Das erste Tibits-Restaurant Deutschlands eröffnete im Januar 2019 in Darmstadt. Der Bio-Pionier Alnatura, der seit 37 Jahren ökologisch produzierte Lebensmittel vertreibt, hatte den Ableger einer Schweizer Gastronomiekette an seinen neuen Campus geholt, um die eigenen Mitarbeiter zu verpflegen.
„Blumenkohlblätter werden anfermentiert, da wird dann ein indisches Gericht daraus. Kohlrabiblätter braten wir und verwenden sie als Topping, und wenn wir Karottensaft pressen, backen wir aus dem Trester einen Kuchen oder rühren Mousse an.
Sascha Falk, Geschäftsführer, Tibits-Restaurant
Aus Pilzen kann ich z. B. eine vegane Fleischalternative herstellen, die schmeckt wie Pulled Pork. Oder unser veganes Zürcher Geschnetzeltes, das aus Lupinen besteht.“
Nachgefragt bei Sascha Falk
Sascha Falk, Geschäftsführer des Tibits-Restaurant Darmstadt, verrät im Interview mehr zur Wirtschaftlichkeit des Konzepts, welche Rolle Fleischersatzprodukte sowie die Leaf-to-Root-Verwertung spielen.
Herr Falk, wie halten Sie das vegetarisch-vegane Bio-Konzept des Tibits bezahlbar für Ihre Gäste? Wie bleiben Sie wirtschaftlich?
Im Wesentlichen gelingt uns das mit einer Mischkalkulation und dem Wissen um unsere betrieblichen Kennzahlen. Zum Glück ist der Preisanstieg im Bio-Lebensmittelbereich aufgrund der Energiekrise nicht so gravierend, denn Preistreiber wie Kunstdünger werden für Bio-Gemüse und -Obst gar nicht verwendet.
Aufgrund unserer derzeit dünnen Personaldecke haben wir die tägliche Auswahl am Buffet etwas verringert, dafür die Rezeptabfolge der einzelnen Buffetpositionen erweitert. Sie roulieren zusätzlich, sodass immer Abwechslung gegeben ist.
Unser Konzept lebt davon, dass wir den Deckungsbeitrag über die Gästefrequenz hereinholen. Mit unserer gastronomischen Leistung überzeugen wir auch die Fleischesser, deshalb haben wir unsere Erfolgszahlen der Vor-Corona-Zeit fast wieder erreicht.
Darüber hinaus holen Sie mit einer konsequenten Leaf-to-Root-Verwertung das Maximale aus Obst und Gemüse heraus…
Die Vollverwertung verhilft uns nicht nur zu Spareffekten beim Wareneinsatz, sondern senkt auch die Menge der Lebensmittelabfälle, die wir kostenpflichtig entsorgen müssen. Blumenkohlblätter werden anfermentiert, da wird dann ein indisches Gericht daraus. Kohlrabiblätter braten wir und verwenden sie als Topping, und wenn wir Karottensaft pressen, backen wir aus dem Trester einen Kuchen oder rühren Mousse an. Die Bio-Qualität erspart uns darüber hinaus das Schälen.
Und wenn doch mal was übrig bleibt?
Wir wollen auch vermeiden, dass wertvolles Essen weggeworfen wird. Deshalb arbeiten wir seit fast zwei Jahren mit der Too good to Go-App. Übrig gebliebene Lebensmittel verarbeiten wir zu Tellergerichten und Bowls und geben sie zu einem vergünstigten Preis ab. Mit diesem Engagement trugen wir dazu bei, rund 12 Tonnen CO2 einzusparen.
Wie herausfordernd ist die Warenbeschaffung bei einem Bio-Konzept, das regionale und saisonale Lebensmittel bevorzugt?
Wir richten uns nach dem, was zur Verfügung steht. Der Winter muss deshalb keine Saure-Gurken-Zeit sein. Allein aus Karotten kann man zehn verschiedene Speisen zaubern. Vom Eichwaldhof, einem Demeter-Bio-Bauernhof in Darmstadt, stammen verschiedene Kohl- und Salatsorten, Möhren, Kartoffeln, Kräuter, Kürbis, Lauch und anderes Gemüse. Darüber hinaus profitieren wir von den Erfahrungen und Einkaufsstrukturen von Alnatura. Um den winterlichen Warenkorb üppiger zu gestalten, greifen wir in den erntereichen Monaten auf alte Praktiken der Haltbarkeitsmachung zurück: das Einwecken und Fermentieren, wie ein Kürbis-Kimchi. Wenn wir auf dem Markt nicht fündig werden, entwickeln wir auch mal unsere eigenen Convenience-Produkte, beispielsweise eine Schlagcreme auf Erbsenbasis, die für uns exklusiv produziert wird.
Welche Rolle spielen Fleischersatzprodukte in Ihrem Betrieb?
Unsere veganen Fleischbällchen, Bratwürste und Cevapcici sind sehr beliebt. Doch wir könnten mühelos auf Produkte höherer Fertigungsstufe verzichten. Aus Pilzen kann ich z. B. eine vegane Fleischalternative herstellen, die schmeckt wie Pulled Pork. Oder unser veganes Zürcher Geschnetzeltes, das aus Lupinen besteht. Natürlich nutzen wir auch Sojagranulat oder Hack aus Sonnenblumenkernen als Fleischersatz. Genauso gut können wir aber auch eine Bolognese aus selbst gerösteten Linsen und Walnüssen zubereiten, die besser schmeckt als jedes Fertigprodukt. Ohnehin ist es für Großverbraucher schwer, vegane Fleischersatz-Convenience in Bio-Qualität zu bekommen. Der Markt ist auf den Einzelhandel ausgerichtet. Produkte sind kaum in Großgebinden verfügbar und haben oft auch nicht die Eigenschaften, die eine Großküche braucht, z. B. in puncto Standfähigkeit und Bratzeit.
Wie bringen Sie neue Mitarbeiter auf Kurs? Bei vielen Köchen zählt vegetarische und vegane Küche nicht gerade zur Kernkompetenz…
Ein Koch muss bei uns eine Pastinake von einer Petersilienwurzel unterscheiden können. Es fehlt vielen Köchen an Veggie-Wissen, doch wir bringen alle auf die Tibits-Spur. Von der Vollzeitkraft bis zum Mini-Jobber durchlaufen alle ein Einführungsprogramm, in dem sie alle Arbeitsbereiche kennenlernen. Routinierte Mitarbeiter, die zu Paten (Götis) ausgebildet wurden, stehen ihnen unterstützend zur Seite. Zurzeit sind 30 Mitarbeiter im Tibits Darmstadt beschäftigt. Weiterer Zuwachs wird gesucht. Bewerber müssen übrigens keineswegs fleischlos leben: Auch Flexitarier finden schnell Gefallen am gesunden Essen und leben unser Konzept aus Überzeugung.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Vor Ort im Tibits-Restaurant, Darmstadt
Die Idee: ein vegetarisch-veganes-biologisches Free Flow-Konzept, offen auch für externe Gäste – das steckt hinter dem Tibits-Restaurant am Alnatura-Campus in Darmstadt. Mehr zum Konzept lesen Sie in der Januar-Ausgabe unsere Management-Magazins für die Gemeinschaftsgastronomie GVMANAGER.
Mit einem Klick auf die Bildergalerie erhalten Sie vorab schon einmal einen Einblick in den Tibits-Betrieb in Darmstadt:
Haltbarmachen von Speisen
Apropos alte Praktiken zur Haltbarmachung: Tipps zum Haltbarmachen von Speisen haben wir in einem anderen Beitrag zusammengefasst.
Quelle: Cornelia Liederbach für B&L MedienGesellschaft