Sören Hilschenz, Abteilungsleiter Hochschulgastronomie des Studierendenwerks Ost:Brandenburg, im Interview über das Projekt NahWertVoll, Regionalität und Grenzen von Bio.
Quelle: Hilschenz

Nachgehakt bei Sören Hilschenz: NahWertVoll – was steckt dahinter?

Im Rahmen des „Modellregionenwettbewerb – Ernährungswende in der Region“ erhielt das Studierendenwerk Ost:Brandenburg kürzlich eine Förderung. Wie Nachhaltigkeit bereits jetzt gelebt wird, berichtet Abteilungsleiter Hochschulgastronomie Sören Hilschenz.

Sören Hilschenz im Interview

Sören Hilschenz, 33 Jahre alt, ist Abteilungsleiter für Hochschulgastronomie und stellvertretender Geschäftsführer des Studierendenwerks Ost:Brandenburg. Sein beruflicher Werdegang begann mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL). Im Anschluss war er bis Ende 2019 als Verkaufsleiter in einer Großbäckerei tätig. Am 1. Januar 2020 wechselte er zum Studierendenwerk Ost:Brandenburg als Leiter der Hochschulgastronomie. In dieser Funktion ist Sören Hilschenz verantwortlich für zehn gastronomische Einrichtungen, die jährlich rund 500.000 Mittagsportionen für Studierende und Mitarbeiter anbieten. Auch Caterings leistet das 89-köpfige Gastronomie-Team, für das er Personalverantwortung trägt.

Herr Hilschenz, das Studierendenwerk Ost:Brandenburg wurde im Sommer als eine Modellregion für die Ernährungswende ausgewählt und wird in diesem Zuge vom BMEL gefördert, um sich noch nachhaltiger aufzustellen. Inwieweit motiviert diese Unterstüt­zung Sie und Ihr Team zusätzlich?

Wir sind bereits total motiviert. Ich glaube, dass sich die ganze Branche, mit oder ohne Förderung, in Zukunft noch nachhaltiger aufstellen wird. Schließlich gibt es viele Überschneidungen zwischen ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit. Wir werden durch die Projektförderung nichts grundsätzlich anders machen, aber wir denken, dass wir dadurch einen richtigen Schub für unsere Bemühungen bekommen. Es wird Veränderungsprozesse vereinfachen, indem wir zusätzliche Mittel für Schulungen, Coachings und Gastkommunikation erhalten und zwei Projektstellen finanzieren können.

Mit dem Projekt „NahWertVoll“ zielen Sie darauf ab, den Einsatz regionaler und ökolo­gischer Lebensmittel zu erhöhen: Wie hoch schätzen Sie den Anteil regionaler Lebensmit­tel am Gesamteinkauf bereits jetzt ein? Wie hoch ist der Bio-Anteil aktuell?

Regionalität ist wirklich ein schwieriges Thema. Als öffentlicher Auftraggeber steht uns das Vergaberecht bei der gezielten Beschaffung von regionalen Lebensmitteln im Weg. Im Rahmen von Projekten wie GanzTierStark (Bio-Weiderind für Kantinen) oder KlimaKitchen (Tempeh und Seitan aus regionaler Her­stellung) ist es uns in der Vergangenheit ge­lungen, Wertschöpfungsketten in der Region, also Brandenburg oder einem benachbarten Bundesland, aufzubauen und wollen dies auch im Rahmen von NahWertVoll tun. Hier werden wir vor allem Hülsenfrüchte in den Blick nehmen, die wegen vieler guter Gründe zuneh­mend auf dem Speiseplan stehen, aber noch zu wenig in der Region angebaut, verarbeitet und vertrieben werden. Den Anteil an regio­nalen Produkten auf dem aktuellen Speiseplan zu schätzen, traue ich mir noch nicht zu. Wir werden das im Laufe des Projektes auswerten.

Der Bio-Anteil lässt sich schnell aus der Warenwirtschaft ziehen: Wir lagen hier im letzten Jahr bei 13 Prozent und wollen zum Ende des Jahres bei 20 Prozent liegen. Zum Ende des Projektes NahWertVoll im Jahr 2027 sollen 30 Prozent erreicht werden.

Inwieweit sehen Sie Beschaffungsprobleme als Hindernis, sich noch regionaler bzw. verstärkt in puncto Bio auszustellen?

Insbesondere im Südosten von Brandenburg, an unseren Standorten Cottbus und Senftenberg, haben wir Herausforderungen beim Bezug von frischem Bio-Gemüse. Aber selbst bei vermeintlich einfach verfügbaren Bio-MoPro machen lange Vorbestellzeiten und Besorgerartikel die Umstellung schwerer und selbst bei Trockenware wie Linsen oder Reis fällt bei Bio öfter mal eine Lieferung mangels Verfügbarkeit aus. Das wird sich ändern, wenn die Bio-Nachfrage sowie das entsprechende Angebot steigt und in noch weiterer Zukunft vielleicht sogar Bio der Standard ist und man nur noch das letzte Drittel aus „konventioneller“ Erzeugung kauft.

Die Umstellung von Schweine- und Geflügelfleisch auf Bio sehe ich in ganz weiter Ferne, eigentlich unter den aktuellen Rahmenbedingungen für uns noch gar nicht. Die durchaus gerechtfertigten Mehrkosten dafür sind einfach zu hoch und mit unseren aktuellen Wareneinsatzgrenzen unvereinbar. Sollte die Mehrheit unserer Gäste Fleisch nur als Topping akzeptieren, könnte es gehen. Aktuell ist der komplette Wegfall der klassischen Fleischgerichte jedoch undenkbar. Die Umstellung einzelner Fleischsorten, in unserem Fall aus Bio-Weiderind, funktioniert. Diese Gerichte sind dann entsprechend teurer oder haben einen geringeren Fleischanteil auf dem Teller.

An zwei Ihrer Standorte gab es in der Vergan­genheit je ein Gericht, das zu 100 Prozent aus Bio-Zutaten bestand – warum wird dies in dieser Form nicht mehr umgesetzt?

Richtig, bis 2020 gab es an einigen Standort ein Bio-Gericht. Dieses war entsprechend teurer und wurde seltener gekauft.

Für ein Bio-Gericht müssen alle Zutaten in Bio-Qualität eingekauft werden, von der Hauptkomponente über die Gewürze bis hin zum Bratöl. Dadurch hatten wir viele Rohstoffe doppelt in der Küche und im Lager. Außerdem trieben einige Zutaten den Preis überproportional in die Höhe, ohne dass dies immer mit einer spürbaren Qualitätsverbesserung einherging. Mit dieser Strategie erreichten wir einen Bio-Anteil von nur zwei Prozent.

Warum haben Sie sich für eine Bio-Zertifizierung nach Zutaten statt für Menüs entschieden?

Die Zutatenzertifizierung ermöglicht es, im Vorfeld genau zu überlegen, bei welchen Rohstoffen der Mehrpreis für Bio-Produkte überschaubar ist oder wo die Umstellung auf Bio über den gesamtgesellschaftlichen Wert hinaus eine Bereicherung für den Gaumen des Gastes bieten könnte. Auch können beschaffungskritische Rohstoffe einfach weiterhin in konventioneller Qualität eingekauft werden. Wir können unseren Bio-Anteil behutsam und marktorientiert wachsen lassen.

Ist ein hoher Bio-Anteil ein Kaufkriterium für Ihre Gäste oder ist der Preis ggf. auch ein Dämpfer?

Unsere Gästeumfragen ergeben immer, dass sehr viel Wert auf Tierwohl gelegt wird und im Zweifel dafür auch mehr gezahlt werden würde. Leider ist hier auch ein Stück weit das Phänomen der sozial erwünschten Antworten zu beobachten, denn ganz klar werden mehr Fleischgerichte verkauft, wenn diese einer günstigen Preiskategorie zugeordnet sind, während an Tagen mit einem verhältnismäßig teuren Fleischgericht noch mehr fleischlose Gerichte verkauft werden als sonst schon.

Unter den Studierenden ist die Bereitschaft zur fleischlosen Ernährung jedoch deutlich ausgeprägter als im Durchschnitt unserer Gesellschaft. Nur ein Drittel unserer verkauften Essen enthält Fleisch oder Fisch. Würden tatsächlich nur Studierende unsere Mensen be­suchen, wäre diese Zahl vermutlich noch etwas geringer. Die Gründe dafür liegen nicht nur beim Preis, sondern auch bei den Themen Tier­wohl, Klimaschutz, Gesundheit, Lifestyle usw.

Auch ein höherer Bio-Anteil wird von der Mehrheit unserer Gäste gewünscht. Ich gebe zu bedenken, dass zu „unseren“ Hochschulen auch die Hochschule für nachhaltige Entwick­lung in Eberswalde gehört. Die Bereitschaft, oder besser gesagt die Möglichkeit, höhere Essenspreise zu bezahlen, ist jedoch begrenzt. Ein Drittel der Studierenden in Deutschland muss mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen, elf Prozent sogar mit weniger als 400 Euro. Davon muss zuerst ein Schlafplatz finanziert werden und es gibt leider recht viele Studierende, die bei der Essenswahl genau auf den Preis schauen müssen.

Die Erwartung ist daher klar: Mehrkosten für ökologisch erzeugte Lebensmittel müssen an anderen Stellen eingespart werden. Das bedeutet einen weitestgehenden Verzicht auf Convenienceprodukte und eine gute Menü­planung mit einfachen und ehrlichen, aber trotzdem attraktiven Gerichten mit einem sehr hohen Anteil an Gemüse, Getreide und Hül­senfrüchten. In den Küchen führt der höhere Handwerksanteil zu einer höheren Arbeitsbe­lastung, weshalb wir in allen Mensen nur noch drei Menülinien pro Tag anbieten. Vor einigen Jahren gab es bis zu fünf verschiedene Essen zu denen teilweise noch verschiedene Beilagen gewählt werden konnten. Das lässt sich mit unserer neuen Arbeitsweise aber nicht mehr bewerkstelligen und verursacht auch höhere Kosten durch mehr Lebensmittelabfälle etc.

Ergreifen Sie in Ihrem Betrieb auch Maßnahmen in puncto Lebensmittelverschwendung, die zusätzlich die Nachhaltigkeit fördern?

Die Reduzierung der Menülinien führt auch zu weniger Lebensmittelabfällen. Weitere Maß­nahmen werden wir im Rahmen des Projekts NahWertVoll suchen und testen.

Was ist in Ihren Augen, der größte Knackpunkt, wenn es darum geht, als GV-Betrieb nachhaltiger zu werden?

Natürlich wäre alles einfach, wenn man nicht auf die Kosten achten müsste. Ich denke, fast jeder in der Branche muss mit Budgetrestriktionen leben und generell ist die Zahlungsbereitschaft der Gäste in der Gemeinschaftsverpflegung nicht allzu üppig. Kaum jemand wird daher sein Sortiment 1:1 auf bio-regional umstellen können. Das geht nur schrittweise und erfordert viele Veränderungen. Neue Rezepte, andere Rohstoffe, neue Arbeitsweisen, vielleicht auch das eine oder andere neue technische Hilfsmittel in der Küche. Alles sollte von einer intensiven Kommunikation mit den Gästen begleitet werden. Alles macht erst einmal Arbeit, manches wird nicht klappen. Und überhaupt: Die wenigsten Menschen freuen sich über Veränderungen am Arbeitsplatz, die sie nicht selbst initiiert haben.

Fällt es Ihnen manchmal schwer, als positives Beispiel in puncto Nachhaltigkeit voran zu gehen? Wo könnten Sie beruflich/privat noch nachhaltiger werden?

Ich bin viel mit der Bahn unterwegs und esse sehr wenig Fleisch, aber natürlich habe auch ich meine Schwächen. Ich muss auch zugeben, dass Nachhaltigkeit allein aus meiner Sicht doch ein eher abstrakter Wert ist, den ich im Alltag recht schwer verinnerlichen kann.

Für meine Motivation ist es sehr förderlich, wenn ich mir vor Augen führe, welche kurzfristigen Vorteile eine mögliche Verhaltensänderung mit sich bringen könnte. Wenn ich zum Beispiel mit der Bahn fahre, spare ich Geld, muss weniger sitzen und bin gezwungen pünktlich Feierabend zu machen. Nach einem pflanzenbasierten Essen fühle ich mich besser und leistungsfähiger als nach einem Schnitzel. Das bringt mir schnell einen spürbaren Mehrwert. Glücklicherweise hat eine Fokussierung auf Nachhaltigkeit in den allermeisten Fällen viele positive Nebeneffekte.

Mit der Saisonalität tue ich mich persönlich schwer. Ich möchte zum Beispiel auch im Winter frische Beeren essen, und wenn ich dann die Bio-Blaubeeren aus Chile in den Einkaufswagen lege, ist das nicht besonders nachhaltig, und so könnte man sicher auch in anderen Lebensbereichen Dutzende von Beispielen finden, die weit vom Ideal entfernt sind. Ich werde mich also hüten, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.

Mit welchen drei Worten würden Ihre Kollegen/Mitarbeiter Sie beschreiben?

Innovativ, ambitioniert, hilfsbereit.

Welches „nachhaltige“ Gericht schmeckt Ihnen am besten?

Ich achte persönlich sehr auf eine gesunde Ernährung, was das Essen zu großen Teilen auch „nachhaltig“ macht. Ein Lieblingsgericht kann ich nicht benennen. Die Vielfalt macht es. Ich freue mich, wenn ich neue Zutaten und neue Kombinationen probieren kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Warum sich die Umstellung auf Bio lohnt

Wie gut sind gastronomische Betriebe in Sachen Bio aufgestellt? Und warum lohnt sich die Umstellung auf Bio? Sonja Grundnig, Leiterin des Bereichs Außer-Haus-Markt bei Bioland, im Gespräch.

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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