Die Pandemie hat den Einsatz digitaler Kommunikationstechniken vorangetrieben. Video-Calls ersetzen immer häufiger das klassische Telefonat und der Einsatz digitaler Techniken gilt als smarte Art des Lernens. Digitale und oft sogar kostenlose Fortbildungstools wie Webinare, Webtalks oder Workshops werden von vielen Anbietern zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus gibt es Online-Plattformen, die sich auf digitale Weiterbildungsprogramme für unterschiedliche Branchen und Bedarfe spezialisiert haben. Daneben programmieren Agenturen passgenaue Qualifizierungskonzepte für E-Learning-Tools wie Lern-Apps. Die Branche boomt, mit einem Wachstum von 900 Prozent seit dem Jahr 2000 ist digitales Lernen der am schnellsten wachsende Markt in der Bildungsbranche. Und weltweit investieren IT-Firmen weiter in die Entwicklung immer neuer E-Learning-Programme. Digitale Tools werden als Neuerfindung des Lernens gefeiert, die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen:
- Lernen – zu jeder Zeit, an jedem Ort, auf jedem Endgerät
- Effizienter und kostensparender Einsatz, auch bei knappen Weiterbildungsbudgets
- Möglichkeit zur Mehrsprachigkeit
- Kostengünstiges Onboarding neuer Mitarbeiter
- Schneller und gleichzeitiger Wissenstransfer auch an eine große Mitarbeiterzahl
- Quasi unbegrenzte Wiederholung/Nutzung
Chancen & Grenzen digitaler Weiterbildung
Auch in der Gemeinschaftsgastronomie werden digitale Lerntools zunehmend genutzt, z. B. für Pflichtschulungen im Lebensmittelbereich. Aber auch E-Learning-Kurse zu fachlichen und psychosozialen Themen sind im Kommen. Doch lernen Menschen mit dieser Form der Weiterbildung erfolgreicher? GVMANAGER ging dieser Frage nach und sprach für Teil 3 unseres Weiterbildungs-Navis mit Thomas Mattern, Trainer und Systemischer Coach, über Chancen und Grenzen digitaler Weiterbildung. Der Küchenmeister ist Dozent der VKD-Online-Schulung „Digitalisierung“:
Definition E-Learning
Der Begriff kommt aus dem Englischen und bedeutet elektronisch unterstütztes Lernen oder nur elektronisches Lernen. E-Learning beschreibt damit alle Lernformen, die durch elektronische, technische oder digitale Medien unterstützt werden.
Herr Mattern, welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Trainerpraxis, wenn es um digitale Weiterbildung geht?
In der Gastronomie- und GV-Branche steckt das Gesamtpaket „Digitales Lernen“ noch in den Kinderschuhen. Und zwar deshalb, weil die Idee für die Umsetzung in die Praxis fehlt und die technischen, inhaltlichen und monetären Faktoren noch nicht überschaubar sind. Und weil es noch zu kompliziert ist, für die eigenen Anforderungen betriebsspezifische, eigene Lernplattformen und Lerninhalte zu erstellen.
Auf der anderen Seite gibt es doch einen enormen Hype um E-Learning?
Manch Arbeitgeber hat falsche Vorstellungen: Das Lernen funktioniere von selbst, ohne sich kümmern zu müssen. Man müsse keine Leute mehr auf teure Seminare schicken und könne den Lernstoff auch in zehn Jahren kostenlos digital vermitteln. Ganz so einfach ist es aber nicht. Digitale Apps setzen ein hohes Maß an Selbstlernkompetenz voraus. Die Interaktion mit einem lebendigen Trainer fehlt. Junge Menschen gehen zwar spielerisch und routiniert mit digitalen Tools um, doch die Herausforderung liegt auch darin, Informationen einordnen und kritisch hinterfragen zu können.
Wo liegt der Denkfehler?
E-Learning dient hauptsächlich der Wissensvermittlung. Es kann das traditionelle Lernen nicht ersetzen. Denn Lernen ist viel mehr, als durch ein Browser-Fenster zu schauen und sich durch einen Multiple-Choice-Test zu klicken. Das eigentliche nachhaltige Lernen beginnt nämlich erst danach und zwar mit der praktischen Anwendung und der Selbsterfahrung. Das Anwenden, das Tun, das Analysieren, das Bewerten der Tätigkeit – das lernt der Mensch in Einzelschritten. Erst wenn er die beruflichen Kompetenzen komplett erlernt hat, kommt er zur Phase, überhaupt bewerten zu können: Ist das Ergebnis so, wie ich es mir vorgestellt habe? Wie waren meine Arbeitsschritte dorthin? Gibt es etwas, was ich verbessern könnte? Diesen Baustein des nachhaltigen Lernens kann mir ein Computer nicht beibringen, hier bedarf es den Menschen, der den Lernenden individuell bei seinen Lernerfahrungen zur Seite steht.
Doch Lern-Apps mit HACCP-Vorschriften und Sicherheitsbelehrungen werden doch in vielen Küchen mit Erfolg eingesetzt?
Standardisierte Lerninhalte kann man recht gut mit Apps lernen, dazu zählen auch Sprachen. Schwieriger wird es jedoch mit fachspezifischen Weiterbildungsinhalten, passend zum jeweiligen Betrieb. Ich habe z. B. noch keine App am Markt gefunden, die speziell für Köche entwickelt wurde und auf den drei Ausbildungsjahren aufbaut. Derzeit gibt es das nur maßgeschneidert und damit teuer. Es wäre wünschenswert, dass sich Berufsverbände und Berufsschulen einmal übergeordnet mit dem Thema beschäftigen und branchenspezifischen digitalen Content entwickeln würden, den GV- und Gastronomiebetriebe nutzen könnten. Das wäre ein enormer Fortschritt.
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit E-Learning erfolgreich und nachhaltig ist?
Ich rate zu hybriden Lernarrangements bzw. Blended Learning-Konzepten. Der Mix aus Training on the job, einer Anleitung durch einen Trainer sowie einer digitalen Vor- und Nachbereitung hat den größten Lerneffekt. Als Trainer profitiere ich bei der Präsenzveranstaltung von einem gewissen sozialen Klebeeffekt, denn am Ende des Unterrichts kann ich mit den Teilnehmern sprechen: Was lief gut? Wie setzt du es in der Praxis um? Bei E-Learning-Kursen setzen die Teilnehmer ihr Kreuzchen und sind draußen. Eine Möglichkeit der Rückkopplung geben zwar Video-Konferenzen bzw. Webinare, doch auch diese werden durch den Menschen begleitet.
„E-Learning kann das traditionelle Lernen nicht ersetzen. Denn Lernen ist viel mehr, als durch ein Browser-Fenster zu schauen und sich durch einen Multiple-Choice-Test zu klicken. Das eigentliche nachhaltige Lernen beginnt nämlich erst danach und zwar mit der praktischen Anwendung und der Selbsterfahrung.“
Thomas Mattern, Trainer und Systemischer Coach
Welche Orientierung gibt es im Dickicht der digitalen Weiterbildungsmethoden?
Die Vielfalt des E-Learnings ist tatsächlich groß und unübersichtlich. Das Wichtigste zur Orientierung ist erst einmal die Antwort auf die Frage: „Was will ich erreichen und welche Lerntypen spreche ich an?“ Die größte Lernplattform ist YouTube, hier gibt es viele gute Videos für Köche mit Step-by-Step-Anleitungen. Es gibt Lern-Apps, Apps mit QuizUmgebung, Apps mit spielerischen Inhalten bzw. Gamification, Podcasts, Web-based- und Computer-based-Training, Blended Learning, d. h. hybride Formate, oder ganzheitliche Lern-Management-Systeme, die eine gute Struktur geben, aber für Kleinbetriebe oft zu teuer sind. Es gibt zahlreiche kostenlose und kostenpflichtige E-Learning-Plattformen sowie Crossover-Plattformen. Dann haben wir noch ChatGPT, allerdings ist der Output des Chatbots (Anmerk.: textbasiertes Dialogsystem/Künstliche Intelligenz) bisher kaum sicher überprüfbar. Nicht zu vergessen das VR-/AR-Learning.
In Virtual bzw. Augmented Reality-Learning werden große Hoffnungen gesetzt. Zu Recht?
Während Virtual Reality-Brillen die reale Welt vollständig ausblenden, damit der Nutzer in die virtuelle Umgebung abtauchen kann, bleibt die Realität bei Augmented Reality weiterhin erhalten und wird lediglich um virtuelle Elemente ergänzt. Eine vielversprechende Lösung für die digitale Weiterbildung. Sämtliche psychomotorischen Abläufe kann man mit VR darstellen und üben. Soweit, so gut, doch das erste Mal am realen Objekt wird trotzdem anders sein. Ein weiterer Aspekt bei VR und AR sind die noch recht hohen Kosten, die sich für klein- und mittelständische Unternehmen kaum rechnen. Zum einen die Kosten für die Technik und zum anderen für die Entwicklung der Inhalte, die z. T. auch nur eine begrenzte Haltbarkeit haben. Berufliches Fachwissen verliert nach fünf bis zehn Jahren 50 Prozent seiner aktuellen Bedeutung, die Hälfte des nutzbaren technologischen Wissens verfällt nach zwei bis drei Jahren und IT-Wissen besitzt zurzeit nur noch eine Halbwertszeit von weniger als zwei Jahren. Nicht zu vergessen ist die ökologische Nachhaltigkeit in puncto Stromverbrauch, seltene Erden und Umweltbelastung.
Stimme aus der Praxis: „VR-Brillen eröffnen neue Möglichkeiten“
Robert Guschelbauer, Bereichsleiter Gastronomisches Management, Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP), Wien:
„Als größter Anbieter für Seniorenpflege und Betreuung in Wien betreuen wir vom Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) 8.500 Bewohner an 30 Standorten. Seit 2021 setzen wir in Kooperation mit dem Unternehmen Berger Fleischwaren Virtual Reality-Brillen (VR) in Kombination mit Headsets und Handcontrollern in der Ausbildung unserer Küchenmitarbeiter ein. Die digitale Technik ermöglicht eine dreidimensionale Interaktion.
Eine Vorstellung davon liefern auch einige YouTube-Videos. Unsere Kochazubis lernen so z. B. das Zerteilen und Bearbeiten eines Schlachttiers. Handgriffe können unzählige Male wiederholt werden, ohne frisches Fleisch zu benötigen. So vermitteln wir das Handwerk und sensibilisieren gleichzeitig fürs Tierwohl.
Die VR-Brillen eröffnen in vielen Bereichen der Ausbildung neue Möglichkeiten, auch in der Pflege. In der Demenz-Biografiearbeit sind sie ebenfalls von enormem Wert. So haben wir eine 102-jährige ehemalige Skifahrerin noch einmal mittels VR-Brille die Streif-Abfahrt in Kitzbühel hinunterfahren lassen. Was das digitale System kostet? Eine Brille Oculus quest schlägt mit rund 450 Euro zu Buche, wesentlich teurer ist jedoch der maßgeschneiderte Content, der schnell 20.000 Euro kosten kann. Es gibt zwar inzwischen bei YouTube einen Kanal mit kostenlosem Content, doch um einen interaktiven Nutzen zu bekommen, braucht man die individuelle Programmierung. Die Kooperation mit einem Finanzierungspartner empfiehlt sich. Inzwischen haben sich jedoch zwei junge Mitarbeiter ins Thema eingearbeitet und können bis zu einem gewissen Grad den Grundaufbau entwickeln, das senkt die Kosten wesentlich.
Unser Onboarding haben wir zum Teil auch ins Virtuelle verlagert. Wir arbeiten auch mit einer Plattform für E-Learning EGONE sowie mit einer nach Lehrjahren gestaffelten Ausbildungs-App mit einem Multiple-Choice-System. Obwohl wir Arbeitszeit für unsere vielfältigen E-Learning-Kurse zur Verfügung stellen, fehlt es leider manchmal an der Selbstdisziplin der Teilnehmer. Deshalb gehen wir nun dazu über, eine Bestätigung für das Absolvieren zu verlangen. Im Vergleich zu Frontalunterricht kann man E-Learning-Inhalte optisch viel spannender aufbauen und hat immer und überall Zugriff darauf. Und innerhalb des Unternehmens kann immer wieder neuer Content einfließen und so das E-Learning aktiv weiterentwickelt werden. Unser System berücksichtigt sogar die verschiedenen Sprachen.“
Wie kann E-Learning zur Win-win-Situation für alle Beteiligten werden?
Am Anfang steht die Bedarfsanalyse für Weiterbildung. Wo haben wir Defizite? Was brauchen wir für Lerninhalte, um die Lücken zu schließen? Danach muss man schauen, welche E-Learning-Tools helfen können, das Lernziel zu erreichen. Es empfiehlt sich, die Bedarfe in kleine Häppchen aufzuteilen, die Videos, Checklisten, Übungen und Lerntests enthalten können. Diese Learning-Nuggets können in kurzer Zeit absolviert und gut in den Arbeitsalltag integriert werden.
Mit einem Lernmanagement-System kann man die digitale Weiterbildung gut organisieren, administrieren und die Lerninhalte einfach und übersichtlich bereitstellen. Man hat Kontrolle über die Teilnehmer und deren Fortschritte, kann die Weiterbildungszeiten steuern. Kostenlose Open Sources sind z. B. Ilias, Moodle und Canvas. Ich verwende Moodle mit H5P-Inhalten, damit kann ich interaktive Videos, Tests und Präsentationen erstellen. Das System ist nutzbar mit jedem gängigen Endgerät. Sogar Zertifikate lassen sich am Ende ausdrucken.
Doch braucht es nicht immer auch den Menschen, der die gesamten Prozesse evaluiert, administriert und den Wissenstransfer sichert?
Auch ein E-Learning-Bildungsprozess wird in vier Phasen unterteilt: Vorbereitung, Schulung, Transfer und Kontrolle. Alle Phasen müssen vom Menschen unterstützend begleitet werden. Insbesondere die zeitnahe Umsetzung in die Praxis ist ein kritischer Punkt. Lässt man die Dinge schleifen, dann belegen die gleichen Leute alle zwei Jahre das gleiche Training und nichts verbessert sich. E-Learning kann den Transfer in die Praxis nicht leisten, dafür ist die Führungskraft verantwortlich. Digitale Tools können aber unterstützen, indem sie z. B. an die Umsetzung erinnern und so den Bildungsprozess wie vorgesehen abzuschließen helfen. Nach angemessener Zeit folgt die Erfolgsmessung der Weiterbildung: Die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen von Prüfkriterien wie Qualität, Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit, Maschinenlaufzeit oder Ausschuss zu evaluieren – auch hier braucht es noch den Menschen.
Ihr Fazit: E-Learning ist kein Selbstläufer?
Nein, absolut nicht. Über allem steht auch immer die Motivation der Mitarbeiter und Ausbilder. Und eine entsprechende Weiterqualifizierung von Ausbildern. Ohne eine positive Weiterbildungskultur im Unternehmen kann auch E-Learning nicht erfolgreich sein.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Glossar
Quelle: Cornelia Liederbach/ B&L MedienGesellschaft