Theorie und Praxis gehen bei den neuen DGE-Qualitätsstandards weit auseinander: denn was sich auf dem Papier gut liest, ist in der praktischen Umsetzung problematisch. Viele Kita- und Schulcaterer stehen angesichts dessen vor noch größeren Herausforderungen. Stellvertretend für einige Leser lassen wir im Folgenden Jürgen Bergjan, Bereichsleiter Gastronomische Dienstleistungen, MahlZeit! in Nordhorn, Klartext reden (Stand: 12/2021). Vor acht Jahren stiegen sein Team und er in die Kinderverpflegung ein, seit 2015 sind sie durchgängig DGE-zertifiziert.
„Immer neue, verschärfte Vorgaben führen zu immer mehr Problemstellungen in den Unternehmen.“
Jürgen Bergjan
Gastkommentar von Jürgen Bergjan
Mit dem Einstieg in die Kita- und Schulverpflegung vor acht Jahren entschieden wir uns dazu, das DGE-Siegel für die Kita- und Schulverpflegung einzuführen. Seinerzeit stand es für uns nicht zur Debatte, dies nicht zu tun! Waren wir doch der festen Überzeugung, dass wir uns mit dem Zertifikat in den kommenden Jahren deutlich vom Wettbewerb abheben werden – und dass wir durch unser Handeln Vorteile erzielen.
Seit 2015 sind wir nun durchgängig mit dem DGE-Siegel zertifiziert; unser aktuelles Zertifikat läuft noch bis Juni 2022. Bislang konnten wir die geforderten Ansprüche abbilden – auch wenn es zunehmend schwieriger wurde, diese mit unseren Kundenwünschen zu vereinbaren. Wir haben stets mit Anpassungen entsprechend reagiert – nur möglich durch den erhöhten Arbeitsaufwand unserer Diätassistentin, die bis heute einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit den Vorgaben der DGE verbringt.
Obwohl wir in der Vergangenheit alle Audits hervorragend bestanden haben, wollen wir kein weiteres Re-Audit durchführen. Denn mit den neuesten Anforderungen erreichen uns weitere Regulierungen in bestimmten Segmenten. Dieser Umsetzung stehen wir sehr kritisch gegenüber!
Veränderungen bergen Herausforderungen
Die Tatsache, dass nur noch sehr eingeschränkt handelsübliche Desserts zum Einsatz kommen dürfen, sorgt zunehmend für Schwierigkeiten. Das Thema Fisch ebenso. Weitere Regulierungen, wie der erlaubte Gesamtzuckergehalt, führten bereits im Vorfeld zu Diskussionen und differenzierten Aussagen im zurückliegenden Audit.
Die Thematik zielt bei der DGE in Richtung Naturjoghurt und -quark sowie selbst hergestellte Mischungen. Diese bedeuten jedoch höhere Handlingskosten im Betrieb und weniger Abwechslung im Speiseplan. Zudem steigt unser Hygienerisiko bei losem Dessert deutlich im Vergleich zu abgepackter Ware.
Bislang habe ich mich klar für die DGE-Qualitätsstandards ausgesprochen. Allerdings in verbindlicher Form!
Es ist in der Tat bedauerlich, dass man seitens der DGE gesunde Ernährung „gefühlt“ von oben herab verordnen möchte, und dabei die Kundenwünsche, aber auch die Möglichkeiten der Caterer vernachlässigt, die das Machbare der Basis in den einzelnen Küchen sehr stark in den Hintergrund stellen. Der Alltag im Großküchenbetrieb unterliegt einem starken Wandel und ist heute geprägt von systemischem Handeln und von einem hohen wirtschaftlichen Druck. Immer neue, „verschärfte“ Vorgaben führen zu immer mehr Problemstellungen in den Unternehmen.
Verzichten für kundenorientiertes Arbeiten
Unser Vorgehen zielt nun darauf ab, künftig auf das Zertifikat zu verzichten. Kundenorientiert und bedarfsgerecht regionale Speisen planen zu können – ohne immer stärkere Vorgaben einhalten zu müssen, lässt sich in der Praxis unter den Vorgaben der DGE nicht mehr darstellen. Wenn wir nur noch einmal die Woche Fleisch servieren dürfen, sind unsere Kitas bald weg!
Ein sehr entscheidendes Thema ist abschließend die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen für Caterer: Wo liegen die Vorteile im Wettbewerb? Zuallererst hat der Kunde stets die Kosten im Blick und da das Siegel bei Anbietern immer noch nicht verbindlich ist, wird dieses in der Bewerbung schlichtweg kaum beachtet. DGE-Standards werden in Ausschreibungen hineinkopiert und eingefordert – das Siegel muss man als Bewerber jedoch nicht vorlegen. Dieser Umstand führt dazu, dass derzeit kaum Caterer das Zertifikat besitzen, weil es am Ende egal ist, ob ein Anbieter das Siegel besitzt oder ob er sagt: „Wir richten uns nach den Richtlinien der DGE.“ Das kann so nicht sein!
Sicher handelt die DGE mit bester Absicht und sicher gibt es Regionen – anders als unsere, in denen z. B. die fleischfreie Ernährung gut umsetzbar und einfach einzuführen ist. Hier müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die einem Caterer ein Mindestmaß an Spielraum geben.
Regulierung, wenn nur verbindlich!
Weniger Regulierung wäre seitens der DGE angebracht, sofern sie nicht weitere zertifizierte Betriebe verlieren möchte. Und wenn Regulierung – dann bitte verbindlich für alle Anbieter, die am Markt in der Kita- und Schulverpflegung aktiv sind.
Nahrungsaufnahme und deren Herstellung soll unserer Auffassung nach Freude bereiten. Die jetzt eingeführten Veränderungen führen sicherlich nicht nur bei uns dazu, das langjährig praktizierte Konzept zu überdenken. Wir werden auch künftig im Sinne unserer Kunden deren Wünsche in den Alltag integrieren.
Zum Hintergrund
Im November 2020 wurden die neuen DGE-Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung veröffentlicht, die u. a. Anpassungen bei den Empfehlungen für Fleisch und Wurst enthalten. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen sehen sich Kita- und Schulcaterer mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Esther Schnur, stv. Leitung des Referats Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung der DGE, beantwortet im Interview Fragen zu einem Teil der neuen Anforderungen.
Quelle: B&L MedienGesellschaft