Der erste Kongress im Münchner Haus der Kost machte dem Anspruch des neuen Beratungszentrums, Drehscheibe für die Ernährungswende zu sein, alle Ehre. Rund 250 Teilnehmende aus Politik und Kommunen, Lebensmittelproduktion, Landwirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Verbänden und Organisationen sowie der Gemeinschaftsgastronomie kamen am 9. Juli 2025 in München zusammen.
Essen, das wir morgen lieben



Unter dem Motto „Essen, das wir morgen lieben – wie wir Trends setzen und Zukunft gestalten“ standen zwei Fragen im Fokus: Wie gelingt echter Wandel in der Außer-Haus-Verpflegung? Und welche Rolle spielen dabei heimische, pflanzliche Proteine?
Fünf Referenten spannten den Bogen vom Acker zum Teller: von der Eiweißpflanzenstrategie der Bundesregierung, über hitzeresistente Pflanzenkulturen bis hin zur Revolution auf den Tellern in Form von Protein Punks. Best Practice-Beispiele aus Berlin und Dänemark lenkten den Blick auf mehr Bio in der Gemeinschaftsgastronomie.
Beim abschließenden Mitmach-Talk konnte sich das Publikum aktiv einbringen und mit den Referenten über Herausforderungen und Lösungsansätze diskutieren.
Begleitet wurde der Kongress von einer Vernetzungsmesse, auf der sich 17 Organisationen, Erzeugerbetriebe und Institutionen präsentierten und die rege besucht wurde.
Ein Jahr Haus der Kost
Eingangs zog Dr. Rudolf Nützel, Leiter des Geschäftsbereichs Naturschutz und Biodiversität, vom Referat für Klima- und Umweltschutz, wo das Haus der Kost innerhalb der Stadt München mitverortet ist, Bilanz: Innerhalb des ersten Jahres seit Start habe das Haus der Kost es geschafft, zur Drehscheibe der Ernährungswende in München zu werden. Damit unterstütze es den notwendigen Transformationsprozess. „Unsere Stadt hat Strategien zum Schutz natürlicher Ressourcen und zur Anpassung gegen den Klimawandel entwickelt und sich zum Ziel gesetzt bis 2035 klimaneutral zu sein. Einen wichtigen Impact hat dabei auch, wie sich München ernährt und mit Lebensmitteln versorgt.“
Claudia Frey, CFO der UnternehmerTUM & CEO des Munich Urban Colab, welches das Haus der Kost beheimatet, ergänzte: „Das Haus der Kost ist ein lebendiger Ort des Austauschs, der Inspiration und der konkreten Veränderung. Umso besser passt es hier ins Colab, wo tagtäglich Menschen an Innovationen tüfteln. Wir sind stolz, euch – als Leuchtturmprojekt in unserem Ökosystem – beheimaten zu dürfen.“
Programm vom Acker bis zum Teller

Der Kongress bot den rund 250 Gästen vielfältige und inspirierende Einblicke. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette „Vom Acker bis zum Teller“ konnten die Besucher spannende Einblicke gewinnen.
Protein Punks

„Die Plant-based-Bewegung befindet sich an einem Tiefpunkt. Die Ersatzprodukte waren eben nicht von Tag 1 an so geil, als dass man sie nach dem ersten Probieren erneut gekauft hätte. Die Rezepturen und die Kommunikation sind anzupassen, um aus der aktuellen Phase der Desillusionierung herauszukommen. Je besser das gelingt, umso eher werden die Produkte den Sprung in den Mainstream schaffen.“
Daniel Anthes, Zukunftsforscher
Highlight des Kongresses war Keynote-Speaker Daniel Anthes mit seinem mitreißenden und auch provokanten Vortrag „Protein Punks“. Der Zukunftsforscher und „Sustainability Ninja“ zeigte auf, wie radikal sich unsere Ernährung verändern könnte – und warum das eine Chance ist.
Er stellte neue Proteinquellen vor, die den Speiseplan der Zukunft prägen könnten: von Präzisionsfermentation und zellkultiviertem Fleisch über Insekten bis hin zu Lebensmitteln kultiviert im Meer oder per Vertical Farming statt auf den knapp werdenden Ackerflächen. „Wir können mittlerweile tierische Proteine mithilfe von Mikroben nachstellen“, betont Anthes und macht klar: Die Zukunft des Essens wird technologisch, aber auch nachhaltig.
Allerdings befördere die gesellschaftliche Stimmung den Durchbruch derartiger Alternativen nicht gerade. „Die Menschen haben aktuell keinen Bock, die Welt zu retten“, zitierte Daniel Anthes den Ernährungsaktivisten Godo Röben und verweist auf die Omnikrise als Grund.
Plant-based ist am Tiefpunkt
Zwar nimmt der Flexitarismus zu, und auch der Fleischkonsum sinkt, wenn auch langsam, doch Ersatzprodukte stoßen oft noch auf Skepsis. Die Plant-based-Bewegung befindet sich an einem Tiefpunkt: Viele Produkte seien „teurer, mäßig im Geschmack“ und hätten Erwartungen enttäuscht. Dennoch sieht er darin eine Chance, die Kategorie qualitativ weiterzuentwickeln.
Parallel wichtig sei eine andere Art der Kommunikation: mit mehr Emotion und einer positiveren Sprache. Beispielsweise empfiehlt Anthes, nicht von „Ersatzprodukten“, sondern von „Bereicherungsprodukten“ zu sprechen. Der Teller der Zukunft soll vielfältig sein: Gemüse, Hülsenfrüchte, Fleisch, pflanzliche Alternativen und Novel Food nebeneinander.
Klimawandel bringt Local Exotics
Ein besonderes Augenmerk liegt laut Anthes auf der Regionalisierung. Durch Klimawandel und innovative Anbaumethoden gedeihen vermeintlich exotische Pflanzen immer öfter vor der Haustür. Erdnüsse in Deutschland, Garnelen und Melonen aus Bayern, Quinoa aus dem Odenwald, Reis aus Österreich – diese „Local Exotics“ stehen für resiliente Ernährungssysteme. Gleichzeitig mahnt Anthes, die Gefahren der Monokulturen nicht zu unterschätzen. Die bedrohte Cavendish-Banane symbolisiere ein Landwirtschaftssystem, das Biodiversität zugunsten von Erträgen opfert.
Abschließend appellierte Anthes, nicht im Pessimismus zu verharren. „Wir müssen wissen, wofür wir sind“, appelliert er und zitiert Martin Luther King: „Er hat nie gesagt: Ich habe einen Albtraum.“ Mit Neugier, Mut und Offenheit könne die Ernährungswende gelingen.
Dänisches Vorbild für das Haus der Kost

„Wir In Dänemark machen einfach, statt erstmal groß drüber zu reden wie hier in Deutschland. Klar spielen politische Rahmenbedingungen und landwirtschaftliche Anreize auch eine Rolle, doch: Man muss nicht alles auf die Politik schieben, Veränderung kann auch von unten kommen – und eine Gemeinschaft, wie hier im Haus der Kost, ist das, was verändert.Ihr habt alles, was ihr braucht – was fehlt, ist die Vision.“
Tanja Asmussen, Königlich Dänische Botschaft Berlin
Tanja Asmussen von der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin stellte als Best Practice das House of Food beziehungsweise Meyers Madhus in Kopenhagen vor. Deren Ansatz diente auch als Vorbild für das Haus der Kost in München sowie die anderen deutschen Ernährungshäuser, die „Kantine Zukunft“ in Berlin sowie das „Forum Küche“ in Bremen.
Das Ziel war die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Mahlzeiten, politisch initiiert. Der Haken an der Sache: Qualität lässt sich schwer objektiv festmachen. Die Lösung: Eine Umstellung auf 100 Prozent Bio-Zutaten. „Bio war und ist ein Mittel um Messbarkeit zu ermöglichen. Auch in Deutschland habt ihr entsprechende Möglichkeiten, wie mit dem neuen Bio-Logo in Bronze, Silber und Gold für Außer-Haus-Betriebe. Man sieht diese nur leider noch kaum in der Praxis!“, betonte Asmussen.
Dabei sei Bio kein Hexenwerk: „Erst ab einem Bio-Anteil von 60 Prozent beginnt es, schwierig zu werden“, so die Erfahrung von Tanja Asmussen, die aber betonte, dass es dafür in Küchen eine andere Herangehensweise brauche. „Nur die Ware auszutauschen reicht nicht, man muss die Menschen mitnehmen, Küchenpersonal schulen und die Gäste einbeziehen!“, appellierte sie.
Das Erfolgsrezept der dänischen Ernährungswende brachte sie folgendermaßen auf den Punkt: „Wir machen einfach, statt erstmal groß drüber zu reden wie hier in Deutschland.“ Adäquate politische Rahmenbedingungen und landwirtschaftliche Anreize spielten natürlich auch eine Rolle, doch: „Man muss nicht alles auf die Politik schieben, Veränderung kann auch von unten kommen – und eine Gemeinschaft, wie hier im Haus der Kost, ist das, was verändert“, betonte sie. „Ihr habt alles, was ihr braucht – was fehlt, ist die Vision.“
Erfahrungen der Kantine Zukunft Berlin
„Das Erfolgsrezept der Kantine Zukunft? Wir sprechen auf Augenhöhe mit den Küchenteams und helfen dabei einfache, aber lecker schmeckende Rezepturen zu verwenden, ohne Klassiker und Renner wie die Currywurst zu streichen.“
Patrick Wodni, Kantine Zukunft
Patrick Wodni von der Kantine Zukunft stellte in seinem Impuls die Aktivitäten der „Kantine Zukunft“ in Berlin vor, das bisherige deutsche Leuchtturmprojekt in puncto Ernährungswende und Umsetzung von Bio in der Gemeinschaftsverpflegung. In den vergangenen fünf Jahren haben 200 Küchen mit zwischen 75 und 12.500 Mahlzeiten das Programm durchlaufen und ihren Bio-Anteil auf 15 bis 90 Prozent, je nach Budget, gesteigert. Neben finanziellen Restriktionen betonte Wodni auch, dass die personellen Ressourcen vermehrt eine Herausforderung für Change-Prozesse seien. Das Erfolgsrezept der Kantine Zukunft? Man spreche auf Augenhöhe mit den Küchenteams und helfe dabei einfache, aber lecker schmeckende Rezepturen zu verwenden, ohne Klassiker und Renner wie die Currywurst zu streichen. Von den Rezepten können übrigens Großküchen auch bundesweit profitieren: indem sie sich das Kochbuch „Currywurst und Grünzeug“ der Kantine Zukunft bestellen, oder die Rezeptdatenbank online abrufen, wo auch ein Portionsrechner und CO2-Tool hinterlegt sind.
Eiweißpflanzenstrategie
Dem Thema heimischer, pflanzlicher Proteine von politischer und landwirtschaftlicher Seite näherten sich Viola Molkenthin und Dr. Klaus Fleißner.
Viola Molkenthin vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat stellte die Eiweißpflanzenstrategie der Bundesregierung und Ansätze zu deren Weiterentwicklung vor, gab Einblicke in die aktuelle Förder- und Projektlandschaft des Ministeriums und stellte das Engagement des Ministeriums für neue und alte Hülsenfrüchte wie Erbse, Linse oder Kichererbse in Deutschland vor.
Auch die Gemeinschaftsgastronomie spielt hier eine Rolle. So verfolgt das Projekt Heldenbohne aus Hessen das Ziel, über den Hebel der GV den Anbau und Genuss von regionalen Linsen, Bohnen & Co. um 3 bis 9 Prozent zu steigern. Beim Projekt WKerBo-Erbse und Bohne sollen zudem gezielt vegane Fleischalternativen für die Großküche entwickelt werden.
Erdnuss und Sesam bald in Bayern
Dr. Klaus Fleißner von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft stellte die Perspektive des Anbaus und in diesem Rahmen neue wärmeliebende und trockentolerante Kulturarten vor, die in Deutschland an Bedeutung gewinnen werden. Beispielsweise könnten künftig die Erdnuss oder auch Sesam auf bayerischen Äckern gedeihen. Am viel versprechendsten ist laut Fleißner die Augenbohne, eine der wichtigsten pflanzlichen Eiweißquellen Afrikas. Sie könne ohne weitere Aufbereitung in der menschlichen und tierischen Ernährung eingesetzt werden.
Bis dahin brauche es jedoch noch einiges an Forschung, und vor allem langfristige Fördermittel dafür, betonte er. Sein Fazit: „Es gibt so viele Möglichkeiten, unsere Landwirtschaft klimaresilient aufzustellen, aber wir brauchen Mut zur Veränderung.“
Über das Haus der Kost


Als erstes Beratungszentrum der Stadt München für nachhaltiges Kochen begleitet das Haus der Kost Küchenteams der Außer-Haus-Verpflegung praxisnah, kostenfrei und individuell auf ihrem Weg hin zu mehr Bio, Regionalität und Saisonalität.
Das Haus der Kost ist ein Leitprojekt des Sachgebiets Nachhaltige Ernährung im Referat für Klima- und Umweltschutz.
Mit seinem ersten Kongress kommt das Haus der Kost dem politischen Auftrag nach, Drehscheibe der Ernährungswende zu sein. Es zeigt auf, wie die lokale Wertschöpfungskette gestärkt werden kann, und bringt relevante Akteure zusammen, um die Lebensmittelversorgung von München resilienter zu machen.
Quelle: B&L MedienGesellschaft

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