Gegenüber dem entkoppelten Produktionsverfahren Cook & Chill gibt es viele Vorurteile.
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Vorurteile ausräumen

Das Cook & Chill-Verfahren ist für Jürgen Bergjan das Produktionssystem der Zukunft, vor allem für Küchen, die weiterhin selbst produzieren. Daher findet er es umso bedauerlicher, dass der Ruf von Cook & Chill nicht immer der Beste ist: „Selbst in Fachkreisen kursieren Argumente gegen das Verfahren, die mich als jahrelangen Anwender immer wieder in Erstaunen versetzen. Gefährliches Halbwissen und unzureichende Erfahrungen zeichnen ein oftmals verzerrtes Bild, welches im Alltag nicht zutrifft.“ Bei korrekter Anwendung biete das entkoppelte Produktionsverfahren laut dem geprüften Küchenmeister viele Vorteile und schaffe erhebliche Mehrwerte im Arbeitsalltag. Welche das sind und was bei der Planung bzw. der Umstellung zu beachten ist, das wollen wir in einer mehrteiligen Reihe aufzeigen.

Zum Start widmen wir uns gemeinsam mit Jürgen Bergjan gängigen Vorurteilen, die der erfahrene Cook & Chill-Anwender ausräumen möchte. Mit seinem Team der Großküche MahlZeit! in Nordhorn praktiziert er seit neun Jahren Cook & Chill und seit fünf Jahren im Essen auf Rädern-Bereich zusätzlich auch Cook & Freeze. Er ist zudem als küchenfachlicher Berater für die Kolb Planung aus Oldenburg tätig und steht bei der Planung zur Seite.

„Gefährliches Halbwissen und unzureichende Erfahrungen zeichnen ein oftmals verzerrtes Bild, welches im Alltag nicht zutrifft. Bei korrekter Anwendung bietet das entkoppelte Produktionsverfahren viele Vorteile und schafft erhebliche Mehrwerte im Arbeitsalltag.“

Jürgen Bergjan, Leiter der gastronomischen Dienstleistungen der Lebenshilfe für die Grafschaft, Bentheim

Nachgefragt bei: Jürgen Bergjan

Was sind die häufigsten Vorurteile gegenüber Cook & Chill? Und warum sind diese auch auf einen falschen Sprachgebrauch zurückzuführen? Das beantwortet Jürgen Bergjan, Leiter der gastronomischen Dienstleistungen der Lebenshilfe für die Grafschaft, exklusiv im Interview mit GVMANAGER.

Jürgen Bergjan ist Experte für die Cook & Chill, da er das Verfahren seit 2014 praktiziert.
Jürgen Bergjan ist Experte für die Cook & Chill, da er das Verfahren mit seinem Team bei „MahlZeit!“ seit 2014 praktiziert. (Quelle: a|w|sobott atelier für werbefotografie gmbh)

Herr Bergjan, welches Vorurteil in puncto Cook & Chill irritiert Sie besonders?

Die verrückteste Reaktion, die mir begegnet, ist folgende: „Cook & Chill? Nein wir kochen bei uns lieber frisch!“ Dann entgegne ich immer: „Was bedeutet es denn für dich, frisch zu kochen?“ Im Ergebnis kommen meist – wenn ehrlich geantwortet wird – lange Stand- und Warmhaltephasen heraus, gekoppelt mit Stress in der Produktion an sieben Tagen pro Woche, täglicher Hektik, Mitarbeiterausfällen, ungenauen Mengensteuerungen, Überhängen und auch launigen Kunden, da Komponenten auch länger als bis zu drei Stunden warmgehalten werden. Und das nennt man „frisch gekocht“? Ich denke das geht anders und vor allem besser!

Warum ist die Regeneration von Cook & Chill-Speisen nicht mit dem „Warm­machen“ gleichzusetzen?

Richtig ist im Zusammenhang mit dem Cook & Chill-Verfahren, dass es sich bei der Regeneration um einen eigenen Prozessschritt handelt, der auch als Endgaren, Fertiggaren oder Finishen bezeichnet werden kann.

Das Grundproblem ist, dass das Wort „Regenerieren“ im klassischen Sinne auch für ein erneutes Erwärmen bereits gekochter Produkte, ­z. B. Überhänge vom Vortag, gebräuchlich ist.

Gibt es denn nochmal einen Unterschied zwischen „Regenerieren“ und „Endgaren“?

Den gibt es tatsächlich! Genau genommen spricht man vom Regenerieren, wenn ein bereits vollständig zubereitetes Produkt wieder erwärmt wird, wie das auch in einer Cook & Serve-Küche der Fall sein kann. Bezogen auf Cook & Chill bedeutet es, dass eine Speise bereits im ersten Prozessschritt zu 100 Prozent gegart wird, und nicht nur zu 80 oder 90 Prozent, wenn sie also klassisch zubereitet wird.

Also werden Cook & Chill-Speisen nicht immer nur teilweise gegart, also vor Erreichen des Garpunktes abgebrochen?

Dass Cook & Chill-Speisen grundsätzlich im ersten Prozessschritt nur zu 80 oder 90 Prozent gegart werden, ist ein Vorurteil und trifft in der Praxis nicht zu. Bestes Beispiel sind Großbratenstücke: Werden diese zeitentkoppelt zubereitet, müssen sie aufgrund der Hygienevorgaben bereits im ersten Schritt zu 100 Prozent gegart werden, um eine Temperatur von 72°C im Kern für zwei Minuten zu erlangen. Folglich unterscheidet sich hier die Zubereitung gar nicht so sehr von der klassischen. Wird der kühl gelagerte Braten benötigt, wird er regeneriert, also schlicht erwärmt bis er im Kern erneut zwei Minuten lang 72°C aufweist.

Würde der Braten – unter Missachtung der LMHV – nicht durchgegart, könnte man das Ergebnis auch nicht im zweiten Erhitzungsschritt retten. Denn ein End- oder Fertiggaren wird durch die Regeneration nicht eintreten, durch das Regenerieren wird der Braten allenfalls zäh.

Wann wird nur zu 80 oder 90 Prozent im ersten Prozessschritt gegart?

Bei Gemüse sind Garreserven möglich bzw. sogar nötig, um nach dem zweiten Erhitzungsschritt ein optimales Produkt zu erhalten. Besonders bei grünem Gemüse erkennt man schnell den Frischegrad bzw. die Dauer der Regeneration. Dauert diese zu lange, wird alles grau und pappig. Doch Achtung: Die Garreserve ist für jedes Produkt individuell festzulegen. Die Cook & Chill-Produktion soll ein individuelles Garen ermöglichen. Zusätzlich ist die Regeneration am Ort des Verzehrs genau zu beschreiben in Hinblick auf Zeitdauer, Betriebsart, Abdeckelung und Füllhöhen.

Mein Tipp: Der Produktqualität kommt es zugute, während des ­Endgarens eher geringere Temperaturen und etwas längere Laufzeiten zu wählen, um schonend auf die geforderten 72°C für zwei Minuten im Kern zu kommen.

Gehen mit dem Produktionsverfahren tatsächlich so hohe technische Investitionen einher?

Richtig ist, dass eine Cook & Chill-Produktionsküche zusätzlich Schnellkühler benötigt. Und zwar ausreichend viele! Denn Schnellkühler sind sozusagen das „Nadelöhr“ einer zeitentkoppelten Produktion. Nach ihrem Leistungsvolumen richtet sich die Produktionskapazität und schlussendlich der Dienstplan in der Produktion.

Dass das Produktionsverfahren Cook & Chill sehr energieaufwändig ist, ist ein gängiges Vorurteil.
Schnellkühler sind das Nadelöhr einer Cook & Chill-Küche und sollten in ausreichender Menge vorhanden sein. (Quelle: MahlZeit)

Zusätzlich benötigt man Kühlmöglichkeiten für die Zwischenlagerung der produzierten Speisen bei 3°C. Das kann in einer kleinen Küche ein Standkühler sein, in einer größeren ein Kühlhaus. Diese Anschaffungen erfordern in der Tat zunächst höhere Investitionen.

Im Gegenzug kommt die Küche mit weniger thermischen Geräten aus, da diese mehr Komponenten zeitgleich zubereiten können, also effizienter beschickt werden. Die Auslastungswahrscheinlichkeit liegt hier im Vergleich doppelt so hoch wie bei klassisch genutzten Geräten.

Hinzu kommt ein personeller Effekt: Da Cook & Chill-Zentralküchen nicht mehr täglich, sondern i.d.R. nur noch an fünf von sieben Wochentagen produzieren, reduziert sich auch der Personaleinsatz. Innerhalb der reinen Produktion, also des Kochprozesses mit anschließender Schnellkühlung, werden meiner Erfahrung nach im Vergleich zu Cook & Hold-Küchen lediglich 50 Prozent der Mitarbeiter benötigt.

Verbraucht eine Cook & Chill-Küche nicht auch mehr Energie?

Der Energie-Aspekt wird gerade in der heutigen Zeit in der Betrachtung immer wichtiger. Daher gilt es, umso genauer hinzuschauen statt zu pauschalisieren. Vergleichen wir Cook & Chill beispielsweise mit Cook & Hold, so gibt es hier zu keinem Zeitpunkt Warmhaltephasen. Das wird oft bei der Betrachtung vergessen. In klassischen Care-Küchen laufen täglich stundenlag Wärmewagen, die Speisen heiß halten, beispielsweise für die Bandverteilung.

Dass dieses Warmhalten an vielen Stellen einer Küche stundenlang praktiziert und dadurch ein hohes Maß an Energie benötigt wird, kommt in Betrachtungen ebenso unzureichend zur Sprache wie auch die Qualitätseinbußen, die stundenlanges Warmhalten nach sich ziehen. Der energetische Aufwand, der hier im wahrsten Sinne des Wortes verheizt wird, ist nicht annähernd so hoch, wie der reine Prozess des Cook & Chill-Verfahrens, insbesondere dann nicht, wenn man sich die gesamte Lebens-Laufzeit einer Küche anschaut!

Hinzu kommt die Art und Weise, wie konventionell gekocht wird. Mit großen Kochgeräten, die nur zu einem Drittel bestückt sind. In „aufgeblähten“ Küchen mit einer Vielzahl an Geräten. Das lässt sich bei Cook & Chill durch eine geschickte Produktionsplanung vermeiden! Und das führt auch zu erhöhter Energieeffizienz! Und letztendlich zu einem besseren Endergebnis beim Kunden.

Auch die aufgrund effizienter Prozesse deutlich geringeren Personalkosten bei Cook & Chill sind gegenzurechnen. Und nicht zu vergessen: Insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeits- und Fachkräftemangels bietet Cook & Chill einen stressfreien Arbeitsplatz, was nicht zu unterschätzen ist in puncto Mitarbeiterzufriedenheit. Anders betrachtet könnte man auch sagen: Was in einer Cook & Hold-Küche an Energie und Mitarbeiteraufwand in der Produktion für sieben Tage benötigt wird, das schafft die Cook & Chill-Produktion in fünf oder teilweise sogar vier Tagen. In Summe stehen dann ­365 Tagen Cook & Hold-Produktion maximal etwa 230 Tage Cook & Chill-Produktion gegenüber, da an den Wochenenden und an Feiertagen nicht produziert wird – sofern die 72-stündige Gesamtlagerdauer dadurch nicht negativ beeinflusst wird.

Stichwort Mitarbeiterzufriedenheit: Lassen sich Fach- und Hilfskräfte mit einem zeitentkoppelten Produktionsverfahren tatsächlich besser gewinnen?

Feiertags- und Wochenendarbeit können dadurch in der Gemeinschaftsgastronomie deutlich reduziert werden. Zudem erhöht das Verfahren die Flexibilität in Hinblick auf individuelle Arbeitszeitmodelle und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Aber natürlich gehört zur Mitarbeiter­motivation noch mehr: Der Mitarbeiter muss sich wohlfühlen, um eine gute Arbeitsleistung zu erbringen. Dazu gehört neben einer „guten Führung“ auch, dass man in erster Linie die Grundbedürfnisse seiner Mitarbeiter stillt!
Wertschätzung und Anerkennung sowie eine tarifliche Vergütung sind daher selbstredend, wenn man in Zukunft seinen Küchenbetrieb aufrechterhalten und erfolgreich betreiben möchte. Die Mitarbeitermotivation auch mit sogenannten weichen Faktoren weiter zu steigern und nachhaltig auf einem hohen Niveau zu halten, ist ein grundsätzlich wichtiger Aspekt, der einem beim Cook & Chill-Verfahren quasi in die Arme läuft! Das A & O sind hier für Mitarbeiter gute Schulungen und klare Standards in der Praxis anzubieten! Das bringt Verlässlichkeit und Verbindlichkeit in jeglicher Hinsicht. So wird selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten gefördert!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Vorurteile Cook & Chill – auf einen Blick widerlegt

  • Cook & Chill-gegarte Speisen werden nicht schlicht warm gemacht, sondern regeneriert bzw. endgegart. Dabei handelt es sich um einen eigenen Prozessschritt.
  • Nicht für alle Cook & Chill-Speisen gilt pauschal eine 90-prozentige Garzeit. Teils werden die Speisen bereits im ersten Erhitzungsschritt zu 100 Prozent gegart (z. B. Braten).
  • Cook & Chill erfordert gewisse Investitionen ­ in ausreichend viele Schnellkühler und Kühlzwischenlager. Diese sind aber vor allem gegenzurechnen mit personellen Vorteilen, einer besseren Geräteauslastung sowie einem geringeren Bedarf an Gartechnik.

Definition Cook & Chill

Das Cook & Chill-Verfahren dient der Entkopplung des Garprozesses vom Vorgang der Speisenausgabe. Der Unterschied gegenüber Cook & Serve bzw. Cook & Hold ergibt sich durch die zwischengeschobenen Prozessschritte des Schnellkühlens und anschließenden bis zu drei Tage langen Kühllagerns zur Bereitstellung für die Ausgabe an einem der Folgetage.
Der Garprozess wird – je nach Komponente – durch das Schnellkühlen unterbrochen ­(z. B. bei Gemüse) oder abgeschlossen (z. B. Bratenstücke). Die Fertigstellung erfolgt durch den weiteren Schritt der Regeneration, der auch als Endgaren oder Finishen bezeichnet wird. Dieses Endgaren erfolgt unmittelbar zum Zeitpunkt des Verzehrs – das kann auch an einem dezentralen Standort sein. ­Anschließend wird direkt ausgegeben bzw. die Speisen verzehrt.
Dadurch ergeben sich Vorteile in puncto Optik, Geschmack, Konsistenz und Nährwerte.

(Quellen: Jürgen Bergjan; Thomas Reiche/Lebensmittelhygiene für das Cook & Chill-Verfahren)

Unser Experte – Jürgen Bergjan

Unter Jürgen Bergjan als Leiter der gastronomischen Dienstleistungen der Lebenshilfe für die Grafschaft praktiziert ein 25-köpfiges Team seit neun Jahren Cook & Chill und seit fünf Jahren auch Cook & Freeze für den mobilen Mittagstisch. Seine Motivation für diesen Artikel: „Selbst in Fachkreisen kursieren Argumente gegen das Cook & Chill-Verfahren, die mich als jahrelangen Anwender immer wieder in Erstaunen versetzen. Gefährliches Halbwissen und unzureichende Erfahrungen zeichnen ein oftmals verzerrtes Bild, welches im Alltag nicht zutrifft. Damit möchte ich aufräumen und aus der Praxis die positiven Erfahrungen und Synergieeffekte weitergeben! Denn jedes System ist nur so gut wie seine Anwender!“

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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Tipps zur strategischen Weiterbildung

Regelmäßige Weiterbildung bildet den Grundstein, um das eigene Team kompetent, motiviert und agil zu halten. Doch wie kann eine erfolgreiche Weiterbildungsstrategie aussehen? Mit unserem „Weiterbildungs-Navi“ will Sie die Redaktion GVMANAGER durch das Dickicht der Weiterbildungs-Chancen und -Hürden führen. Teil 1 beinhaltet das Thema Weiterbildung als systematisches Konzept.

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