Markus Wessel gibt in einer mehrteiligen Serie Tipps rund um die Digitalisierung in der Gemeinschaftsgastronomie - dieses Mal gehts um das Warenwirtschaftssystem.
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Wie finde ich das passende Warenwirtschaftssystem?

Sind die Rezepturen Ihrer Großküche noch in Word- oder Excel-Dateien angelegt? Mit einem Warenwirtschaftssystem könnten Sie sich in diesem Fall eventuell viel Zeit sparen – nicht nur beim Einkauf, sondern auch dank einer Steuerung von Menübestellung, Speiseplanung, Produktion und Lagerverwaltung aus einem System heraus.
Aber auch der Wechsel hin zu einem moderneren Warenwirtschaftssystem kann sich lohnen.

Worauf ist bei der Neuanschaffung oder einem Wechsel zu achten?
Welchen Mehrwert bietet ein Warenwirtschaftssystem?
Welche Funktionalitäten sind hilfreich?

Markus Wessel hat der Redaktion GVMANAGER die wichtigsten Fragen dazu beantwortet. Als Praktiker bringt der gelernte Koch und Betriebswirt 15 Jahre Führungserfahrung mit, zudem beschäftigt er sich bereits seit 2015 ausführlich mit der Digitalisierung der Gastronomie.
Teil 2 unserer Serie rund um die wichtigsten Schritte zur Digitalisierung eines gastronomischen Betriebs.

Sie wollen nochmal einen Schritt zurück gehen und herausfinden, wie man die Digitalisierung generell angeht? Dann empfehlen wir Ihnen Teil 1 unserer Serie: Tipps zur Digitalisierung im gastronomischen Betrieb – der Start.

Markus Wessel gibt in einer mehrteiligen Serie Tipps rund um die Digitalisierung in gastronomischen Betrieben und der Gemeinschaftsgastronomie.
Quelle: Wessel

„Die verschiedenen Warenwirtschaftssysteme unterscheiden sich einerseits im Zielgruppenfokus, wie den Care-Bereich oder eher die Gastronomie und haben dann auch die entsprechenden Schnittstellen, z. B. zu Menübestell- oder Kassensystemen.
Andererseits in der Benutzerfreundlichkeit, dem Look and Feel. Diesen Aspekt darf man nicht unterschätzen, denn die Warenwirtschaft zu pflegen, ist nicht die beliebteste Aufgabe. Je intuitiver, umso besser.“

Markus Wessel

Herr Wessel, GV-Betriebe, die sich digitaler aufstellen wollen, sollten auf jeden Fall einen genaueren Blick auf Warenwirtschaftssysteme werfen. Warum bergen diese so großes Potenzial?

Weil das Arbeiten damit einen direkten Mehrwert bringt. Sobald ich Zutaten in Gerichten verändere, kann ich beispielsweise sehen, wie sich das auf die Kosten auswirkt. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Care-Bereich und sonstiger Gemeinschaftsgastronomie.
Denn im Care-Bereich kommt noch die Menüerfassung hinzu, die idealerweise ans Warenwirtschaftssystem (WaWi) angebunden sein sollte. Nur dann ist der perfekte Datenstrom gegeben. Ich kann aus den Essensbestellungen heraus die Produktion planen, aber auch historische Daten sammeln und daraus später Bestellungen generieren. So bekomme ich Kalkulation und Wareneinsatz nahezu 100-prozentig hin – ein Potenzial, das sehr viele leider nicht nutzen.

An welchem Punkt des Produktionsprozesses sollte ein Warenwirtschaftssystem starten?

Bei der Bestellung der Zutaten, also dem Einkauf. Folglich sollte eine Schnittstelle zum Lieferanten bestehen, damit Produktspezifikationen und Preise – und zwar tagesaktuell – in das System kommen. So kann ich später auch die Speisen – über die Zwischenstufe hinterlegter Rezepturen – tagesgenau richtig deklarieren in puncto Allergene usw.
Oft kontrolliert und pflegt die Diätküche oder Qualitätssicherung diese Spezifikationen noch in aufwändiger Handarbeit. Das kann man komplett automatisieren – vorausgesetzt die Lieferanten überspielen die Daten regelmäßig und zuverlässig.
Aus den rezeptierten Gerichten kann ich mir die Speisepläne und dann die Produktionspläne erstellen. Denn ich weiß genau, wie viel ich wovon brauche, wie und mit welchem Gerät ich das zubereite.
Und zuguterletzt, um diese Wertschöpfungskette zu schließen, kommt die Lagerverwaltung, denn über dieses System kann ich auch meine ganze Inventur abbilden. Das verstehe ich unter einem runden Warenwirtschaftssystem.

Nochmal zurück zu den historischen Daten. Sind diese in einer Klinikküche wirklich prognosetauglich?

Klar schwankt die Zahl der Essen tagesindividuell, auch abhängig von den Operationen, Notfällen usw. Daher kann es bei den historischen Daten auch immer Ausreißer geben. Aber meiner Erfahrung nach bewegen sich die Essenszahlen im Krankenhaus zu 95 Prozent im gleichen Rahmen. Und den Rest könnte man durch eine bessere Kommunikation zwischen Küche und Pflege vielleicht auch noch schaffen, aber es scheitert erfahrungsgemäß an der Zeit dafür.

Sie haben die Menübestellung explizit mit dem Care-Bereich in Verbindung gebracht, es gibt inzwischen aber auch Apps dafür in der Betriebsgastronomie…

Und in genau solchen Apps sehe ich eine Riesenchance! Wenn die Gäste vorab bereits bestellen und vielleicht auch noch digital bezahlen, könnte man viel Manpower sparen, weil unter anderem der Kassierprozess entfällt. Das spart übrigens auch den Gästen Zeit, weil sie i.d.R. weniger in der Schlange stehen. Folglich wird der Prozess insgesamt entzerrt.
Im Quick-Service ist das schon weit verbreitet und wird sich dort auch durchsetzen. Das ist eine Frage der Zeit.

Worauf ist bei der Auswahl eines Warenwirtschaftssystems zu achten?

Jeder Betrieb, ob Krankenhaus, Betriebsrestaurant oder Mensa, hat seine eigenen Anforderungen an so ein System. Ist mir die Inventur wichtig, die Produktionsplanung oder die Rezeptdatenbank?

  • Das gilt es vorab mit dem Team zu besprechen und gemeinsam eine Liste der Anforderungen niederzuschreiben.
  • Dann schaue ich mir an, was es am Markt gibt und gleiche ab.
  • Passende Systeme schaue ich mir nochmal genauer an, z. B. in einem Demo-Call. Erfahrungsgemäß zeigen die Anbieter hier aber immer nur die Vorteile ihrer Systeme. Daher sollte man sich vorbereiten mit einer Liste der Dinge, die auf keinen Fall fehlen dürfen oder was technisch unbedingt machbar sein muss.

Die Anforderungen sind zwar individuell, aber gibt es auch gewisse Basis-Funktionalitäten, die integriert sein sollten?

  • Meiner Meinung nach ist eine Schnittstelle zum Lieferanten elementar – auch wegen der Auslistung gewisser Artikel.
  • Eine Analysefunktion hilft den Wareneinsatz im Blick zu behalten.
  • Eine Preishistorie, die nicht immer im Basisumfang enthalten ist, kann ebenfalls zu Aha-Effekten führen. Gerade Obst- und Gemüsepreise schwanken wöchentlich sehr stark. Werden mir Ausreißer kenntlich gemacht, kann ich direkt gegensteuern und statt Tomaten eben Gurken für Salat bestellen – oder auch mal beim Lieferanten nachfragen, woran das liegt.

Kann man auch Systeme von Grossisten als Warenwirtschaftssystem nutzen?

Häufig fokussieren sich diese auf das Bestellen der Ware. Teilweise sind weitere Funktionalitäten enthalten, aber selten ein vollumfängliches Warenwirtschaftssystem.
Die Frage ist dann auch immer, werden andere Lieferanten auch im System hinterlegt und gepflegt?

Wie unterscheiden sich die Anbieter generell?

Meist haben sie einen klaren Zielgruppenfokus, wie den Care-Bereich oder eher die Gastronomie und dann auch die entsprechenden Schnittstellen, z. B. zu Menübestell- oder Kassensystemen.

Darüber hinaus unterscheiden sie sich auch in der Benutzerfreundlichkeit, dem Look and Feel. Diesen Aspekt darf man nicht unterschätzen, denn die Warenwirtschaft zu pflegen, ist nicht die beliebteste Aufgabe. Je intuitiver, umso besser. Doch derartige Anbieter kann man derzeit leider noch an einer Hand abzählen. Die klassischen Anbieter haben das noch nicht so sehr im Blick.

Welche Features sind nicht zwingend notwendig, aber eine nette Unterstützung?

Das sind für mich digitale Tools, die die Transparenz erhöhen und ergänzend zu einem Warenwirtschaftssystem angeschafft werden.

  • Beispielsweise eine App, mit der ich meine Inventur machen kann. Dafür gehe ich mit meinem Smartphone ins Lager, beispielsweise zu einer Flasche Zitronensaft, die nur halb voll ist. Die Smartphone-Kamera erkennt das und bucht nur eine halbe Flasche in die Inventarliste.
  • Auch Tools, die den CO2-Footprint berechnen, sind nice to have. Koppelt man diese ans WaWi kann man direkt den CO2-Footprint der Gerichte ausloben.
  • Nützlich in puncto Foodwaste sind Prognosetools, die eine künstliche Intelligenz nutzen, um künftige Essenszahlen abzuschätzen. Das macht beispielsweise im Krankenhaus aber nur im Mitarbeiterrestaurant Sinn.
  • Es gibt auch ein Tool, mit denen ich die Produktion noch gezielter auf Geräte und Personen verteilen kann. Dieses zerlegt ein Menü in seine Komponenten und ordnet sie einem Küchenbereich zu, beispielsweise der kalten Küche. Skaliert um die nötige Essenszahl kann man den Zeitaufwand für die Zubereitung berechnen und abschätzen wie viele Mitarbeiter in der kalten Küche arbeiten sollten. Alternativ kann ich das aber auch heranziehen, um die Wirtschaftlichkeit der Komponenten zu checken. Denn neben dem Wareneinsatz habe ich auch einen gewissen Personalbedarf, der oft nicht mitkalkuliert wird. Ich kenne einen Caterer, der damit arbeitet und seitdem z. B. Fingerfood gestrichen hat.

Viele GV-Betriebe verfügen bereits über ein Warenwirtschaftssystem. Wann sollte man darüber nachdenken, dieses zu wechseln?

Wenn Funktionen fehlen – oder wenn ich feststelle, dass ein Mitarbeiter viel Zeit investieren muss, um etwas händisch nachzuarbeiten – und zwar sehr regelmäßig. Erstelle ich beispielsweise die Rezepturen noch in Word oder Excel, muss ich das laufend manuell aktualisieren, wenn sich ein Artikel ändert. Man sollte also analysieren, wie viel Zeit man täglich für derartige Aktualisierungen braucht und das dann hochrechnen bzw. gegenrechnen mit einer Neuanschaffung. Diese Gegenüberstellung von Input und Output erfolgt viel zu selten. Oft ist die Scheu vor dem zeitlichen Aufwand eines Wechsels zu groß. Daher sollte man sich wirklich die Zeit für die angesprochene Analyse nehmen, sich mit den Mitarbeitern mal über drei Wochen täglich hinsetzen und transparent aufbereiten, wie viel Zeit sie wofür gebraucht haben. So werden mögliche Einsparpotenziale sichtbar und das Team zieht später auch bei der Inbetriebnahme eines neuen Systems gerne mit. Und für die Geschäftsleitung kann man durch eine solche Analyse den Zeitaufwand in Geld beziffern und eine Anschaffung begründen.

Welchen zeitlichen Aufwand sollte man für einen Wechsel kalkulieren?

Das ist hochindividuell und hängt z. B. davon ab, wie viele Rezepte eingepflegt werden müssen, wie viel Zeit das eigene Personal für den Wechsel täglich freischaufeln kann usw.
Es kann sich also über mehrere Monate ziehen, vielfach aber auch in vier bis sechs Wochen durchgezogen werden.

Kann ein Warenwirtschaftssysteme auch als Herzstück für die Vernetzung von Küchentechnik dienen?

Das macht auf jeden Fall Sinn, denn die Produktionsplanung ist ein wichtiger Baustein im WaWi – warum also nicht auch die Geräte einbinden? Knackpunkt wird sein, ob und wie sich das Ganze vernetzen lässt.

Was wird das Warenwirtschaftssystem der Zukunft Neues können?

Eine tolle Unterstützung für Köche wäre, wenn sich das WaWi per Sprachsteuerung bedienen ließe. Bei Lieferservices oder der Tischreservierung im Restaurant funktionieren derartige Tools schon recht gut. Und das wird auch in Küchen Einzug halten. Dann steht beispielsweise der Koch mit Headset am Kipper und spricht gemeinsam mit der KI ein Rezept in die Datenbank ein. Denn, seien wir mal ehrlich, Rezepte niederzuschreiben, das macht kein Koch gerne.

Wie würde die Sprachsteuerung aussehen?

Der Koch könnte z. B. – während er in der Küche steht und rührt – mit der KI interagieren: „Ich möchte jetzt ein Rezept für Schweinebraten anlegen.“ Dann fragt diese: „Mit Fleisch vom Nacken oder vom Rücken?“ „Vom Nacken, bitte.“ „Und von welchem Lieferanten? Erhältlich wäre es bei X oder Y.“ „Dann bitte von X.“ „Da gibt es folgende Grammaturen.“

Ich bin mir sicher, dass auf diese Weise viel mehr Rezepte gepflegt würden. Die KI könnte aber auch ausländische oder ungelernte Mitarbeiter anleiten. Da steckt viel Potenzial drin.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Über Markus Wessel

Der gelernte Koch und Betriebswirt bringt jahrelange praktische Erfahrung im Gastgewerbe, aber auch in der Gemeinschaftsgastronomie mit, sowohl am Herd als auch im mittleren und oberen Management mit großer Personal- und Budgetverantwortung. Folglich kennt er die verschiedenen Blickwinkel von Entscheidungsträgern, kann aber auch operativ denken und ist nah an der Praxis. Zur Digitalisierung kam Markus Wessel im Jahr 2015. Seitdem hat er sich sukzessive ins Thema eingearbeitet und gibt sein vielfältiges Wissen in einem Blog, Podcast, als Dozent, Referent oder externer Berater weiter. Sein Ziel: Die Gastronomie zukunftssicher und als Arbeitsplatz attraktiver zu gestalten.

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Quelle: B&L MedienGesellschaft

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