Barrierefreiheit Interview
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Barrierefreiheit als Wettbewerbsvorteil

Im Interview erklären Alisdair Hicks, Director of Onboarding Operations bei SHR Group, und Dr. Juliana Kliesch, Counsel bei der Kanzlei Bird & Bird, was Hoteliers zum European Accessibility Act jetzt wissen müssen.

Herr Hicks, welche Chancen bietet barrierefreier Tourismus?

Hicks: In Europa leben über 100 Millionen Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen – allein in Deutschland sind es 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen. Sie möchten genauso reisen wie alle anderen – und Unternehmen sollten dies nicht nur aus gesetzlicher, sondern in erster Linie auch aus ethischer Verantwortung ermöglichen.
Außerdem birgt diese Gästegruppe enormes wirtschaftliches Potenzial: Sie reist häufig in der Nebensaison, bleibt länger und gibt mehr pro Aufenthalt aus. Die Hälfte der Menschen mit Behinderung würde häufiger verreisen, wenn es mehr barrierefreie Angebote gäbe. Von diesen profitieren nicht nur Menschen mit dauerhaften Behinderungen, sondern auch Senioren, Familien oder internationale Gäste.

Frau Dr. Kliesch, was genau ist der European Accessibility Act und warum ist er für Hoteliers relevant?

Dr. Kliesch: Der European Accessibility Act ist eine EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit. Deutschland setzt ihn durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz um. Die Anforderungen nach dem European Accessibility Act und dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gelten grundsätzlich ab dem 28. Juni 2025. Demnach müssen Unternehmen bestimmte digitale Produkte und Dienstleistungen, die sie nach dem Stichtag in Verkehr bringen bzw. erbringen, barrierefrei gestalten. Websites und Apps, einschließlich Buchungsplattformen, müssen ab dem 29. Juni 2025 barrierefrei sein.
Es sprechen gute Gründe dagegen, dass Check-In-Automaten in Hotels – anders als beispielsweise in Flughäfen – vom BFSG erfasst sind. Für eine abschließende Bewertung gilt es, eine Konkretisierung durch Behörden und Gerichte abzuwarten. Eine Verpflichtung zur Barrierefreiheit für Check-In-Automaten ist oft auch weniger dringend als für Websites und Apps, weil eine Übergangsfrist gilt.

Welche konkreten rechtlichen Anforderungen stellt der EAA/das BFSG an Hotels?

Dr. Kliesch: Hotels sollten ihre Websites und Apps nach den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) gestalten. Die Grundprinzipien lauten: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Ein Beispiel für das Kriterium der Wahrnehmbarkeit ist ein hinreichender Kontrast zwischen Schrift und Hintergrund. Die konkreten Anforderungen sind in drei Stufen untergliedert: A, AA und AAA. Stufe A beinhaltet grundlegende Anforderungen, Stufe AAA das höchste Maß an Barrierefreiheit. Hotels müssen A und AA erreichen.
Auf Websites und in Apps müssen Hoteliers eine gut auffindbare Barrierefreiheitserklärung bereitstellen. Diese muss unter anderem darlegen, wie sie die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen sowie die zuständige Marktüberwachungsbehörde benennen.
Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und maximal zwei Millionen Euro Jahresumsatz sind von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen. Die Anforderungen gelten auch nicht, wenn sie im Einzelfall eine unverhältnismäßige Belastung darstellen.

Gibt es Übergangsfristen für Hotels?

Dr. Kliesch: Für Websites und Apps gibt es keine Übergangsfristen. Sie müssen ab dem 29. Juni 2025 barrierefrei sein. Rechtmäßig genutzte Self-Service-Terminals im Anwendungsbereich des BFSG können bis zu 15 Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme verwendet werden.

Wie können Hoteliers diese Anforderungen praktisch umsetzen?

Hicks: Hotels sollten ihre digitalen Angebote systematisch analysieren und anpassen. Wichtig sind eine klare Website-Navigation, ausreichende Farbkontraste und alternative Texte für Bilder. Die Bedienung sollte auch ohne Maus möglich sein. Vereinfachte Buchungsformulare und mehrere Kommunikationskanäle verbessern die Zugänglichkeit für Reisende. Cloud-basierte Hotelsoftware deckt viele Barrierefreiheitsanforderungen ab und spart Entwicklungskosten. Hotels sollten auf integrierte Lösungen statt auf Einzelsysteme setzen, um unnötig komplexe Abstimmungen mit mehreren Anbietern zu vermeiden.

Wann sollten Hotels mit der Umstellung beginnen?

Hicks: Hotels sollten die Umstellung jetzt beginnen. Denn die Anpassungen des Webdesigns und der digitalen Systeme erfordert oft mehr Zeit als ursprünglich erwartet. Es schadet zudem nicht, bereits vor dem Geltungsbeginn der relevanten Gesetze die eigenen Produkte und Dienstleistungen entsprechend auszurichten – dann ist man auf der sicheren Seite.
Welche Konsequenzen drohen bei Nichteinhaltung des EAA/BFSG?
Dr. Kliesch: Neben Bußgeldern in Höhe von bis zu 100.000 Euro können Verbraucherverbände oder Mitbewerber Abmahnungen aussprechen und auf Unterlassung klagen, was zusätzliche Rechtskosten verursacht. Betroffene Gäste teilen negative Erfahrungen schnell in sozialen Medien und auf Bewertungsplattformen. Diese Reputationsschäden wirken oft nachhaltiger als die eigentlichen Sanktionen und können zu Buchungsrückgängen führen.

Welche Best Practices für barrierefreie Konzepte können Sie Hoteliers empfehlen?

Hicks: Erfolgreiche Hotels arbeiten von Anfang an mit spezialisierten Dienstleistern zusammen und binden betroffene Nutzer aktiv in Tests ein. Sie schulen ihre Mitarbeitenden zu Barrierefreiheit und inklusivem Service und arbeiten kontinuierlich an Verbesserungen.
Sinnvoll ist die Integration barrierefreier Lösungen in ohnehin geplante Website-Relaunches oder Software-Updates. Wichtig ist auch, Barrierefreiheit aktiv als Qualitätsmerkmal zu kommunizieren – etwa durch detaillierte Informationen zur Zugänglichkeit auf der Website, in Buchungsbestätigungen und in der Gästekommunikation.
Dr. Kliesch: Hoteliers sollten beachten, dass sowohl sie selbst als auch – zumindest mittelbar – ihre Technologieanbieter den Barrierefreiheitsanforderungen unterliegen, wenn sie in der EU bestimmte digitale Dienstleistungen anbieten. Eine Verantwortung für barrierefreie Angebote verbleibt jedoch häufig beim Hotel, wenn es digitale Tools oder Plattformen Dritter etwa einen Buchungsvorgang einbindet. Deshalb sollten Hoteliers gezielt nach Lösungen suchen, die den Barrierefreiheitsstandards entsprechen. Im Idealfall wird die Barrierefreiheit vertraglich festgehalten und durch Nachweise belegt.

Wie sehen Sie die Zukunft des barrierefreien Tourismus?

Dr. Kliesch: Die Erwartungshaltung an einen barrierefreien Tourismus wird voraussichtlich steigen. Möglicherweise werden auch die gesetzlichen Anforderungen strenger. Wer zeitnah und durchdacht handelt, kann sich insbesondere im Kontext einer alternden Gesellschaft strategische Vorteile verschaffen. Spezielle Dienstleister können helfen, Barrierefreiheit umzusetzen. Daneben sollten Rückmeldungen von Nutzenden ernst genommen werden – insbesondere dann, wenn sie gehäuft auftreten.
Hicks: KI, Sprachsteuerung oder Augmented Reality bieten zusätzliche Möglichkeiten, Angebote digital besser zugänglich zu machen. Der Markt für barrierefreies Reisen wächst stetig. Durch den EAA können Hotels sich neu positionieren und sich im Wettbewerb differenzieren.
Wenn sich Barrierefreiheit nahtlos in nachhaltige und inklusive Tourismuskonzepte einfügt, schafft dies Vorteile für alle Beteiligten: Hotels gewinnen neue Gäste und Menschen mit besonderen Bedürfnissen erhalten Zugang zu einer uneingeschränkten Guest Experience. Wer Barrierefreiheit nicht als lästige Pflicht, sondern als moralische Verpflichtung und strategische Chance begreift, wird langfristig profitieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Experten

Dr. Juliana Kliesch ist Counsel im Hamburger Büro von Bird & Bird und Mitglied des Commercial-Teams sowie der Sektorgruppe Technologie und Kommunikation.

Alisdair Hicks ist Director of Onboarding Operations bei der SHR Group, einem Unternehmen der Access Group. In seiner mehr als zwei Jahrzehnte langen Karriere war er maßgeblich an der Transformation von Hotel-Websites zu Tools beteiligt, die Direktbuchungen fördern und das Gästeerlebnis verbessern.

Bild von Michael Teodorescu

Michael Teodorescu

Als Chefredakteur der Fachmagazine first class und Kaffee & Co. widmet sich Michael Teodorescu seit 20 Jahren mit Leidenschaft den Themen Getränke, Kaffee und Gastronomie. Mit Gastro-Erfahrung und einem besonderen Gespür für Trends und Innovationen in der Branche verbindet er fundiertes Fachwissen mit einem starken Netzwerk. Sein Ziel: Leser mit spannenden Insights, praxisnahen Tipps und inspirierenden Geschichten rund um Genuss und Gastfreundschaft zu begeistern.

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