Michael Wörle ist Fachlehrer an der Prälat-Schichler-Berufsschule Augsburg.
Quelle: Neumann/Wörle PSBS

Ein Handicap hat jeder

Michael Wörle ist Fachlehrer an der Prälat-Schilcher-Berufsschule in Augsburg, sitzt in diversen Prüfungsausschüssen und ist für Bildungsträger tätig. Er arbeitet mit Menschen, die ein mentales oder körperliches Handicap haben, bildet sie jedoch nicht aus. Außerdem leitete er das deutsche Inklusionsteam, das 2022 bei der IKA gegen die Nationalteams der anderen Länder antrat.

Was gibt es bei der Arbeit in der Küche mit Menschen mit Handicap zu beachten, Herr Wörle?

Eigentlich nichts – sie haben ihre Stärken und Schwächen, wie alle Menschen. Ehrlich gesagt sehe ich das größere Problem darin, die Akzeptanz für Menschen mit Benachteiligung in der Küche zu schaffen, als darin, sie tatsächlich zu integrieren. Aber natürlich kann nicht jeder Mensch alles und auch nicht jeder eignet sich für die Arbeit in der Küche – das gilt für medizinisch gesunde Menschen aber auch. Für Menschen mit Handicap braucht man die gleiche Herangehensweise wie bei jedem Team: einen rücksichtsvollen, freundlichen, nachsichtigen Umgang miteinander und eine aufrichtige Kommunikation. Das Erste, was es zu beachten gilt: Man sollte diese Menschen nicht dauernd als „besonders“ betrachten, das ist ja auch nur eine Art Ausgrenzung! Jeder Mensch ist individuell und jeder Mensch hat seine Einschränkungen – wer mir jetzt widersprechen möchte, hat soeben sein Handicap offenbart.

Welche Erfahrungen haben Sie als Mentor des Inklusionsteams gemacht?

Ehrlich gesagt, hatte ich am Anfang sogar etwas Angst, denn ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Aber mit jeder Übung und jedem Termin stieg meine Zuversicht. Das Team – zusammengestellt und geleitet von Chris Sandfort für die Culinary Ability Awards – bestand aus unterschiedlichen Nationalitäten. Ich machte mir Gedanken wegen der Sprachbarriere, immerhin hatten wir Deutsche, Italiener, Iren und Schotten im Team. Meine Sorge war unbegründet: Die jungen Menschen kommunizierten mit Händen, Füßen und Gesten und verstanden sich zum Teil leichter untereinander als wir sie. Unser Selbstbewusstsein wuchs mit jedem Event. Aus meinem Team waren zwei Azubis aus dem zweiten Lehrjahr als Fachpraktiker im Bereich Küche dabei – und auf der IKA kochten sie gegen die Welt! Gegen die Gegner hatten wir natürlich keine Chance, aber sie haben grandios geplant und gekocht – und immerhin einen Ehrenpreis gewonnen.

Menschen mit welcher Art Handicap eignen sich für welche Arbeit?

Das lässt sich nicht generalisieren. Wir haben schon so viele Menschen zu uns bekommen, die schulisch als nicht ausbildungsfähig galten und dann doch die Abschlussprüfung zum Koch bestanden haben. Deswegen führen die Culinary Ability Awards ja auch regelmäßig Kochwettbewerbe durch, an denen Menschen mit Trisomie 21 und Down-Syndrom teilnehmen. So zeigen sie der Gesellschaft, was sie leisten können und dass sie auch erfolgreich in der Gastronomie arbeiten können.

Welche Möglichkeiten gibt es für Inklusion im Kochberuf?

Die einzig wichtige Voraussetzung ist Wille! Es gibt da kein Konzept, keinen Plan, aber auch keine Grenzen – man braucht nur die Idee, mal etwas zu verändern. Für keinen von uns ist das Leben leicht, aber wenn Betrieb und Mitarbeiter bereit sind für neue Wege, wenn man sich ausprobieren will und auch mal einen Rückschlag akzeptieren kann – dann stehen alle Möglichkeiten offen! Die Gastronomie ist ein vielseitiges Arbeitsfeld und sie bietet eine passende Arbeit für jeden. Ein Problem ist eher die Abneigung gegenüber Veränderung und die Scheu vor einer Aufgabe und Herausforderung.

Gibt es Handicaps, die ein Mitwirken in der Küche unmöglich machen?

Ein guter Arbeitgeber kennt die Stärken und Schwächen seiner Angestellten und setzt sie entsprechend ein. Das gelingt auch mit Menschen, die ein Handicap haben. Viele Küchen haben noch bauliche Einschränkungen, die selbst medizinisch gesunden Menschen wie mir die Arbeit verleiden. Dass extreme geistige und körperliche Behinderungen das Arbeiten unmöglich machen, versteht sich von selbst. Dennoch unterrichten wir aktuell einen Schüler mit starker Sehbehinderung: Ein Kraftfahrzeug wird er nie lenken können, aber er wird ein guter Koch und ein zuverlässiger Mitarbeiter.

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Inklusion beginnt mit Information

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung stellt auf seiner Homepage Forschungsergebnisse zur Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Handicap vor. Außerdem präsentiert es Vorschläge, wie Unternehmen diese Menschen bei sich integrieren können. Weiterführende Informationen finden Sie hier.

Gibt es spezielles Equipment, das inklusiv arbeitende Küchen anschaffen sollten?

Soweit ich weiß, bedeutet Inklusion, dass man keine besonderen Voraussetzungen schafft. Ergonomischer Arbeiten hingegen, z. B. Schnittbretterhöhungen, anpassbare Arbeitshöhen etc. sollten in einem modernen Betrieb selbstverständlich sein.

Wenn doch Ausrüstung benötigt wird, gibt es dafür Fördergelder?

Ja, die gibt es, aber sie wechseln häufig. Auch hier gehört es für den Arbeitgeber dazu, sich über aktuelle und lokale Förderangebote zu informieren. Da gilt der Grundsatz: „Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen.“

Was sind Ihre positiven Erfahrungen mit Inklusion?

Viele unserer externen Betriebe bilden junge Menschen mit Förderbedarf aus und machen auch sehr gute Erfahrungen. Womöglich brauchen sie für die ein oder andere Aufgabe etwas länger, sie erledigen sie aber zuverlässig und mit selber Qualität. Natürlich kann es sein, dass man ihnen die Aufgabe nicht nur zweimal, sondern fünfmal erklären muss. Dafür werden sie aber auch ihre Kollegen nie im Stich lassen und mit Stolz, Ausdauer und positiver Energie die Küche bereichern. Sie haben dann treue und zuverlässige Mitarbeiter – und das haben die meisten Betriebe dringend nötig!  

Kennen Sie Beispiele erfolgreicher Inklusion?

So ziemlich alle unserer Schüler der letzten 15 Jahre sind gelungene Beispiele: Sie starten bei uns mit einem erhöhten Förderbedarf oder Einschränkungen. Die meisten legen am Ende ihrer Ausbildung eine Abschlussprüfung bei der IHK ab und arbeiten anschließend im erlernten Beruf.

Was hat Sie bewogen, sich für Inklusion zu interessieren, Herr Wörle?

Ich bin ein Mensch mit starkem Gerechtigkeitssinn. Daher war es mir immer ein Anliegen, mich für Gleichheit einzusetzen und gegen Ausgrenzung oder Benachteiligung von Menschen aufzubegehren.

Was war ihr erster Kontakt zur Inklusionsarbeit?

Durch den Familienbetrieb meiner Eltern bin ich quasi in einer Bäckerei und Konditorei aufgewachsen. Dort arbeiteten stets auch junge Menschen, die es im Leben schwerer hatten. Mein Vater freute sich immer sehr, wenn seine Azubis die Prüfung bestanden. Als Kind faszinierte mich das, aber ich verstand es noch nicht ganz. Trotzdem entwickelte ich das Bedürfnis, dieselbe Freude zu empfinden und weiterzugeben.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen sozialen Projekten und dem Rahmenthema Nachhaltigkeit?

Ich sehe den Umgang vieler Menschen mit dem Thema Nachhaltigkeit skeptisch: Oft geht es dabei eher um Prestigegewinn als darum, tatsächlich etwas zu verbessern. Allein wenn Sie meine Arbeit als ein „soziales Projekt“ bezeichnen, grenzen Sie die Menschen aus, machen sie zu etwas „anderem“ als der Norm. Ich hingegen sehe in jedem Menschen ein Individuum und auch nicht jeder medizinisch gesunde Mensch ist durchschnittlich – oder besonders normal.

Wenn Sie mit Nachhaltigkeit meinen, dass wir als Gesellschaft in Zukunft davon profitieren werden, wenn wir jedem Menschen helfen, seinen Weg zu gehen – dann ist meine Arbeit allerdings nachhaltig.

Vielen Dank für das Gespräch, Michael Wörle!

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Flussbett Hotel

In unserem Interview mit Dietlind Maaß und Martin Jacoby erfahren Sie, wie Inklusion im Hotel- und Küchenalltag umgesetzt wird.

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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