Die Ernährungsstrategie der Bundesregierung stieß in der Bundestagsdebatte auf große Kritik.
Quelle: naum – stock.adobe.com

Bundestagsdebatte: Ernährungsstrategie stößt auf Kritik

Auf Widerspruch der Opposition, aber auch der FDP ist die Ernährungsstrategie der Bundesregierung „Gutes Essen für Deutschland“ (20/10001) gestoßen, die der Bundestag am Donnerstag, 11. April 2024, erstmals beraten hat. Die Vorlage wurde im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen.

Kritik aus der Außer Haus-Branche an der Ausgestaltung

Die Ernährungsstrategie widmet sich insbesondere der Außer-Haus-Verpflegung, da diese mit 17 Millionen Menschen, davon gut sechs Millionen Kinder und Jugendliche in Kitas und Schulen, einen großen Stellhebel für die erfolgreiche Umsetzung der Ernährungsstrategie darstelle. Dort sollen mehr pflanzliche, saisonale und möglichst regionale und ökologisch erzeugte Produkte auf die Speisepläne kommen.
In der Branche werden die Inhalte und Ziele tendenziell begrüßt, doch an der konkreten Umsetzung wird Kritik geübt.

Deutsches Tiefkühlinstitut: Mehr Unterstützung bei der Bewältigung

Sabine Eichner, Geschäftsführerin des Deutschen Tiefkühlinstituts (dti) begrüßt, dass mit der Diskussion um die Ernährungsstrategie die wichtige Rolle der Gemeinschaftsverpflegung mehr in den Fokus rückt. „Unredlich ist es jedoch, wenn die Politik den Betrieben der Außer-Haus-Verpflegung einfach Anforderungen diktiert und sie dann mit deren Bewältigung allein lässt“, betont Sabine Eichner, die besonders eine finanzielle und wirtschaftliche Herausforderung in der Umsetzung sieht. „Auch die geforderte Erhöhung des Bio-Anteils stellt eine Hürde für die Branche dar: Es gibt nicht genügend Bio-Produkte am Markt, diese sind zudem weiterhin sehr teuer.“ Dazu komme der Fachkräftemangel sowie die enormen Hygieneauflagen und bürokratischen Aufwände, beispielsweise für die Bio-Zertifizierungen. Statt nur Kritik zu üben, hat Sabine Eichner auch einige konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Ernährungstrategie parat:

  • Die Verpflegungssätze in Krankenhäusern müssen erhöht werden.
  • Ausschreibungen müssen mit entsprechendem Budget hinterlegt sein; bundesweit geltende Ausschreibungen brauchen einheitliche Standards, wie einen festen Kriterienkatalog mit Mindestanforderungen.
  • Die Bundesregierung muss Förderprogramme auflegen, damit zukünftig mehr Rohstoffe in Bioqualität erzeugt werden.
  • Auch die Umstellung auf energieeffiziente Großküchen- und Tiefkühltechnik sollte politisch gefördert werden.

Foodwatch: Hehre Ziele, Maßnahmen kaum wirkungsvoll

Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch, begrüßt ebenfalls die vielen hehren Ziele der Ernährungsstrategie, kritisiert aber, dass kaum wirkungsvolle Maßnahmen benannte werden, wie diese auch erreicht werden können. „In Schulen, Kantinen & Co. sollen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Standard werden – doch wie dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt unklar. Für Pflicht-Vorgaben in Schulen und Kitas wären die Länder zuständig“, verabschaulicht der Geschäftsführer. Anstatt nur abstrakte Zukunftsvisionen zu entwerfen, sollten sich die Politiker seiner Meinung nach ein Beispiel am Bürgerrat Ernährung nehmen: „Die Bürger:innen im Ernährungsrat haben an wenigen Wochenenden mehr geleistet als die Ampel-Koalition in zwei Jahren und konkrete Vorschläge für eine bessere Ernährungspolitik gemacht. (…) Die Bundesregierung muss die vielen sinnvollen Vorschläge des Bürgerrats jetzt umsetzen.“

Özdemir sieht darin große Chance

Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) betonte daher eingangs zur Debatte: „Was da auf den Teller kommt, ist für mich nicht nur eine Frage des Respekts, sondern es ist positiv gewendet, auch eine Riesenchance. Eine Riesenchance für alle, die gesund essen wollen. Es ist eine Riesenchance für unsere Wirtschaft, für unsere Unternehmen, die nachhaltige Lebensmittel und Mahlzeiten herstellen.“

Weiter führte Cem Özdemir aus: „Es ist eine riesige Chance, die Wertschöpfung einer pflanzenbetonten Ernährung mit saisonalen, regionalen Lebensmitteln aus unserer einheimischen, deutschen Landwirtschaft zu stärken. Und noch dazu können wir damit Klima- und Artenvielfalt schützen. In diesem Sinne ist gutes Essen ein Gewinn in jeder Hinsicht und wir sollten uns alle dahinter eigentlich versammeln können. Und genau dafür steht unsere Strategie.“

Rückenwind durch Empfehlungen des Bürgerrat Ernährung

Die vorgelegte Strategie umfasst:

  • die Förderung nachhaltiger Ernährungsumgebungen,
  • gutes Schul- und Kitaessen,
  • verbindliche Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung,
  • ein gesünderes Angebot durch weniger Zucker, Salz und ungesunde Fette in Fertiggerichten,
  • ein Verbot von Werbung für besonders zucker-, fett- oder salzhaltige Lebensmittel, die sich an Kinder unter 14 Jahren richtet,
  • ein nachhaltigeres Angebot durch Erhöhung des Bio-Anteils in der Gemeinschaftsverpflegung,
  • eine Reduzierung der Lebensmittelabfälle,
  • eine EU-weit verpflichtende Nährwertkennzeichnung,
  • die Förderung innovativer, pflanzlicher Proteinprodukte und
  • die Forschung zur Ernährungssituation in armutsgefährdeten Haushalten.

„Rückenwind“ verspricht sich Cem Özdemir durch die Empfehlungen des Bürgerrats „Ernährung im Wandel“, die Mitte Januar final abgestimmt wurden. Zudem wandle sich die Ernährung in Deutschland, viele äßen weniger Fleisch. Der Minister rief dazu auf, diese Veränderungen als Chance zu begreifen.

Kritik der CDU/CSU: Bevormundung statt Liberalität

Steffen Bilger (CDU/CSU) kritisierte das Timing des Ministers, dessen Strategie im Januar vorgelegt wurde, während der Bürgerrat seine Empfehlungen im März abgegeben hatte (Anm. d. Red.: veröffentlicht wurden die Empfehlungen kurz bevor die Ernährungsstrategie veröffentlicht wurde). Der Minister hätte diese Empfehlungen auch abwarten können, sagte der CDU-Abgeordnete. Im Januar sei es darum gegangen, mit der Strategie von den Bauernprotesten abzulenken. Von den Problemen der Landwirtschaft sei noch nichts substanziell gelöst, den Ankündigungen folgten keine Taten. Die Strategie zeige wenig Respekt vor den Länderkompetenzen und der Eigenverantwortung der Verbraucher und vermehre die Bürokratie.

Albert Stegemann (CDU/CSU) konnte die vom Minister verkündete Liberalität nicht identifizieren. Es gehe vielmehr um Bevormundung, man wolle weg von Fleisch und von Zucker. Die Gesellschaft werde in Gut und Böse gestaltet, nur die ökologische Landwirtschaft sei gut. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von 7 Prozent auf 19 Prozent bezeichnete Stegemann als „nackte Steuererhöhung“. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf Grundnahrungsmittel diene gerade dazu, dass sich auch Menschen mit schmalem Einkommen Fleisch leisten könnten. Cem Özdemir wolle die Tierhaltung in Deutschland abschaffen, die Union wolle sie weiterentwickeln.

SPD: Mindesthaltbarkeitsdatum reformieren

Rita Hagl-Kehl (SPD) wies darauf hin, dass 70 bis 80 Prozent der Krankheiten in Deutschland ernährungsbedingt seien, 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen seien übergewichtig. „Wir wollen niemanden umerziehen oder bevormunden“, sagte die bayerische Abgeordnete, doch müsse der Staat die Eltern unterstützen. Seit Corona würden Kinder mehr Medien konsumieren und sich weniger bewegen. Auch werde ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen in Deutschland von der Nahrungsmittelerzeugung verursacht. Rita Hagl-Kehl forderte ein Nachhaltigkeitslabel und erinnerte daran, dass 54 Prozent der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten stattfinde. Das Mindesthaltbarkeitsdatum müsse dringend reformiert werden.

Dass sich die Ernährung auch auf die kognitiven Fähigkeiten auswirke, betonte Peggy Schierenbeck (SPD). Der Zugang zu gesundem Essen sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Von der Kita an sollte auf pflanzliche Ernährung gesetzt und der Anteil von Zucker, Salz und ungesunden Fetten verringert werden. Die Ernährungsstrategie stütze sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse: Einmal Fleisch pro Woche reiche aus. Gesundes und nachhaltiges Essen sollte zu zwei Dritteln aus pflanzlichen und einem Drittel aus tierischen Lebensmitteln bestehen.

Kritik der FDP: Grüner Zeigefinger

Ingo Bodtke (FDP) kritisierte das Ampelprojekt heftig: „Ich sehe den grünen Zeigefinger!“ Dem Bürger solle vorgeschrieben werden, wie er sich zu ernähren habe. Der Verbrauch tierischer Lebensmittel solle auf ein „gesundheitsförderliches Maß“ gebracht werden. Das seien „völlig überzogene Erwartungen und Ansprüche“, so Ingo Bodtke. Die FDP wolle keine neuen staatlichen Verbote und Regulierungen. Vielmehr wolle man die Menschen motivieren, ihre Ernährungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen und setze dabei auf das Leitbild des mündigen Verbrauchers.

Bodtkes Fraktionskollege Dr. Gero Clemens Hocker wandte sich gegen pauschale Werbeverbote, deren Effekt marginal sei und die nicht den kritischen, hinterfragenden Konsumenten hervorbrächten. Gero Clemens Hocker appellierte an die Eigenverantwortung der Verbraucher.

Grüne: An Kinder gerichtete Werbung einschränken

Dr. Julia Verlinden (Bündis 90/Die Grünen) forderte eine Anpassung des Wettbewerbsrechts im Lebensmittelbereich, was die Marktmacht der Discounter angehe. Es brauche eine Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel. Der Ernährungsbildung maß Julia Verlinden einen hohen Wert zu. Auch müsse das Gesetz zur Einschränkung von an Kindern gerichtete Werbung „endlich kommen“. Bio-Verpflegung müsse gestärkt werden, die Ernährungsstrategie schlage konkrete Handlungsoptionen vor.

Fraktionskollegin Renate Künast sprach angesichts der FDP-Kritik von einer „ideologieorientierten Debatte“. Die FDP könne sich nicht über Fachkräftemangel beklagen, wenn sie nicht für die Gesundheit der Kinder sorge. Die Grünen wollten mit der Ernährungsstrategie Lebenschancen, eine gesunde Kindheit und ein gesundes Alter ermöglichen.

AfD: Diktat statt Strategie

Ablehnend positionierte sich die AfD-Fraktion. Die Regierung trete in beispielloser Arroganz in die Privatsphäre der Menschen ein, argumentierte Peter Felser. Die Strategie sei auf Lenkung und Verbote ausgerichtet. Werbeverbote lehne die AfD ab, weil sie zu weiterer Bürokratisierung führen würden. Es gehe der Ampel um vermeintliche Klimaziele, nicht um die Gesundheit der Bürger. Einen Widerspruch sah Peter Felser im Umgang mit den Bauern. Einerseits werde Regionalität gefordert, anderseits auf die regional verankerten Bauern eingedroschen. Die Bauernproteste seien der Ampel „völlig egal“. Lebensmittel müssten von außen importiert werden, „unsere Bauern gehen vor die Hunde“.

Peter Felsers Fraktionskollege Bernd Schattner sagte, es handele sich nicht um eine Strategie, sondern um ein Diktat, das in Schulen und Kindergärten bindend umgesetzt werden müsse. Das Papier sei ein weiterer Sargnagel für die Geflügel-, Rinder- und Schweinewirtschaft in Deutschland.

Linke: Steigende Ernährungsarmut

Kritik äußerte auch Ina Latendorf (Gruppe Die Linke), die von einer „abgehobenen Politik“ sprach. Die Strategie sei eine Auflistung von Prüfaufträgen und zeitlich befristeten Vorhaben.

Sie verwies darauf, dass die Lebensmittelpreise von Juni 2021 bis Januar 2024 um knapp 30 Prozent gestiegen seien, die Zahlen der von Ernährungsarmut Betroffenen stiegen. Ina Latendorf rief dazu auf, allen Kindern und Jugendlichen kostenfreies Essen zu garantieren.

info

Welche Ziele hat die Ernährungsstrategie für die Gemeinschaftsverpflegung ausgerufen?

Die im Januar verabschiedete Ernährungsstrategie der Bundesregierung betrifft in einigen Punkten auch die Außer-Haus-Verpflegung, vor allem die Kita- und Schulverpflegung. Die Ziele im Überblick.
Wie lauten die Empfehlungen des Bürgerrat Ernährung?

Quelle: Deutscher Bundestag, dti, foodwatch

Mehr zum Thema

BuL-MedienGesellschaft_RGB_kurz
transparent_gif

Jetzt uneingeschränkten Zugang
zu allen News bekommen!

Einfach kostenfrei registrieren.

Die Registrierung beinhaltet unsere kostenlosen Newsletter für den Außer-Haus-Markt. Den Newsletterbezug können Sie jederzeit über Ihren Account anpassen.

Sie haben jederzeit die Möglichkeit der Verwendung Ihrer Daten zu wiedersprechen. Benutzen Sie dazu den in der Newsletter-Mail befindlichen Abmelde Button. Hier finden Sie unsere Datenschutzerklärung und die Widerrufsbelehrung.