Der Tourismus ist eine der größten und am schnellsten wachsenden Branchen weltweit. Trotz des steigenden Bewusstseins für Umwelt- und Klimaschutz bleibt der Fremdenverkehr jedoch in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück, wenn es um das Thema nachhaltiger Tourismus geht. Ein Großteil der Bevölkerung gibt an, sich ein nachhaltigeres Reisen zu wünschen, doch die Realität sieht anders aus: Die Zahl der Flugreisen steigt, CO₂-Kompensation ist umstritten, und nachhaltige Buchungsangebote, wenn es sie denn gibt,werden zu selten genutzt. Doch liegt es allein an den Reisenden und ihren Entscheidungen? Gibt es zu wenig Anbieter und Unterkünfte, die nachhaltig agieren? Oder ist es nichtvielmehr ein strukturelles und politisches Problem? Wer ist schuld daran, dass der Tourismus nicht nachhaltiger wird?
Wunsch und Wirklichkeit – eine wachsende Diskrepanz
Im Jahr 2024 erreichte das Reiseaufkommen mit über 56 Millionen Personen (bei Aufenthalten von fünf Tagen und mehr) einen historischen Höchststand. Auch die Ausgaben für Ferienreisen stiegen auf einen Rekordwert von über 90 Milliarden Euro. Insgesamt wurden 68 Millionen längere Reisen gezählt, wobei das Ausland mit einem Marktanteil von 76 % weiterhin das beliebteste Ziel blieb. Gleichzeitig zeigt die FUR-Reiseanalyse 2024 (gefördert vom Bundesumweltministerium) ein wachsendes Bewusstsein für nachhaltige Mobilität im Urlaub:
- 48 % der Deutschen wünschen sich umweltfreundliche Angebote
- 62 % legen Wert auf sozialverträgliche Erlebnisse
Zwischen diesen Ansprüchen und dem tatsächlichen Verhalten klafft eine deutliche Lücke:
- Nur 11 % der gebuchten Reisen entfielen auf Angebote mit einer Nachhaltigkeitskennzeichnung
- CO₂-Kompensation wurde bei lediglich fünf Prozent der Reisen genutzt
- In nur drei Prozent der Fälle war Nachhaltigkeit das ausschlaggebende Entscheidungskriterium
- Flugreisen erreichten 2023 mit einem Anteil von 47 % einen neuen Höchstwert
- Umweltfreundlichere Alternativen wie Bahn und Bus kamen gemeinsam auf vier Milliarden Kilometer. Dem gegenüber stehen über 95 Milliarden Kilometern per Flugzeug.
Verantwortung ist vielschichtig
Eins ist sicher: Nachhaltiger Tourismus scheitert nicht an einem einzelnen Akteur. Dafür ist das System zu komplex, zu viele Entscheider haben Einfluss und zu viele Faktorenspielen eine Rolle – angefangen bei den Tourismusunternehmen über die Gäste bis hin zu politischen Vorgaben und industriellen Praktiken. In diesem Artikel beleuchten wir die Verantwortungsfrage mit Hilfe verschiedener Perspektiven und Stimmen aus dem Netzwerk der Green Pearls® Unterkünfte, um ein umfassenderes Bild zu zeichnen.
Die Anbieter – zwischen Ambition und Anpassung
Reiseveranstalter und Hoteliers sind sich ihrer Verantwortung bewusst, doch der Druck, wirtschaftlich bestehen zu müssen, bleibt hoch. Alexandra Huber, Inhaberin und Geschäftsführerin im Hotel My Arbor in Brixen, Südtirol, bringt es auf den Punkt: „Tourismusunternehmen haben eine große Verantwortung. Wirtschaftlicher Druck oder die Erwartung hoher Gewinne verhindern oft die vollständige Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen, wodurch nachhaltiger Tourismus gebremst wird.“ Christian Lechner vom OLM Nature Escape erkennt Unterschiede in der Haltung der Hoteliers: „Es gibt Unternehmerinnen und Unternehmer, die nachhaltige Angebote mit Überzeugung entwickeln, und solche, die nur anbieten, was die Mehrheitverlangt. Letztere dominieren leider noch.“

(Quelle: OLM Nature Escape)

José Koechlin, Gründer der Inkaterra Hotels in Peru, verweist auf strukturelle Schwächen. „Es fehlen klare Vorgaben und Anreize. Nachhaltigkeit darf nicht längeroptional sein. Wir glauben an gemeinsame Verantwortung und zeigen seit fast fünfzig Jahren, dass naturnaher Tourismus und Komfort sich nicht ausschließen.“

(Quelle: Inkaterra Machu Picchu Pueblo Hotel)

(Quelle: Inkaterra Reserva Amazonica)
Nachhaltig geführte Hotels wie die Green Pearls® profitieren zunehmend von der vorherrschenden positiven Wahrnehmung, wodurch nachhaltiger Tourismus gestärkt wird. Sie gelten als verantwortungsvoll, zukunftsorientiert und innovativ. Das stärkt ihr Profil und verschafft ihnen zugleich einen Wettbewerbsvorteil. Doch deutlich wird auch: Ohne verbindliche Vorgaben, eine stärkere Nachfrage der Reisenden und gezielte Anreize bleibt nachhaltiger Tourismus ein Idealeiniger weniger, statt breiter Realität.
Die Politik – Lenkung mit Potenzial, aber ohne Durchschlagskraft
Laut einer Studie von Booking.com aus dem Jahr 2025 glauben 36 Prozent der deutschen Reisenden, dass die Regierung das größte Potenzial hat, um die negativen Folgen des Reiseverkehrs zu mindern. 43 Prozent sind zudem überzeugt, dass Reisedienstleister durch konkrete Maßnahmen zum Umweltschutz beitragen können. Verbindliche Regelungenfehlen jedoch weitgehend. Stefan Bode, Geschäftsführer des Schwarzwald Panorama, fordert deutlich mehr Initiative: „Politik muss Rahmen schaffen und Innovationen fördern, sonst bleibt nachhaltiger Tourismus ein Nischenthema.“ Ähnlich äußert sich auch Alexandra Huber vom My Arbor, die sich klare gesetzliche Vorgaben, Förderungen und gezielte Programme wünscht.

(Quelle: GreenPearls)

(Quelle: Hotel My Arbor)
Nachhaltiger Tourismus kann von der Politik gefördert werden, doch es mangelt an der konsequenten Umsetzung. Trotz wachsender Erwartungen und auch Forderungen bleiben klare Vorgaben, finanzielle Anreize und strategische Steuerung bislang aus.
Die Reisenden – gut gemeinte Absicht, inkonsequente Umsetzung
Viele Menschen wollen nachhaltig reisen, buchen aber dennoch konventionelle Produkteoder verzichten auf CO₂-Kompensation. Es fehlen einfache, glaubwürdige und verständliche Angebote sowie das Vertrauen, dass das eigene Handeln etwas bewirkt. 59 % der Befragten in der Booking.com-Studie gaben an, nachhaltig verreisen zu wollen. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich: Für nur vier Prozent der Buchenden war Nachhaltigkeit das ausschlaggebende Kriterium – eine riesige Diskrepanz.
Außerdem glaubt ein Viertel der Befragten (27 %), dass der Klimawandel nicht mehr umkehrbar ist und ihre Entscheidung daran nichts ändern wird. Weitere 27 % schätzen die Bedrohung durch den Klimawandel als weniger gravierend ein. Steigende Kosten drücken das Thema Nachhaltigkeit weiter zurück: 72 % geben an, dass der Preis den größten Einfluss auf ihre Reiseplanung hat.
Ursula Wagner vom Naturresort Gerbehof weist auf diese Doppelmoral hin: „Viele propagieren Nachhaltigkeit, fliegen dann aber doch in den Urlaub. Die eigenen Werte werden dafür zurückgestellt.“ Auch Alexandra Huber (My Arbor) fordert, dass Reisendesich bewusst für nachhaltige Optionen entscheiden, auch wenn dies mit höheren Preisenverbunden sein kann.
Das Bewusstsein ist da, doch wenn es um konkrete Entscheidungen geht, sind die Reisenden oft inkonsequent. Fehlendes Vertrauen durch Greenwashing, zum Teil höhere Preise und ein Mangel an klaren, unkomplizierten Optionen bremsen die Umsetzung. Damit nachhaltiger Tourismus mehr als ein Lippenbekenntnis wird, braucht es bessere Angebote, eine klare und nachvollziehbare Kommunikation dieser und die Bereitschaft der Urlauber, persönliche Komfortzonen zu hinterfragen.
Greenwashing im Kleingedruckten
Ein weiteres Hindernis ist mangelnde Transparenz. Weltweit gibt es über 200 verschiedene Nachhaltigkeitslabels im Tourismus, die unterschiedlichste Kriterienberücksichtigen. Viele Anbieter werben mit oberflächlichen „grünen Maßnahmen“, ohne tiefgreifende Veränderungen durchzuführen, sogenanntes Greenwashing. Stefan Bode vom Schwarzwald Panorama warnt: „Der Fortschritt wird durch Greenwashing gehemmt. Reisende verlieren das Vertrauen und können echte Nachhaltigkeit nicht mehr erkennen.“ 64 % der Reisenden wünschen sich laut Booking.com einheitliche Nachhaltigkeitszertifizierungen über alle Buchungsportale hinweg. Klar ist also: Es muss leichter werden, nachhaltiger zu buchen.

(Quelle: Hotel Korinjak)

Nachhaltiger Tourismus: Der Wandel ist möglich
Trotz der Herausforderungen zeigt die Studie aber auch, dass immer mehr Reisende positive Erfahrungen mit nachhaltigen Angeboten machen und darin neue Perspektiven für sich entdecken. Sie fühlen sich als „beste Version ihrer selbst“, wenn sie nachhaltig reisen, schätzen authentische, lokale Aktivitäten, bevorzugen Wege zu Fuß, mit dem Rad oder ÖPNV und lassen sich durch nachhaltige Maßnahmen im Urlaub sogar für den Alltag inspirieren. Diese Zahlen machen auch Mut: Nachhaltiger Tourismus ist kein Verzicht, sondern eine Chance, das Reisen bewusster und bereichernder zu gestalten.
Gemeinsame Verantwortung – kein Schuldiger, sondern viele Beteiligte
Nachhaltiger Tourismus ist kein Ziel, das Einzelne im Alleingang erreichen können. Das Hotel Korinjak in Kroatien bringt diese Haltung klar zum Ausdruck.
»Der Tourismus muss sich weiterentwickeln, aber das ist nicht nur die Aufgabe einer einzigen Gruppe. Wir glauben, dass die Verantwortunggemeinsam getragen wird: von Reiseveranstaltern, Hotels und Gastgebern sowie den Reisenden selbst. Wir möchten Teil der Lösung sein, indem wir informieren, mit gutem Beispiel vorangehen und unsere Gäste dazuermutigen, achtsam und respektvoll mit der Natur umzugehen.«
Ana Grzincic, Hotel Korinjak
Auch die Eigentümerfamilie Spiss von den Summit Lodges Pfunds betont: „Konsument und Unternehmer sind gleichermaßen verantwortlich.“ Die Inhaberin vom LifestylehotelSAND, Marion Müller, ergänzt ihre Vorbildfunktion: „Wir schaffen einen Mikrokosmos, der inspirieren soll – für Gäste, Gemeinden und die Branche. Wir wollen durch Transparenz, Kommunikation und eigene Standards informieren.“

Viele Betriebe und Initiativen setzen sich bereits heute aktiv für eine neue Form des Reisens ein und zeigen, dass nachhaltiger Tourismus mehr ist als ein Trend: nämlich eine gemeinsame Aufgabe mit Zukunft. Gesetzliche Rahmenbedingungen, gezielte Förderung und verpflichtende Kennzeichnung nachhaltiger Angebote sind jedoch zwingendnotwendig, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Doch auch die Branche selbst kann viel tun: Wenn nachhaltiger Tourismus sichtbar, erlebbar und leicht zugänglich sind, können sie einen entscheidenden Impuls geben. Mutige Vorreiter, die Nachhaltigkeit als gelebte Haltung verstehen, setzen dabei neue Maßstäbe. Green Pearls® unterstützt diese dabei mit klaren Nachhaltigkeitskriterien und setzt sich mit seinen Partnern für mehr Transparenz ein. Nur durch Kooperation und gemeinsames Engagement kann der Wandel gelingen. Nachhaltiger Tourismus darf nicht im Kleingedruckten verschwinden, sondern muss zum sichtbaren und erlebbaren Standard werden. Dafür braucht es keine Schuldigen, sondern Akteure, die Verantwortung übernehmen.
Quelle: Greenpearls