Das Hotel im Kornspeicher in Marburg ist Inklusionshotel seit der ersten Stunde. Aufgebaut wurde der Betrieb von Hoteldirektor Rocco Pabst, der seit 2008 die Geschicke des Hotels Garni mit den 25 Zimmern und drei Tagungsräumen leitet. Er gewährt einen Blick in seinen Betrieb und spricht über seine tägliche Arbeit mit gehandicapten Menschen – dabei verschweigt er weder Hürden noch Erfolge und berichtet von den kleinen kreativen Kniffen, die oft genügen, um die Einschränkung durch eine Behinderung zu überwinden. Er beschäftigt in seinem Betrieb zwölf Mitarbeiter, von denen über die Hälfte eine Schwerbehinderung hat.
Unter einem Dach
Der Hotelbetriebswirt Rocco Pabst arbeitete früher für Hotelketten sowie für privat geführte Hotels, doch als Direktor des Hotels im Kornspeicher hat er seine berufliche Heimat gefunden. Der Betrieb war eines der ersten sechs Mitglieder im Verbund der Embrace Hotels, die sich für die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung einsetzen. Rocco Pabst ist außerdem Vorstand im Verbund.
Über die Entstehungsgeschichte des Hotels berichtet er: „Die Initiative zur Gründung unseres Inklusionshotels ging von der Sozialen Hilfe Marburg e. V. aus. Schon vorher war der Verein mit einer Stuhlflechterei, einer Näherei, Polsterei und Holzwerkstatt im Gebäude. Dann kam die Idee auf, einen Beherbergungsbetrieb zu eröffnen. Daraus wurde die Kornspeicher gemeinnützige GmbH, die das Hotel im Kornspeicher betreibt. Das ist nicht nur praktisch, sondern bringt uns auch Vorteile bezüglich der Nachhaltigkeit: Die Wäscherei des Vereins befindet sich nämlich auch hier im Gebäude und reinigt unsere Wäsche. Dadurch entfallen Transportwege.“ Während das Hotel eine Hälfte des ehemaligen Kornspeichers füllt, befindet sich in der unteren Hälfte des Hauses der Verein.
Eine Frage der Findung
Rocco Pabst ist es gelungen, ein stabiles und zuverlässiges Team zu schmieden. Das ist ohnehin keine leichte Aufgabe, doch bei Menschen mit Handicap müssen zusätzliche Aspekte berücksichtigt werden. „Es ist immer eine Frage der Findung“, berichtet Rocco Pabst. „Neben den fachlichen Qualifikationen, die man leicht der Bewerbungsmappe entnehmen kann, muss man herausfinden, wie jemand persönlich ist. Das Team muss sensibel abgestimmt werden, denn nicht jeder kann mit jedem. Wir beschäftigen im Housekeeping einige gehörlose Mitarbeiter und einmal kam jemand dazu, der darauf keine Rücksicht genommen und dem Team entgegen- statt zugearbeitet hat. So etwas geht natürlich nicht.“
Das Handicap selbst ist oftmals das geringste Problem, lässt es sich doch mit kreativen Hilfestellungen umgehen: „Wir haben eine Mitarbeiterin an der Rezeption, die schwer den Überblick behalten kann und immer lange nach dem richtigen Ordner sucht. Die Beschriftung hat ihr nichts gesagt. Wir haben dann ein System aus farbigen Punkten entwickelt: Sie hat sich eingeprägt, welcher Punkt welchem Thema entspricht und findet nun über diese kleine Hilfe schnell den richtigen Ordner“, erklärt Rocco Pabst. Wichtig sei es hierbei, zu analysieren, worin genau das Problem besteht. So fand er auch in anderen Fällen Lösungen, um die Beeinträchtigung auszuhebeln: Für eine Servicekraft, die nur einhändig arbeiten konnte, wurde ein spezieller Korkenzieher angeschafft, mit dem sie Flaschen öffnen kann. Außerdem wurden Tischdecken angeschafft, die ebenso gut aussehen, sich aber mit einer Hand auflegen lassen. „Auch wenn es an einer Stelle mal hakt: Wenn wir uns einmal für jemanden entschieden haben, dann wollen wir die Person natürlich auch behalten. Dafür ist es wichtig, sich aufeinander abzustimmen“, erzählt Rocco Pabst.
Durchdachte Ausstattung
Die Einrichtung des Hotels im Kornspeicher nimmt ebenfalls Rücksicht auf die Bedürfnisse von beeinträchtigten Mitarbeiter und Gäste. So sind Fußboden und Wände kontrastreich gestaltet – der Fußboden ist schwarz, die Wände sind weiß gestrichen. Das macht es sehbehinderten Menschen leichter, sich zu orientieren. Aus Rücksicht auf Rollstuhlfahrer sind die Flure besonders breit gehalten. Alle wichtigen Orientierungspunkte sind zudem in Brailleschrift und in taktiler Schrift, das heißt in fühlbaren Buchstaben und Zahlen.
Die Treppengeländer sind in beiden Schriftarten mit Wegweisern wie „aufwärts zur vierten Etage“ oder „abwärts zur zweiten Etage“ beschriftet. Die Fahrt mit dem Lift begleitet eine Ansage, die durch die Botschaften „Lift fährt abwärts“ oder „Türe öffnet“ Orientierung bietet. Auf der Etage gibt es zudem einen Übersichtsplan, anhand dessen man erfühlen kann, wo es zur Rezeption, zum Treppenhaus und zum Restaurant geht.
Keine Sonderstellung
An die bisher nicht inklusiv arbeitende Hotellerie appelliert Rocco Pabst: „Man sollte zumindest mal einem Praktikanten die Möglichkeit geben, im Betrieb zu arbeiten. Womöglich ist die Einarbeitungszeit etwas länger, aber davon abgesehen ist es oft weniger aufwändig, als sich das viele Hoteliers vorstellen.“ Für die Belegschaft sei es wie auch für die Gesellschaft allgemein wichtig, mit gehandicapten Menschen in Kontakt zu kommen. Er plädiert dafür, auch mal etwas auszuprobieren, dass man sich nicht sofort vorstellen kann. Daher setzt Rocco Pabst selbst die Hürde für einen Praktikumsplatz bewusst niedrig an: „Man sollte ein freundlicher Mensch sein und die soziale Etikette beherrschen, gepflegt auftreten und die grundlegende Hygiene beachten. Wer das beherrscht, ist prinzipiell geeignet, in der Hotellerie zu arbeiten.“
Eine Sonderposition sollten sie allerdings nicht einnehmen, erklärt Rocco Pabst: „Natürlich muss man Rücksicht auf die Behinderung nehmen, aber davon abgesehen haben inklusive Mitarbeiter keine Sonderstellung und dürfen sich auch nichts erlauben, was anderen nicht zugestanden wird – sonst wäre es auch keine Inklusion mehr. Man kann von ihnen erwarten, dass sie konzentriert arbeiten, Stress und Druck ertragen und auch mal einen Konflikt aushalten, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Das sind ganz normale Arbeitnehmer-Erfahrungen, die auch inklusive Mitarbeiter machen dürfen und müssen.“ Sein Resümee: Barrierefreiheit beginnt im Kopf!
Beständige Belegschaft
Im Gegensatz zum wandernden Volk der Gastronomiemitarbeiter sind Menschen mit Handicap oft beständig und lieben Routinen. Dietlind Maaß und Martin Jacoby aus dem Flussbett Hotel Gütersloh sprechen im Interview über ihre Erfahrungen im inklusiven Betrieb.
Quelle: B&L MedienGesellschaft