Setzen wir uns mal mit dem Espresso im Detail auseinander. Zunächst einmal: was genau ist er? „Rein technisch betrachtet ist Espresso eine bestimmte Form der Extraktion“, erklärt Joachim Kühne, Innovationsmanager & Trainer bei J.J. Darboven. Diese basiert auf einen mechanisch erzeugten Brühdruck, der zumeist bei rund 8-9 bar liegt und durch eine Pumpe erzeugt wird. Durch den Brühdruck wird ein erhöhter Prozentsatz an extrahierfähigen Stoffen aus der Bohne an das Wasser übertragen (Extraktion). „Das führt dazu, dass bei einem Espresso in der Regel eine Lösestoffkonzentration von ca. 7,5-9,5 % vorliegt – Filterkaffee liegt im Vergleich bei lediglich 1,25-1,45 %“, weiß der Experte.
Für die Zubereitung von traditionellem Espresso wird meistens ein Blend verwendet, also eine Bohnenmischung, häufig aus Arabica und Robusta. „Dieser Blend ist in der Regel relativ dunkel geröstet, um das gewünschte Geschmacksprofil eines traditionellen Espresso zu erreichen: nussig, schokoladig mit einer leichten bis dominanten Bitternote“, erklärt Stefanie Heidemann, Managerin Training bei Melitta Professional und internationale Jurorin der Specialty Coffee Association (SCA). „Die Definition des klassischen Espressos ist nicht leicht zu vereinheitlichen und wird sicherlich nicht durch eine Mischung aus Coffea arabica und Coffea canephora (Robusta) definiert; für einige Röstereien mag dies zutreffen, aber nicht für alle“, ergänzt dazu Moreno Faina, Director der illy University of Coffee.
Joachim Kühne bestätigt, dass es auf der sensorischen Ebene für Espresso eigentlich keine Definition gibt: „Nüchtern betrachtet darf ein Espresso also jegliche Noten – von fruchtig-enzymatisch bis würzig-dunkel – haben.“ Nichtsdestotrotz gibt es an Espresso eine geschmackliche Erwartungshaltung. Diese ist oftmals an kulturelle Faktoren gebunden. „Daher verwundert es nicht, dass ein klassischer Espressotrinker aus Deutschland, der tendenziell einen eher harmonischen, abgemilderten Espressogeschmack sucht, andere geschmackliche Vorlieben bei einem Espresso entwickelt, als ein Espressotrinker aus Süditalien“, erklärt er. Der klassische italienische Espresso besticht durch würzige und schokoladige Noten, gepaart mit einem samtig-schweren Mundgefühl. Heraus kommt ein bittersüßes Geschmacksprofil auf der Zunge. „Diese Geschmacksprofile bilden wir zum Beispiel durch unsere Alfredo-Espresso-Range ab. Durch das Zusammenspiel von feinen nussig-schokoladigen brasilianischen Arabicas und körperbetonten Robustas entsteht eine klassische Basis für ein Espressogetränk, das sowohl pur als auch in Kombination mit Milch perfekt harmoniert. Ergänzt wird dieses Zusammenspiel durch gewaschene Arabicas, die den Kaffees zusätzlich eine aromatische Multidimensionalität und einen individuellen Anstrich verleihen“, geht der Kaffeeexperte ins Detail.
Den „italienischen Aspekt“ zum klassischen Espresso will auch Julia Nordhaus, Head of Portfolio Home & Away from Home bei Lavazza Deutschland, nicht unerwähnt lassen: „Kaffee ist nicht nur ein Getränk, sondern steht vor allem für einen Lifestyle. Italianità spielt dabei eine anhaltend wichtige Rolle. Italienischer Caffè zeichnet sich traditionell durch eher schokoladige Noten sowie einen kräftigen, aber dennoch ausbalancierten Körper aus – die meisten unserer Lavazza-Mischungen sind daher mittelkräftig geröstet.“
Warum hell?
Die traditionelle Vorstellung von Espresso wird aber zunehmend um komplexere und spannende Varianten erweitert. „Der Trend weg von den klassischen dunklen Espresso-Röstungen, hin zu hell gerösteten Arabica-Kaffees wird von Specialty Coffee Genießern schon lange geschätzt“, erklärt Gunnar Willipinski, Head of Marketing bei Azul. Da mehr und mehr Menschen in die Welt der Spezialitätenkaffees einsteigen, käme diese Entwicklung nun auch im Mainstream an.
Umso heller ein Kaffee geröstet ist, desto mehr bleiben die fruchtigen Aromen im Geschmack präsent und werden nicht von Röstaromen überlagert. Das erhöht die aromatische Vielfalt und macht das Geschmackserlebnis spannender. „Lediglich von Arabica-Bohnen zu sprechen, greift für diese komplexen Kaffees zu kurz. Die Kunden erwarten genauere Angaben über die verschiedenen Arabica-Varietäten – ganz ähnlich wie bei den verschiedenen Rebsorten von Wein“, weiß Gunnar Willipinski. Kaffees mit deutlichen Noten von Beeren, Steinobst oder tropischen Früchten erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Viele Kaffee-Liebhaber entdecken so die enorme geschmackliche Vielfalt von hellen Espresso-Röstungen für sich – „eine tolle Entwicklung, wie wir finden“.
„Den Trend hin zu helleren Röstungen und feineren Geschmacksprofilen mit viel Frucht- und Floralnoten, welcher seinen Ursprung in den skandinavischen Ländern hat, verfolgen wir bei Tchibo Coffee Service bereits seit einigen Jahren“, erklärt Björn Dietrich, Kaffeetrainer & Barista, Tchibo Coffee Service. „Unser Sortiment ist dahingehend vielfältig aufgestellt.“
Wenn hellere Röstungen für die Espressozubereitung verwendet werden, wird auch die Crema beim Espresso heller, feinporiger, glänzender, aber auch etwas weniger dick. „Das heißt, der Kunde darf sich auf einen Espresso mit feinerer, aber etwas dünnerer und weniger lang beständiger Crema einstellen“, beschreibt Angelika Galas, Kaffee-Expertin bei Julius Meinl und Head of Julius Meinl Academy.
Damit die beschriebenen Aromen letztlich auch den Geschmack des fertigen Espressos prägen, ist zum Beispiel die Röstung entscheidend. Umso länger bzw. dunkler ein Kaffee geröstet wird, desto mehr sind schokoladige Noten sowie Bitterkeit präsent und die fruchtig, floralen Nuancen werden überdeckt. Um die Qualität von Spezialitätenkaffees optimal zur Geltung zu bringen, werden diese also heller geröstet.
Herkunft
Neben der Röstung und der damit verbundenen Röstaromen spielt also auch die Herkunft der Bohnen eine wichtige Rolle. „Moderne Espressi sind häufig sogenannte Single Origin Kaffees, die Bohnen kommen also aus einer Anbauregion oder von einer Farm“, erklärt SCA Jurorin Stefanie Heidemann. Hier geht es darum, die speziellen Geschmacksprofile der einzelnen Herkünfte, verschiedener Varietäten oder unterschiedlicher Aufbereitungsformen zu betonen und auch durch ein helles Röstprofil zu erhalten. „Diese Art moderner Espresso-Röstungen verfügen eher über säure-betonte Geschmacksprofile, wie Aromen von Zitrusfrüchten, Beeren oder Steinobst, oder auch florale Aromen wie Jasmin oder Bergamotte und schwarzer Tee, je nachdem, wo der Kaffee herkommt, wie genau er aufbereitet und dann geröstet wurde“, weiß die Expertin. Bei traditionelleren, dunklen Mischungen und Röstungen finden sich eher Aromen von getrockneten Früchten wie Dattel oder Pflaume, mehr nussige Charaktere wie Haselnuss, Mandel oder Walnuss und schokoladige Noten in Richtung Zartbitterschokolade.
Angelika Galas von der Julius Meinl Academy sieht die Tendenz, heute Espressos mit hellerer Röstung zuzubereiten, speziell dann, wenn man als Röster weniger den Geschmack der entwickelten Röstung in den Vordergrund stellen möchte, sondern den Geschmack, den die Bohne vom Ursprung aus mitbringt, von einem Lagenkaffee, dessen feine Nuancen in helleren Röstungen besser hervorgehoben werden können. „So wird mit helleren Röstungen in Zukunft mehr Geschmacksvielfalt möglich sein“, prognostiziert sie.
„Seit einigen Jahren haben Gäste ein steigendes Interesse daran, zu erfahren, aus welchen Ländern die Kaffeebohnen stammen und wie sie angebaut und aufbereitet werden“, bestätigt auch Christin Grabka, Coffee Master und SCA-zertifizierte Barista im Seeberger Competence Center. Neben der Herkunft sind auch die Art und Weise beziehungsweise die Parameter der Zubereitung immer wieder ein Thema, nach dem Gäste fragen. Die meisten bevorzugen nach wie vor kräftige Espressi mit schokoladigen und nussigen Aromen und wenig Säure. „Insgesamt kann man feststellen, dass der Qualitätsanspruch an die Bohnen und auch die Zubereitung noch weiter zugenommen hat.“
„Es geht bei den Gästen global gesehen weniger um die Veränderung des Geschmacks im Laufe der letzten Jahre, sondern eher um das Bewusstsein, was einen perfekten Espresso ausmacht.“
Angelika Galas, Kaffee-Expertin bei Julius Meinl und Head of Julius Meinl Academy
Baristi bereiten heute Espressi präziser zu, auf Grund der SCA Barista Ausbildungen, der Kaffeemeisterschaften, aber auch auf Grund der maschinellen Verbesserungen, die technisch erlauben, präziser zu arbeiten und mögliche Fehler in der Zubereitung zu vermeiden. Auch Konsumenten machen diese Erfahrung bei Kaffeemaschinen für den Haushaltsgebrauch. „Dies bedeutet, dass heute oftmals gefiltertes Wasser verwendet wird, um den Kaffee richtig zu extrahieren, und die Einstellungen sich internationalen SCA Standards für die Espresso Zubereitung annähern, die 7-10 g Kaffee pro Portion beinhalten und in Relation zur Espressolänge gewählt werden. Je größer die servierte Espressoportion, desto mehr Kaffee wird pro Portion verwendet, um eine richtige Espressoextraktion zu erzielen“, weiß die Expertin.
Vielfalt
„Vergleicht man die Alfredo-Espressi mit unserer J. Hornig Espresso-Range, dann wird schnell deutlich, wie unterschiedlich Röstgrade und Rohkaffeezusammensetzungen bei Espresso sein dürfen“ erklärt Joachim Kühne. So auch mit dem doppelt zertifizierten Café Intención-Espresso. Durch seine peruanischen und honduranischen Arabicas besticht sein Geschmacksprofil durch süßliche Aromen von Karamell, Rohrzucker und karamellisiertem Steinobst. Es wird ergänzt durch einen indischen Robusta, der mit würzigen Noten von Malz und Pfeffer das Geschmacksbild abrundet. Damit spricht dieser Kaffee jüngere Kaffeetrinker und all diejenigen an, die auf der Suche nach neuen, modernen Geschmäckern sind – ohne allzu weit vom Bekannten entfernt zu sein. Robustas bzw. Canephoras bieten mitunter hochwertige Qualitäten und sind besser als ihr Ruf. „Wer sich davon überzeugen möchte, sollte unseren J.J. Darboven Classics Origins India probieren: Ein nass aufbereiteter indischer Robusta mit einem nougat-artigen Geschmacksprofil“, empfiehlt der Kaffeetrainer.
„Der Mischungsprozess ist ein kritischer Punkt, um die Konsistenz des Endprodukts zu gewährleisten.“
Moreno Faina, Director der illy University of Coffee
Bei illycaffè erfolgt die Mischung immer vor der Röstung, da nur so die Ausgewogenheit und Harmonie der Mischung gewährleistet werden kann. Der Röster hat drei verschiedene Röstprofile entwickelt, die jeweils ein einzigartiges sensorisches Profil ergeben: Classico, mit zarten Noten von Karamell, Orangenblüten und Jasmin, mit einem süßen Nachgeschmack, Intenso, mit einnehmenden Noten von Kakao und Nüssen und einem reichen, vollmundigen Nachgeschmack, sowie Forte, mit einem intensiven Aroma von geröstetem Brot und einem lang anhaltenden Nachgeschmack von dunkler Schokolade. Die unterschiedlichen Röstprofile wirken sich auch auf die Extraktionsmethoden für den Espresso aus. Das ideale Volumen in der Tasse beträgt 23-25 ml für Classico, 18-20 ml für Intenso und 13-15 ml für Forte.
Für Julia Nordhaus geht es um eine Erweiterung der Geschmacksprofile: „Um der großen Bandbreite an Geschmäckern gerecht zu werden, haben wir neben den klassischeren Espresso-Blends mit Robusta-Anteil, welche für eine besonders schöne Crema sorgen, auch 100 % Arabica-Mischungen sowohl für den LEH als auch für den Außer-Haus-Markt im Sortiment.“ Im Gastrobereich zählen dazu beispielsweise die beiden Bio-Mischungen La Reserva de ¡Tierra! Selection als ganze Bohne und La Reserva de ¡Tierra! Colombia gemahlen für den aktuellen Filterkaffee-Trend. Auch innerhalb der neuen Range Tales of Italy bietet Lavazza Gastro-Partnern mit Galleria Milano einen 100 % Arabica-Blend: 30 % davon sind Cereja Apassita – eine Arabica-Sorte, bei der die Kaffeekirschen besonders lang reifen, was sich geschmacklich durch süßliche Noten von getrockneten Früchten und Honig widerspiegelt.
Tchibo Coffee Service bietet unter der Marke G.C.Breiger Kaffees aus nachhaltigen Anbaumethoden mit 100 % Arabica und schonender Trommelröstung. Es sind eher hellere Röstungen mit einem süßen, spritzigen, fruchtigen, säurebetonten (feine Zitrussäuren), schokoladigen, nussigen Geschmacksprofil mit floralen Noten. Bei der Marke Piacetto gibt es mit Nord- und Süditalien zwei Linien. „Norditalien geht mehr in Richtung G.C.Breiger und Spezialitätenkaffee, enthält aber auch einen Robustaanteil“, erklärt Björn Dietrich. Beide Linien sind Rainforest Alliance zertifiziert und wurden für den Markt als klassische italienische Marke entwickelt. Die Linien Süditalien enthält eher dunklere Röstungen im Heißluft-Röstverfahren und ist ein Blend aus Asien und Südamerika. Das Geschmacksprofil ist hier von einem sehr vollen Körper geprägt, das kräftig-intensiv ist und keine Säure enthält.
Perfekt?
Doch was genau ist nun der „perfekte Espresso“? „Der perfekte Espresso ist der, der perfekt zubereitet wurde“, bringt es Angelika Galas von Julius Meinl auf den Punkt. Generell kann man nicht sagen, dass ein bestimmtes Geschmacksprofil dem perfekten Espresso zuzuordnen ist, weil es von der Bohne und den Vorlieben des Konsumenten abhängt. „Was perfekte Espressi aber gemeinsam haben, ist ein reichhaltiges Aroma, eine harmonische Balance aus Süße, Säure, Bitterkeit und ein langanhaltender positiver Nachgeschmack, dessen Geschmack man gerne noch etwas länger im Mund behalten möchte und dessen Mundgefühl als angenehm empfunden wird“, erklärt die Expertin.
“Für mich sollte ein perfekter Espresso eine ausgewogene Balance aus Säure, Süße und Bitterkeit haben. Abgerundet wird er durch angenehme Aromen wie zum Beispiel Frucht, Nuss oder dunkle Schokolade.“
Christin Grabka, Coffee Master und SCA-zertifizierte Barista im Seeberger Competence Center
Inwieweit verändert sich diese „klassische“ Vorstellung? „Es kann generell gesagt werden, dass der Espresso weiterhin intensiv, aber die fruchtige Säure ausgeprägter ist, die Süße höher und die Bitterkeit eindeutig geringer“, erklärt Angelika Galas. Dazu kommt ein langanhaltender aromatischer Nachgeschmack, der weniger bitter ist, eher fruchtig und süß. Dennoch kann je nach Kaffeesorte auch ein nussiger oder schokoladiger Espresso dabei sein. Diese werden allerdings weniger Körper haben und weniger bitter sein. Ein moderner Espresso mit hellerer Röstung wird oftmals mit mehr Gramm Kaffee zubereitet, um die positiven Eigenschaften des Kaffees noch hervorzuheben und den Körper zu betonen.
Dass jedes Element der Espressozubereitung wichtig ist, um ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen, betont Moreno Faina von illy: „Die Qualität der Espressomaschine, die Mühle, die Wasserqualität und die Wartung sind entscheidende Faktoren. Und dann ist da noch der mächtige Faktor des Barista, der alle Variablen steuern und koordinieren muss, um eine exzellente Espressozubereitung zu gewährleisten.“
Mehr Espresso
Wer mehr über die Zubereitung eines Espresso erfahren möchte, sollte den Beitrag von Dr. Steffen Schwarz von Coffee Consulate lesen: Kaffee unter Druck.