Mit der Regenbogenflagge zu wehen reicht nicht aus, um Diversität zu zeigen. Wie Unternehmen diese am besten umsetzen, verrät Franziska Kaiser von der Uhlala Group. Die Uhlala Group ist ein LGBTIQ+ Social Business (kurz für: Lesbian, Gay, Bisex-ual, Transsexual/-gender, Intersexual, Queer), das an der Schnittstelle zwischen NGO und Unternehmen angesiedelt ist. „Dem Empowerment von LGBTIQ+-Menschen am Arbeitsplatz, im Studium und darüber hinaus gilt all unsere Anstrengung, unser Einsatz und unsere Leidenschaft“ ist das erklärte Motto.
Dafür arbeitet die Gruppe mit Unternehmen und Organisationen etwa im Bereich Consulting & Awareness zusammen. Sie schulen Führungskräfte und Mitarbeitende, begleiten die nachhaltige und positive Veränderung von Unternehmenskulturen und -strukturen und wollen so offene und wertschätzende Arbeitsumfelder für LGBTIQ+-Menschen schaffen. Neben der Karrieremesse „Sticks & Stones“ gehört zu den Projekten auch der Pride-Index – ein Ranking, das aufzeigt, welche Arbeitgebenden sich besonders für Vielfalt und Wertschätzung am Arbeitsplatz stark machen. Franziska Kaiser, Consultant bei der Uhlala Group und Projektleiterin für den Pride Index, erklärt uns, warum Diversity wichtig ist und wie man sie umsetzt.
Frau Kaiser, warum muss man im Jahre 2023 als Unternehmen noch „beweisen“, dass man LGBTIQ+-freundlich ist?
Auch 2023 gehören Diskriminierung und Ungleichbehandlung für viele LGBTIQ+-Menschen noch zum Alltag. In einer Studie der OECD aus diesem Jahr gaben über 58 % der LGBTIQ+-Personen an, in Deutschland Diskriminierung zu erleben. 36 % der Befragten haben schon Gewalt erfahren. Eine andere Umfrage der EU-Grundrechteagentur hat u. a. erhoben, wie viele LGBTIQ+-Personen in der Gastronomie Diskriminierung erleben. Hier gaben 21 % an, in den letzten zwölf Monaten in Cafés, Restaurants oder Bars diskriminiert worden zu sein.
Deswegen ist es weiterhin wichtig, dass Unternehmen Position beziehen, ihre Unterstützung für die Community ausdrücken und am Arbeitsplatz ein sicheres Umfeld schaffen, in dem jede Person genauso sein kann, wie sie ist. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die „LGBTIQ+-Freundlichkeit” sich nicht auf oberflächliche Lippenbekenntnisse und Symboliken beschränken darf, sondern Unternehmen sich tatsächlich dazu verpflichten sollten, eine inklusive Kultur zu schaffen und an diesem Ziel fortlaufend zu arbeiten.
Wie kann sich das in der Unternehmenskultur äußern?
Wenn wir von der Unternehmenskultur sprechen, geht es ja in erster Linie um den täglichen Umgang miteinander und die Frage, ob Wertschätzung transportiert und erfahrbar wird. Kann ich ungezwungen ich selbst sein und von meinem Wochenende berichten? Oder muss ich fortlaufend die Situation scannen und abschätzen, was ich wem erzählen kann? Ich glaube viele hetero cis-Personen machen sich nicht bewusst, dass man sich als queerer Mensch immer und immer wieder outen muss. Bei jeder neuen Bekanntschaft und jedem zwanglosen Gespräch über die Freizeit muss abgewogen werden, ob man von dem:der Partner:in berichtet und damit vielleicht negative Reaktionen hervorruft.
Um diese Unsicherheit zu nehmen, sollten Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, die queere Mitarbeitende authentisch fördern und Sichtbarkeit für sie schaffen. Das kann die Teilnahme an Diversity-Tagen mit einem Schwerpunkt auf LGBTIQ+ sein, aber auch Vorschriften zum Schutz vor Diskriminierung, ausgebildete Berater bei Konfliktfällen, Netzwerke, Fortbildungen, usw.
Was halten Sie von einer Diversity-Quote in Unternehmen?
Wir als Uhlala Group setzen uns für eine Diversity-Quote ein und sehen darin den logischen nächsten Schritt auf dem Weg zu einer inklusiveren Arbeitswelt. Die gesetzliche Frauenquote war ein guter Anfang, aber es wird Zeit, ein breiteres Verständnis von Diversität an den Tag zu legen und auch andere Personengruppen zu berücksichtigen, die regelmäßig von Diskriminierung betroffen sind. Der wirtschaftliche Nutzen einer vielfältigen Belegschaft wurde bereits in zahlreichen Studien belegt und wir sind davon überzeugt, dass durch mehr Diversität in den Vorständen die Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit von Unternehmen weiter gesteigert werden kann.
Wenn man sich den deutschen Diskurs vergegenwärtigt, klingt die Forderung nach einer Diversity-Quote fast schon utopisch. Dabei gibt es mehrere internationale Beispiele dafür, wie eine Umsetzung aussehen kann. Und zwar sowohl von Unternehmen initiiert, als auch von staatlicher Seite. Die BBC hat zum Beispiel schon 2016 ambitionierte Ziele vorgelegt, um die Diversität unter den Mitarbeitenden sowie vor der Kamera zu erhöhen. In Uruguay und Argentinien gibt es eine Quote für trans-Menschen für die Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst. Das zeigt, Diversity-Quoten sind möglich – es braucht nur den politischen bzw. unternehmerischen Willen, sich entsprechend zu positionieren.
Gibt es Beispiele, bei denen Unternehmen über die „LGBTIQ+-Freundlichkeit“ hinaus gehen?
Ja, die gibt es. Einige Unternehmen bieten etwa spezielle Mentoring-Programme für queere Mitarbeitende an, um LGBTIQ+-Talente auf ihrem Karriereweg zu unterstützen. Eine weitere Option, die von einigen Betrieben genutzt wird, ist es, die Teilnahme an einem Coming-out-Seminar zu finanzieren. Solche Seminare finden extern statt und richten sich an Personen, die noch unsicher sind, ob sie sich am Arbeitsplatz outen wollen. Die Finanzierung läuft über das Unternehmen, ohne dass jedoch der Name der teilnehmenden Person mitgeteilt wird. Schließlich soll das Ganze ja vertraulich sein.
Was wir inzwischen bei vielen Unternehmen sehen, sind Mitarbeitendennetzwerke, die in ihrer Arbeit strukturell unterstützt werden. Das heißt: Es gibt nicht nur ein Netzwerk, sondern dieses erhält auch ein selbstverwaltetes Budget, mit dem Veranstaltungen und Aktionen umgesetzt werden können. Außerdem können die Mitarbeitenden die Zeit, die sie für das Netzwerk aufbringen, als Arbeitszeit verbuchen. Nicht zuletzt werden inhaltliche Impulse aus dem Netzwerk dann selbstverständlich in die weitere Diversity-Arbeit einbezogen.
Was können auch kleine Unternehmen tun, um ihre Diversität zu zeigen?
Eine wichtige interne Maßnahme ist es etwa, die eigenen Mitarbeitenden zu schulen und für die Perspektive von LGBTIQ+-Gästen sowie Kollegen zu sensibilisieren. Ein klassisches Beispiel ist natürlich das Thema inklusive Sprache. Dabei geht es nicht nur ums Gendern auf der Website oder bei Social Media. Sondern zum Beispiel auch darum, ob Arbeitsdokumente wie Gehaltsabrechnung und Personalfragebogen inklusiv gestaltet sind oder ob man in E-Mail-Signaturen und auf Namensschildern die eigenen Pronomen angeben kann. Außerdem würde ich empfehlen, alle Richtlinien und Dienstanweisungen auf ihre Inklusivität zu überprüfen. Wie sieht es zum Beispiel mit Kleidungsvorschriften aus? Gibt es geschlechtsspezifische Regelungen für Outfits und Make-up? Und darf ein Mann im Service mit lackierten Fingernägeln zur Arbeit kommen?
Auch extern gibt es verschiedene Möglichkeiten: von der Teilnahme an Pride-Veranstaltungen, dem Sponsoring queerer Events oder Kooperationen mit lokalen Vereinen und Organisationen. Welche Maßnahmen für das jeweilige Unternehmen passend sind, hängt sicherlich mit der eigenen Ausrichtung und den lokalen Gegebenheiten zusammen.
Manche Unternehmen, die z.B. Pride-Produkte auf den Markt bringen, müssen sich den Vorwurf des Pinkwashings anhören. Was versteht man darunter?
Von Pinkwashing, mitunter auch Rainbow-Washing genannt, spricht man, wenn sich Unternehmen aus Marketingzwecken als LGBTIQ+-freundlich präsentieren. Beispielsweise, indem sie zum Pride-Monat Juni spezielle Produkte in Regenbogenfarben verkaufen, sich aber das restliche Jahr nicht für die Community engagieren. Die Motivation, solche Produkte auf den Markt zu bringen, liegt dann klar im finanziellen Interesse begründet; ohne, dass sich das Unternehmen anderweitig für die Rechte und Belange von LGBTIQ+-Personen einsetzt.
Wenn ein Unternehmen mit dem Vorwurf des Pinkwashing konfrontiert wird, liegt das in der Regel daran, dass es an einer konsistenten Diversity-Strategie fehlt und der Betrieb keine internen Maßnahmen aufweisen kann, mit denen er die Community unterstützt.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Finden Sie es falsch, im Pride Month einen Regenbogenkuchen anzubieten?
Nein, das ist nicht grundsätzlich falsch. Das kann eine gute Möglichkeit sein, die eigene Unterstützung für die queere Community auszudrücken und wird sicher von vielen Menschen als positive Botschaft verstanden.
Problematisch wird es erst, wenn diese symbolische Unterstützung das Einzige ist, was ein Unternehmen für LGBTIQ+-Menschen macht. Solange der Regenbogenkuchen Teil eines umfassenderen Engagements ist, sich das Unternehmen ganzjährig einsetzt und intern an einer inklusiven Unternehmenskultur arbeitet, spricht nichts gegen den Verkauf.
Zusätzlich könnte man sich überlegen, einen Teil des Umsatzes, der mit dem Kuchen gemacht wird, an eine queere Organisation zu spenden – zum Beispiel an den lokalen CSD-Verein oder eine queere Jugendinitiative. So macht man als Unternehmen deutlich, dass es einem um mehr als finanzielle Interessen geht.
Wenn man also nicht 100-prozentig hinter dem Thema Diversität steht, lässt man es lieber ganz?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Generell hilft (fast) jede Aktion für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz. Die Frage ist eher, womit man als Unternehmen startet. Meine Empfehlung wäre immer, sich zunächst auf interne Maßnahmen, wie die Sensibilisierung der Mitarbeitenden, zu kümmern. Und sich erst im nächsten Schritt nach außen zu wenden. Das macht das eigene Engagement authentisch und erhöht die Chance, dass es als glaubwürdig eingestuft wird. Außerdem würde ich empfehlen, authentisch aufzutreten und ehrlich zu kommunizieren. Statt falsche Versprechungen abzugeben, würde ich eher klar kommunizieren, dass man in diesem Jahr damit begonnen hat, sich mit dem Thema LGBTIQ+-Diversity am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen und gerne Feedback aus der Belegschaft entgegennimmt.
Zudem schadet es auch sicher nicht, wenn man vor einer Aktion die eigene Motivation hinterfragt: Starte ich eine Initiative, weil es mir tatsächlich um die Sache geht und wir ein Arbeitsplatz sein möchten, an dem sich Mitarbeitende wohl fühlen und bleiben möchten? Oder geht es mir in erster Linie darum, einen finanziellen Vorteil zu erzielen?
Es fällt auf, dass in eurem Pride Index kein Unternehmen aus der Gastro- oder Hotelbranche auftaucht. Woran liegt das?
Das stimmt, wir hatten tatsächlich in den letzten beiden Jahren keine Anmeldungen aus der Gastro- oder Hotelbranche für den Pride Index. Wir wissen nicht genau, woran das liegt. Aber wir vermuten, dass die Betriebsgröße eine zentrale Rolle spielt. Bisher nehmen vor allem Großkonzerne am Index teil und sind an einer möglichen Zertifizierung als LGBTIQ+-freundlicher Betrieb interessiert. Von kleinen und mittelständischen Unternehmen hält sich die Nachfrage noch in Grenzen. Wir gehen aber davon aus, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird. Der Fachkräftemangel ist inzwischen in beinahe allen Branchen und bei Unternehmen jeder Größe ein so präsentes Thema, dass man es sich in Zukunft kaum mehr erlauben können wird, Mitglieder der Community als potenzielle Arbeitskräfte zu vernachlässigen.
Welche Möglichkeiten gibt es für Gastronomie und Hotellerie, die LGBTIQ+-Community über die eigenen Mitarbeitende hinaus zu unterstützen?
Da gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Wir hatten ja vorhin beim Thema Regenbogenkuchen schon die Option, einen Teil der Umsätze, die man mit einem solchen Produkt macht, an die Community zurückzugeben. Etwa indem man an eine queere Organisation spendet. Eine weitere Möglichkeit ist es, eine queere Veranstaltung zu sponsern oder eigene
Räumlichkeiten zu vergünstigten Konditionen für gemeinnützige, queere Organisationen zur Verfügung zu stellen.
Besonders wichtig finde ich es, Erwartungen, die man weckt, auch gerecht zu werden. Viele Gastro-Betriebe verweisen inzwischen mit einer Regenbogenflagge an der Tür oder mit einem entsprechenden Hinweis bei Google auf ihre LGBTIQ+-Freundlichkeit. Das ist prinzipiell gut. Aber es suggeriert auch, dass es sich bei diesem Restaurant/dieser Kneipe um einen Safe Space handelt, in dem man sich als queere Person unbehelligt aufhalten kann. Betreiber, die mit diesem Symbol werben, sollten alles tun, um diesem Versprechen nachzukommen.
Das kann zum Beispiel so aussehen, dass man auf den Toiletten Plakate anbringt und darüber klar kommuniziert, dass Belästigungen und Diskriminierungen nicht akzeptiert werden. Und dass Gäste sich immer vertrauensvoll an das Personal wenden können, wenn es zu negativen Erfahrungen kommt. Eine weitere Möglichkeit ist es, Flyer und Infomaterialien von Anlaufstellen zur Verfügung zu stellen, sodass Gäste sich Unterstützung durch ausgebildetes Fachpersonal holen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: B&L MedienGesellschaft
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