Community Kitchen St-Anna-Gymnasium
Quelle: Hercht/B&L MedienGesellschaft

Community Kitchen im SAG

Außergewöhnlich – dieser Begriff trifft auf das Schulverpflegungskonzept des Städt. St.-Anna-Gymnasiums in München-Lehel ganz besonders zu. Denn wer die Schulmensa betritt, kann beim Blick in die offene Küche das Geschehen beobachten. Und da stehen rund um Herd und Kombidämpfer Schüler und Schülerinnen, rühren die Sauce im Topf, braten Putenfleisch für Geschnetzeltes an oder schneiden Kräuter. Unterstützend zur Seite stehen ihnen dabei Mitarbeiterinnen von Community Kitchen.

Jede Woche ist die Hälfte der Schüler einer Klasse in der Schulküche tätig – neben dem Zubereiten und der Ausgabe der Speisen schließt die Tätigkeit auch den Pausenverkauf ein sowie die anschließende Reinigung der Küche. On top kommt noch das Lebensmittelretten. Ein wesentlicher Einfluss des Community Kitchen, der zu weniger Lebensmittelverschwendung führt.

Die Idee hinter der Organisation: „Essen, was eh schon da ist“, bringt es Günes Seyfarth, eine der Gründerinnen des Community Kitchen, auf den Punkt. Das heißt konkret: Lebensmittel, die im Müll landen würden, rettet das Team aus festen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen, prüft diese auf ihre Verzehrfähigkeit und verarbeitet sie zu Mahlzeiten für das eigene Lokal in München-Neuperlach oder für Events.

Selbst sind die Schüler

Christian Winkler, seit drei Jahren Lehrer am Städt. St.-Anna-Gymnasium und Mitarbeiter in der Schulleitung, zeichnet für das Projekt von Schulseite verantwortlich. Er und die Schulleiterin Susanne Sütsch hatten die Anfänge von Community Kitchen durch ihre ehemalige Schule miterlebt. „Mit der Schulverpflegung hier am Städt. St.-Anna-Gymnasium waren wir zuletzt unzufrieden, die Akzeptanz der Schüler war sehr gering und die Konkurrenz im Umfeld sehr groß, sodass etwas anderes her musste. Wir haben uns dann zunächst von Günes beraten lassen“, berichtet er. Denn die ausgewogene Ernährung der Schüler sei etwas ganz Wesentliches, um deren Leistungsfähigkeit über den Tag zu gewährleisten. „Mir war von Anfang an klar, dass die Verpflegung nur bei den Schülern ankommt, wenn sie diese selbst in der Hand haben“, sagt Günes Seyfarth. Doch bis das gemeinsame Konzept von Community Kitchen und St.-Anna-Gymnasium an den Start ging, brauchte es einen langen Atem, wie Christian Winkler sich erinnert: Ein Jahr Vorbereitung, bis die ersten Schüler am 8. Januar 2024 den Kochlöffel übernahmen.

Kostendruck, (Fach-)Kräftemangel, der sozialisierte Geschmack der Schüler, die Erwartungshaltung der Eltern – zählt Günes Seyfarth einige der Herausforderungen auf, die in puncto Schulverpflegung auf Mensabetreiber einprasseln. Hinzu kommt im Fall des St.-Anna-Gymnasium ein gewisser organisatorischer Extraaufwand, da wöchentlich je eine Hälfte einer Klasse statt Unterricht im Klassenzimmer, praktische Erfahrungen in der Schulküche sammelt. „Im Endeffekt ermöglicht uns das Aufteilen der Klassen für die zwei Wochen einen intensiveren Schulunterricht mit den jeweils in den Klassenräumen verbleibenden Schülern“, merkt Christian Winkler an.

Motto der Community Kitchen: Lebensmittel retten statt verschwenden

Ähnlich wie am Standort des Community Kitchen in Neuperlach läuft es auch am St.-Anna-Gymnasium: „Die Schüler starten in ihr Küchenpraktikum ganz praktisch ein, indem sie sich in der Schulnachbarschaft ihr Netzwerk aus Rettern aufbauen“, erklärt Günes Seyfarth, die mit ihrem Team pro Woche ca. 15 Tonnen Lebensmittel vor der Tonne bewahren kann.

Die Schüler erhalten so Brot und (süßes) Gebäck von Bäckereien, Fleisch von der Butchery, Gemüse und Obst von der kleinen Markthalle oder etwas Süßes von der Schokoladenmanufaktur im Viertel – alles Lebensmittel, die dort nicht mehr verkauft würden. Sie tragen also aktiv zu weniger Lebensmittelverschwendung bei, indem sie deren Verzehrfähigkeit prüfen und sie dann weiter verarbeiten zu leckeren und abwechslungsreichen Mittagsgerichten. Etwa 15 Prozent der geretteten Lebensmittel – so die Schätzung von Günes Seyfarth – kommt aktuell aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Weitere gerettete Lebensmittel kommen aus dem Neuperlacher Standort der Community Kitchen hinzu; ein kleiner Teil wird zugekauft.

Sind die Lebensmittel gerettet, geht es an die Speisenplanung, die flexibel je Woche und entsprechend der geretteten Produkte erfolgt: Einen groben Fahrplan gibt es: Mittwoch ist z. B. immer Bowl-Tag, Dienstag gibt es Pizza. „Ob der Pizzateig aber aus Vollkornmehl oder Weizenmehl besteht – oder alternativ aus Blumenkohl hergestellt wird, entscheidet sich spontan“, erklärt Günes Seyfarth. Was es konkret auf die Teller gibt, erfahren Schüler und Lehrer im Laufe eines jeden Vormittags. „Einer der Schüler macht dafür eine Durchsage über die Sprechanlage“, erzählt Christian Winkler, der weiß, dass es den einen oder anderen auch etwas Überwindung kostet.

Individuell zusammengestellt

Das Mittagsangebot kostet pro Tag 6,50 Euro – mit einer Zehnerkarte 6 Euro. Dafür können sich die Schüler ihre Mahlzeit selbst zusammenstellen. Feste Portionsgrößen gibt es nicht, zudem ist der Nachschlag inklusive.

„Mir war von Anfang an klar, dass die Verpflegung nur bei den Schülern ankommt, wenn sie diese selbst in der Hand haben.“

Günes Seyfarth, Gründerin, Community Kitchen

Bei der Zusammenstellung der Mittagsgerichte in der Schulmensa ist wichtig, dass verschiedene Konsistenzen auf die Teller kommen. „Dieses Feedback haben wir von einem Wohnheim erhalten, das wir in der Pandemie zeitweise mit Essen beliefert haben“, berichtet Günes Seyfarth. So gibt es bei der heute angebotenen Bowl verschiedene Komponenten, aus denen sich die Schüler und Lehrer ihre Lieblingsvariante zusammenstellen können: mit Fleisch oder ohne, mit Reis oder Quinoa als Basis, verschiedene Gemüse und mit knusprigen Röstzwiebeln getoppt. „Sich eine individuelle Bowl zusammenzustellen, macht auch einfach Spaß“, weiß Christian Winkler.

Auch ein buntes Salatbuffet, das jeden Tag zur Verfügung steht, lädt dazu ein, einen bunten Teller zusammenzustellen, aus u. a. Römersalat, Tomaten und Gurken, Avocado, Bohnen und Feta. Die freie Wahl ermögliche auch, dass die Kinder und Jugendlichen für sie unbekannte Lebensmittel auch erst einmal probieren können.

Eigeninitiative

Die Bowls werden passenderweise in Mehrwegschalen von Rebowl ausgegeben, „denn darin lassen diese sich viel passender servieren als auf flachen Porzellantellern“, sagt Günes Seyfarth. Die Rebowls sind durch Eigeninitiative eines Schülers in die Mensa des Städt. St.-Anna-Gymnasiums eingezogen, der zunächst 40 von diesen ausgeliehen und am nächsten Tag zurückgegeben hatte. „Das ist das, was wir mit unserem Konzept erreichen wollen, dass die Schüler merken, wie wirksam und erfolgreich sie sind“, betont Günes Seyfarth. Im Endeffekt sei das Essen das Werkzeug dafür.

Heute sind es mehr als 40 Rebowls, die dauerhaft in der Schulmensa im Einsatz sind, da auch das Mittagessen für die benachbarte Grundschule darin transportiert wird. Das sei wesentlich leichter im Transport. Seit Ende April steht auch die Mittagsverpflegung für die Grundschulkinder auf dem Plan. Gekocht wird für diese weniger würzig und kindgerecht, serviert werden z. B. Nudeln mit Tomatensauce oder Geschnetzeltes mit Reis.

Alle Wünsche können aber dennoch nicht berücksichtigen werden: „Anfänglich gab es z. B. Kritik einer Mutter, dass ihre Tochter immer hungrig nach Hause käme, da wir keine Leberkäs-Semmeln anbieten, die sie so gerne mag“, erzählt Christian Winkler. „Wir wollen aber eben ausgewogene, abwechslungsreiche und vorwiegend gesunde Gerichte und Snacks anbieten. Da passt die Leberkäs-Semmel weniger gut ins Konzept.“

Kostprobe

Die Eltern ins Boot zu holen, das Konzept zu erklären, war von Anfang an wichtig und nötig – wie Günes Seyfarth und Christian Winkler betonen. So habe die Schule im Vorfeld über verschiedene Kanäle informiert: per Elternbrief, über Signal und WhatsApp und auch die Eltern dazu eingeladen, vor Ort in der neu gestalteten Mensa mit geretteten Stühlen und Tischen – teils von den Eltern der Schüler – zum Essen zu kommen. „Erst kürzlich war eine Mutter zu Gast in der Mensa, um das Essen zu probieren, das ihr Sohn an diesem Tag mitgekocht hatte“, berichtet Christian Winkler schmunzelnd.

„Es hat definitiv Mut gebraucht, dass unsere Schulleiterin Frau Sütsch das Konzept umgesetzt hat und die Geduld von Seiten der Community Kitchen – das bewundere ich sehr.“

Christian Winkler, Lehrer und Projektverantwortlicher, Städt. St.-Anna-Gymnasium München

Probieren können die Eltern aber auch zuhause: „Wer sein Mittagessen nicht aufisst, nimmt die Reste im Schraubglas mit nach Hause“, berichtet Günes Seyfarth. Ebenfalls eine Möglichkeit, weitere Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Weitere Maßnahmen in der Schulküche, die darauf einzahlen: Jeden Freitag kommt Foodsharing und holt übrige Lebensmittel zur Weitergabe ab. „Zudem arbeiten wir mit einer schlanken Speisenausgabe. Das heißt, wir bestücken lieber mit z. B. Paprika nach“, erklärt sie. „Denn sollte die Paprika noch nicht am Gast gewesen sein, kann ich sie am nächsten Tag z. B. in einem Ratatouille verarbeiten.“

Neben dem Kochhandwerk stehen während dem Mensadienst auch Umweltbildungssequenzen auf dem Plan, in denen die Schüler mehr zur Nachhaltigkeit im Küchenalltag erlernen – z. B. welche Mengen CO2 durch den Anbau, Transport, Lagerung und Verarbeitung einzelner Lebensmittel verursacht werden. „Das, was wir machen, ist weitaus mehr als Kochen“, betont Günes Seyfarth. Insbesondere das Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken, sieht sie als Vorteil des Mensadienstes.

Kochen ist Teamarbeit

Das Fazit nach knapp vier Monaten Schulverpflegung durch die Schüler und Community Kitchen? „Es hat definitiv Mut gebraucht, dass unsere Schulleiterin Frau Sütsch das Konzept umgesetzt hat und die Geduld von Seiten der Community Kitchen – das bewundere ich sehr“, hebt Christian Winkler hervor, der sich über den Zuspruch der Schüler an der Schulverpflegung freut. Günes Seyfarth ergänzt: „Fragt man die Schüler am Ende der Woche, was sie für sich mitnehmen, sagen ein paar, dass sie kochen gelernt haben. Der Großteil aber hebt den guten Teamzusammenhalt hervor!“

Und apropos Teamzusammenhalt: Die Schüler haben Feierabend, sobald die Küche für den nächsten Tag wieder einsatzbereit ist. Aktuell heißt das auch, dass Teller und Co. von Hand gespült werden müssen, da die kaputte Spülmaschine erst ersetzt werden muss. Getreu dem Motto „Viele Hände, schnelles Ende“ geht auch das Spülen gemeinsam leichter und schneller von der Hand. 

Sarah Hercht


Buchtipp
Lebensmittelverschwendung in der GV reduzieren

Die Erfahrung von Community Kitchen bei der Verarbeitung geretteter ­Lebensmittel in seinem Restaurant und in einer Münchner Schule sowie die Erfahrungen von Netzwerktreffen Münchner GV-Betriebe sind eingeflossen in das 98-seitige Handbuch „Gemeinsam Lebensmittelverschwendung in der Gemeinschaftsverpflegung reduzieren“. Darin finden sich viele Tipps und erprobte Handlungsweisen mit konkreten Praxis-Beispielen. Zudem klärt das Handbuch über Mythen und gesetzliche Regelungen auf. Es steht kostenlos auf der Website von Community Kitchen zum Download.

Community Kitchen setzt sich seit seiner Gründung aktiv für Klimaschutz und für die Lebensmittelwertschätzung ein.

info

Community Kitchen in der Rathauskantine

Wie die Münchner Rathauskantine, ebenfalls zusammen mit Community Kitchen, Lebensmittelverschwendung vermeidet, lesen Sie in unserem Beitrag Community Kitchen goes Rathauskantine.

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