42 Organisationen, Experten und Bürger haben sich Anfang September in einem Offenen Brief an die Politik gewendet, um ein beitragsfreies Schulessen zu fordern. Der Offene Brief im Wortlaut.
Beitragsfreies Schulessen lindert sozioökonomische Ungleichheiten und fördert Bildungschancen, Gesundheit, Nachhaltigkeit und letztendlich auch die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands – heißt es in dem Offenen Brief an die Politik, den 42 Organisationen, Experten und Bürger am 2. September auf den Weg brachten – darunter als Unterstützer auch das Deutsche Netzwerk Schulverpflegung e.V. (DNSV).
Schulverpflegung kostenfrei
Seit dem 1. August 2019 finanziert Berlin ein beitragsfreies Schulessen für alle Grundschüler und -schülerinnen und fördert zudem seit 2013 die Qualität und Regionalität des Angebots. Diese Investitionen zahlen sich aus und entsprechen dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand.
Dass Politiker und Politikerinnen der Berliner CDU und SPD diese Praxis nun in Frage stellen, sei kurzsichtig und gänzlich unangemessen. „Wir fordern Sie auf, die Finanzierung des Schulessens für Grundschüler*innen in Berlin beizubehalten und auf Kitas auszuweiten“, lautet daher die Forderung.
Schulverpflegung international: Vorbilder für Deutschland
Als Vorbild angeführt, wird eine Studie aus dem Jahr 2022, die zeigt, dass Kinder in Schweden, die während ihrer gesamten Grundschulzeit ein beitragsfreies Schulessen bezogen, ihr Bildungsniveau und ihren Gesundheitszustand verbesserten und ihr auf die Lebenszeit summiertes Einkommen um durchschnittlich drei Prozent steigern konnten. Bei Kindern aus wirtschaftlich benachteiligten Haushalten war dieser Effekt sogar deutlich größer. Kinder aus allen Haushalten profitierten, ausgenommen die Kinder der reichsten Haushalte. In Schweden ist die Schulverpflegung schon seit den 1970er-Jahren für alle Schüler und Schülerinnen zwischen sieben und 16 Jahren kostenfrei.
Ebenso zeigen neue Studien aus den USA, dass 18,7 Milliarden Dollar Investitionen in die US Schulspeisungs-Programme fast 40 Milliarden Dollar an Gesundheit und wirtschaftlichen Nutzen bieten und somit mindestens 21 Milliarden Dollar an Nettonutzen für die Gesellschaft erbringen.
Das gemeinsame Schulmittagessen ist auch ein wichtiger Teil der Verbraucherbildung, da in diesem Rahmen gesundheitsförderliches Verhalten wie eine ausgewogene Ernährung und Essverhalten praktisch gelernt werden können. Davon können jedoch nur die Teilnehmenden profitieren. Bei Wiedereinführung der Kostenbeteiligung ist davon auszugehen, dass vermehrt Kinder vom Essen abgemeldet werden und so nicht in vollem Umfang von diesem Teil der Verbraucherbildung profitieren können.
Auch in Brasilien erhalten 40 Millionen Kinder beitragsfreie Schulmahlzeiten über das staatliche Schulverpflegungsprogramm. Mit einem Jahresbudget von umgerechnet 764 Millionen US-Dollar erreicht das Programm mehr als 160.000 Schulen in 5.570 brasilianischen Kommunen. Dort ist das Programm auch ein zentraler Hebel der öffentlichen Beschaffung, indem mindestens 30 Prozent der vom Staat zur Verfügung gestellten Mittel für den Wareneinkauf bei Kleinbauern verwendet werden müssen.
Verbesserungen sind möglich
Es gibt allerdings einen Bereich, in dem Einsparungen im Berliner Budget für Schulessen möglich, nötig und auch bereits im Blickpunkt der Verwaltung sind: Durch ein verbessertes Monitoring bzw. Bedarfsanalyse, kann der Liefer- und Portionsumfang besser auf die Anzahl der regelmäßig, abgerufenen Mahlzeiten angepasst werden, sodass langfristig weniger Lebensmittel im Müll landen.
Ebenso könnte eine digitale Verknüpfung zwischen der individuellen Krank- und Urlaubsmeldung der Schulkinder mit dem Bestellsystem der Schulen zu einer fortwährenden Optimierung des Liefersystems beitragen.
Öffentliche Beschaffung als wichtigen Transformationshebel nutzen
Die öffentliche Beschaffung von Lebensmitteln ist, bei entsprechender Steuerung, einer der wichtigsten Transformationsfonds für die Landwirtschaft und für das Erreichen von nachhaltigen Ernährungsmustern in Deutschland. Bei einer entsprechenden Fokussierung auf eine überwiegend pflanzlich basierte Ernährung im Sinne der DGE-Empfehlungen, kann der Anteil an regionalem Bio-Gemüse und -Obst substantiell erhöht werden, ohne dass die Kosten pro Mahlzeit steigen. Zuletzt hat auch der bundesweite Bürgerrat Ernährung im Wandel dem Bundestag aus eben diesen Gründen die Einrichtung eines beitragsfreien Schulessens empfohlen. Kürzungen in diesem Bereich lehnen wir entschieden ab.
Unterstützer der Forderung
Alle Unterzeichner des Offenen Briefes an die Politik sind nachfolgend aufgeführt:
Unterzeichnende Organisationen
- Ernährungsrat Berlin, Henrike Rieken (Vorständin)
- Landesschülerausschuss Berlin, Orcun Ilter (Vorsitzender)
- Deutsches Netzwerk Schulverpflegung (DNSV), Dr. Michael Polster (Vorsitzender)
- Kinderschutzbund Berlin, Christian Neumann (Geschäftsführer)
- Armutsnetzwerk e.V., Karsten Dunzweiler (Mitglied)
- Verbraucherzentrale Berlin e. V., Dörte Elß (Vorstand)
- Sarah Wiener Stiftung, Anja Schermer (Geschäftsführerin)
- Arbeitskreis Nachhaltigkeit des BUND Berlin e. V., Jan Caspar Lohss (Sprecher des AK)
- Berliner Tafel e.V., Sabine Werth (Vorsitzende)
- Slow Food Convivium Berlin, Jürgen Maier (Convivium Leitung)
- Slow Food Deutschland, Dr. Rupert Ebner (Vorsitzender)
- Fian Deutschland, Philipp Mimkes (Geschäftsführer)
- SchutzengelWerk gGmbH, Bianca Sommerfeld (Geschäftsführerin)
- Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialwissenschaften BIGSo, Prof. Dr. Raimund Geene (Leitung)
- Farm-Food-Climate eine Mission von ProjectTogether gGmbH, Dr. Marisa Hübner (Alliance Builderin)
- Stiftung Märkisches Landbrot, Susanne Salzgeber (Vorstandsvorsitzende)
- BIO in MV e.V., Anna Hope (Vorständin)
- Grenzgänge / Bildung im Stadtraum e.V, Vorstand
- RESTLOS GLÜCKLICH e. V., Edith Timm (Vorstand und Geschäftsführung)
- RAL Gütegemeinschaft Ernährungs-Kompetenz e.V., Susanne Lange (Geschäftsführerin)
Unterzeichnende Personen:
- Karen Bömelburg, Bürgerrat Ernährung im Wandel
- Michael Kram, Bürgerrat Ernährung im Wandel
- Dr. med. Ellis E. Huber, Berufsverband der Präventologen e.V.
- Prof. Dr. Richard Lucius, Biologe, Humboldt-Universität zu Berlin
- Prof. Dr. Med. Hans K. Biesalski, Forschungsschwerpunkte Ernährungsmedizin, Biologische Wirkung von Vitaminen, Mangelernährung
- Anne Schirmaier, Oecotrophologin, Bürgerin
- Birgit Schattling, Bio-Balkon
- Paulina Kaluza, Kinderärztin
- Andrea Looks, Bürgerrat Ernährung im Wandel
- Katharina Maria Overbeck, Bürgerrat Ernährung im Wandel
- Henny Hendrichs, Bürgerin
- Yvonne Michalik, Zentrale Friedensdienst, Referentin Fachgruppe Finanzen
- Sara Tonat, Umweltschützerin
- Anna-Julia Messerschmidt, Oecotrophologin, Fachgebiet Schulessen
- Katrin Bohn, Bohn&Viljoen, Urbane Landwirtschaft und nachhaltige Stadtentwicklung
- Dr. Benjamin Hennchen, Bürger
- André Jeroma, Bürger und Aktiver im Ernährungsrätenetzwerk
- Eric Großhaus, Advocacy Manager Kinderarmut und soziale Ungleichheit, Save the Children Deutschland e.V.
Folgende Berliner Schulessen-Anbieter*innen unterstützen ebenfalls diesen Appell:
- Drei Köche GmbH, Klaus Kühn (Geschäftsführung)
- GREENs unlimited Berlin GmbH, Alexandra Renner-Roman und Susan Rhattigan (Geschäftsführung)
- Schildkröte GmbH, Susan Rhattigan (Geschäftsführung)
- Handfest gGmbH, Jakob Wehner (Geschäftsführung)
Quelle: Ernährungsrat Berlin (Saskia Richartz)