Lebensmitteln muss jedoch auch befriedigt werden können. Daran hakt es derzeit noch an verschiedenen Stellen.“
Stefan K. Best, Wirtschaftsbetriebe LBS
Hochkarätige Podiumsdiskussion beim Erfa-Treffen
Ist mehr Bio in der Gemeinschaftsgastronomie überhaupt machbar?
Kann der innovative Ansatz Vertical Farming die klassische Landwirtschaft ergänzen?
Bio-Regionalität – Chance oder Herausforderung?
Diese und weitere Fragen wurden auf dem Podium von Gästen aus der Politik, Landwirtschaft und Wissenschaft diskutiert, um das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Mit dabei:
- Prof. Dr. Carolyn Hutter, DHBW Heilbronn, Studiengangsleitung BWL Food-Management
- Heiko Frantzen, Geschäftsführender Gesellschafter der SFS-RE, Vertical Farming
- Marcus Henrich, Leiter Wirtschaftsbetriebe bei Kärcher, Winnenden
- Sabine Kurtz, Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) Baden-Württemberg
- Stefan Kerner, Vorstandsmitglied des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg und Kreisvorsitzender des Bauernverbandes Heilbronn-Ludwigsburg
Wird Vertical Farming die Lösung für mehr Regionalität?
Der große Vorteil von Vertical Farming liegt laut Heiko Frantzen, Geschäftsführender Gesellschafter der SFS-RE, Vertical Farming, auf der Hand: „Vertical farming ermöglicht die kontrollierte Produktion von sogenannten Leafy Greens wie Blattsalat in Bio-Qualität bzw. sogar noch besser, da auch Pestizide wegfallen. Mit einer Standardfarm können auf 3.000 m2 Grundfläche und 16 Meter Höhe pro Tag ca. 500 Kilogramm Ernte gemacht werden. Eine perfekte Lösung für den steigenden Bedarf, den die konventionelle Landwirtschaft bald nicht mehr befriedigen kann.“
Staatssekretärin Sabine Kurtz stimmte ihm zu, lenkte zugleich aber auch ein:
„Vertical Farming kann die Palette landwirtschaftlicher Erzeugnisse ergänzen, wird aber keine Grundversorgung leisten können mit Lebensmitteln wie Kartoffeln & Co.“
Sabine Kurtz, Staatssekretärin MLR
Auch Prof. Dr. Carolyn Hutter sieht die Anbaumethode als einen möglichen Puzzlestein. „Aber auch Fleisch aus der Petrischale wird ein Puzzlestein sein hin zu einer nachhaltigeren Ernährung. Der Schlüssel dazu, dass sich die Methoden etablieren, ist der aufgeklärte Verbraucher – und da müssen wir idealerweise bei den Kindern ansetzen.“
Nicht zuletzt hat Vertical Farming aber auch Schwachstellen, allen voran der hohe Invest und die Betriebskosten bei den aktuellen Energiepreisen. Die Rendite sei laut Heiko Frantzen nichtsdestotrotz hoch.
Bio-Regionalität – Chance oder Herausforderung?
Das Fazit der Podiumsdiskussion wurde abschließend nochmals in Form kurzer Statements zur Frage „Bio-Regionalität – Chance oder Herausforderung?“ auf den Punkt gebracht.
Das sagt die Politik – Sabine Kurtz:
„Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Bio-Anbau auf 30 bis 40 Prozent zu erhöhen. Aktuell liegt der Bio-Anteil bei etwa 11 Prozent. Das Ziel ist klar, die Wege dorthin noch eine Herausforderung. Denn wir als Politik können lediglich den Rahmen setzen, die Unternehmer, wie die Landwirte, müssen die Angebote gestalten und schlussendlich muss jemand die Produkte auch abnehmen. Nichtsdestotrotz kann die bio-regionale Landwirtschaft und die Ernährungsumstellung ein Baustein zu mehr Nachhaltigkeit sein. Ich sehe sie daher als große Chance!“
Das sagt der Landwirt – Stefan Kerner:
Für die Landwirtschaft ist mehr Bio-Regionalität eine Chance, aber es braucht politische Rahmenbedingungen. Und: Wir können nicht von heute auf morgen beispielsweise 50.000 Schnitzel für Stuttgarter Betriebsverpfleger liefern. Da braucht es bessere Absprachen.
Meine Befürchtung: Wenn es so weitergeht mit den Warenströmen und dem Billigfleisch-Trend werden vermehrt regionale Betriebe aus Baden-Württemberg aus der Tierhaltung aussteigen. Ein gutes Gegenbeispiel ist das Strohschwein. Das erfreut sich großer Nachfrage, und muss gar nicht Bio sein, dem Schwein geht‘s aber trotzdem besser. Das einzige Problem: Auch das ist für die Landwirte ein großer Invest, der erstmal wieder reinkommen muss.
Mein Fazit: Wir sind auf einem guten Weg, was Ernährungssicherheit und Vielfalt angeht –wir müssen nur weiter den Blick nach vorne richten und uns zusammenschließen. Wenn die Wertschöpfungskette in der Region bleibt, dann stärken wir uns gegenseitig. Das muss unser Ziel sein.
Das sagt die Wissenschaft – Carolyn Hutter:
„Für mich ist Bio-Regionalität nicht nur Chance, sondern Notwendigkeit, denn Essen ist unsere Lebensgrundlage. Wenn wir da nicht all unsere Energie reinstecken, haben wir in ein paar Jahren ein großes Problem.
Die große Herausforderung ist tatsächlich die Kommunikation untereinander und jedes Teilchen der Wertschöpfungskette mitzunehmen – bis hin zum Koch, der in seiner Ausbildung gelernt hat, dass Fleisch das höchste Gut ist und der dieses nun nur noch sparsam einsetzen soll.“
Das sagt der „Vertical Farmer“ – Heiko Frantzen:
„Vertical Farming ist eine Chance für die regionale Sicherstellung der Lebensmittelproduktion – und im wachsenden Bereich. Für Investoren ist es zudem eine Chance auf eine erhebliche Rendite.“
Das sagt der Betriebsgastronom – Marcus Henrich:
„Bio um jeden Preis, etwa mit langen Anfahrtswegen aus dem Ausland, ist nicht die Lösung. Regional ist für uns daher das bessere Bio, weshalb wir und z. B. auch gemäß ‘Schmeck den Süden’ haben zertifizieren lassen. Viele Bauern in Baden-Württemberg arbeiten bereits nach hohen Standards, was Tierwohl und Naturbelassenheit angeht, ohne biozertifiziert zu sein, so meine Erfahrung mit den Lieferanten.
Die große Herausforderung ist der Schulterschluss zwischen Politik, Landwirtschaft, Endverbraucher, die Weiterverarbeitung regionaler Erzeugnisse hin zu convenienten Großküchenprodukten, auch die politischen Regelungen. Aber das werden wir gemeinsam schaffen! Denn wir müssen generell nachhaltiger handeln, sei es in puncto Food Waste, Mehrweg o.ä. – es geht um weit mehr als um Lebensmittel!“
Das sagt der Gastgeber – Stefan K. Best:
„Wir werden das Thema Regionalität und den damit verbundenen Radius künftig weiterspannen müssen, Es kann beispielsweise nicht sein, dass ein Betrieb aus Ulm aus Neu-Ulm keine regionale Ware beziehen darf, weil es dort in unmittelbarer Nähe eine Landesgrenze gibt. Reine Landesaktionen werden sich aufgrund des ökologischen Fußabdrucks neu aufstellen müssen. Das gilt auch für Regionen, Bauern und Züchter. Hier bleibt dringend die Frage offen, ob jeder künftig sein eigenes regionales Süppchen kocht oder ob nicht auch regionale Allianzen sprechen müssen.“
Fazit beim Erfa-Treffen
Es braucht einen Schulterschluss! Darin waren sich die Diskussionsteilnehmer und Gäste beim Erfa-Treffen Baden-Württemberg einig. Schließlich wollen oder müssen alle das gleiche Ziel erreichen.
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Quelle: B&L MedienGesellschaft
Schmeck den Süden bei Neuland
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