Dr. Markus Keller ist seit 2020 Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) Gießen.
Quelle: IFPE Gießen

„Deutsche essen rund 50 Prozent mehr Eiweiß als empfohlen.“

Dr. Markus Keller ist Experte für vegane Ernährung. Seit 2020 ist er Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung in Biebertal/Gießen (IFPE). Er promovierte 2003 bis 2007 an der Justus-Liebig-Universität Gießen zum Thema „Alternative Ernährungskonzepte“.

Herr Dr. Keller, Sie wurden als weltweit erster Professor für vegane Ernährung berufen. Was ist die Kernbotschaft Ihrer Lehre?

Während meiner Professur an der Fachhochschule des Mittelstands war ich bis 2020 verantwortlich für den weiteren Ausbau des B.A.-Studiengangs Vegan Food Management. Dort und auch über Lehraufträge an anderen Hochschulen möchte ich den Studenten vermitteln, wie pflanzenbasierte Kostformen, einschließlich der veganen Ernährung, wissenschaftlich zu bewerten sind. Besonders wichtig ist hier, dies unabhängig von eigenen Überzeugungen zu tun. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf ernährungswissenschaftliche Aspekte, beziehe aber auch eine ernährungsökologische Betrachtung ein.

Welches Wissen in Bezug auf vegane Ernährung fehlt der breiten Öffentlichkeit noch? Wo besteht auch für Sie noch großer Forschungsbedarf?

Ich sehe hier vor allem drei Bereiche. Erstens besteht bei vielen Menschen eine Art Nährstoffangst. Sie denken, dass sie ohne die tägliche Portion Fleisch, Wurst und Milchprodukte Mangelerscheinungen bekommen. Ganz oben steht dabei das Proteinthema, obwohl wir in Deutschland im Durchschnitt etwa 50 Prozent mehr Eiweiß konsumieren als empfohlen wird. Auch die Angst vor Eisenmangel bei einer fleischlosen Ernährung ist weit verbreitet.

Zweitens ist den meisten Menschen nicht bekannt, dass Vegetarier und Veganer mit vielen Nährstoffen mindestens genauso gut oder sogar besser versorgt sind als Fleischesser, beispielsweise Vitamin C, Folsäure oder Magnesium.

Und drittens ist kaum Wissen über das präventive und therapeutische Potenzial pflanzenbasierter Ernährung vorhanden. Die aktuelle Studienlage deutet bereits darauf hin, dass viele der weit verbreiteten Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch vegetarische oder vegane Ernährung verhindert bzw. das Erkrankungsrisiko deutlich gesenkt werden könnten. Auch Erfolge in der Behandlung dieser und anderer Krankheiten durch pflanzenbasierte Ernährung finden sich zunehmend in der Literatur. Trotz dieser Erkenntnisse besteht bei all diesen Themen noch Forschungsbedarf.

Dr. Markus Keller, Geschäftsführer des IFPE Gießen
(Quelle: Erik Mosoni Photography)

„Den meisten Menschen ist nicht bekannt, dass Vegetarier und Veganer mit vielen Nährstoffen mindestens genauso gut oder sogar besser versorgt sind als Fleischesser, beispielsweise Vitamin C, Folsäure oder Magnesium.“

Dr. Markus Keller

Sie plädieren für eine pflanzenbasierte Ernährung – bedeutet das, Sie empfehlen ausschließlich vegane Kost, oder eine überwiegend pflanzliche Ernährung?

Grundsätzlich muss und darf jeder selbst die Verantwortung dafür übernehmen, wie er oder sie sich ernährt. Die Studienlage zeigt aber relativ klar, dass eine vollwertige, sehr pflanzenbetonte Ernährung zahlreiche Gesundheitsvorteile hat. Dabei ist es nicht so entscheidend, ob die Kost zu 100 Prozent vegan ist oder noch eine geringe Menge tierischer Lebensmittel konsumiert wird. Ich sehe meine Aufgabe als Forscher und Ernährungswissenschaftler vor allem darin, den Menschen dabei zu helfen, dass sie sich mit einer veganen oder vegetarischen Ernährung gut mit Nährstoffen versorgen und den maximalen Gesundheitsnutzen daraus ziehen können.

Das Thema Gesundheit ist zentral für die Oecotrophologie – als wie „gesund“ bzw. ausgewogen ordnen Sie die vegane Ernährungsweise ein, insbesondere im Vergleich zur von der DGE propagierten vollwertigen Mischkost?

Auch die Empfehlung der DGE ist ja eine sehr pflanzenbasierte Ernährung. Die Daten zeigen, dass eine vegane Ernährung sehr gesundheitsfördernd sein kann, wenn sie richtig durchgeführt wird. Das bedeutet vor allem, dass eine breite Vielfalt vollwertiger pflanzlicher Lebensmittel gegessen und auf die ausreichende Zufuhr kritischer Nährstoffe geachtet wird.

Was halten Sie davon, Kinder vegan zu ernähren? Gibt es hier besondere Herausforderungen oder Dinge, die man beachten muss?

Unsere beiden VeChi-Studien, die wir federführend zusammen mit der Universität Bonn durchgeführt haben, haben gezeigt, dass auch eine vegane Kinderernährung gut umsetzbar ist. Wir konnten bei den teilnehmenden Kindern praktisch keine vegan-spezifischen kritischen Nährstoffe identifizieren. Hingegen waren Kalzium, Jod, Vitamin B2 und Vitamin D in allen drei Ernährungsgruppen – vegan, vegetarisch und Mischkost – kritisch. Das heißt, die Zufuhr oder die Blutwerte waren niedriger als sie sein sollten. Hier besteht also unabhängig von der Ernährungsweise Optimierungsbedarf.

Wie lässt sich das vereinen mit einer zukunftsfähigen Ernährung, bei der das Klima geschont wird und es keine Hungerkrisen gibt?

Das lässt sich hervorragend vereinen und hier besteht auch weitgehende wissenschaftliche Einigkeit. Eine zukunftsfähige und enkeltaugliche Ernährung funktioniert nur sehr pflanzenbasiert. Sehr eindrücklich zeigt das die Planetary Health Diet: Sie besteht zu mindestens 80 bis 90 Prozent aus pflanzlichen Lebensmitteln, kann aber auch komplett vegetarisch oder vegan durchgeführt werden.

Was halten Sie von Alternativprodukten für Fleisch, Käse & Co.? Sind diese ungesund aufgrund der vielen Inhaltsstoffe?

Diese Produkte pauschal als hoch verarbeitet und künstlich zu verurteilen, ist zwar beliebt, aber entspricht nicht den Fakten. Wir haben in einer Studie selbst 80 Fleisch- und Wurstalternativen untersucht und eine große Vielfalt vorgefunden. Wir empfehlen, Bio-Produkte zu bevorzugen, denn sie enthalten kaum Zusatzstoffe und meist keine Aromen. Sinnvoll ist es für Verbraucher, auf einen niedrigen Salzgehalt zu achten, denn der ist bei vielen dieser Produkte ähnlich zu hoch wie bei der echten Wurst.

Haben Sie bei Ihrer Lehrtätigkeit auch schon Köche und Restaurantbesitzer weitergebildet? Welches Wissen fehlt hier noch und sollte künftig vermittelt werden?

Ja, auch hier war ich schon mit meinem Team in Seminaren aktiv. Die Gemeinschaftsverpflegung ist ein ganz wichtiger Bereich, wenn ich hin zu einer pflanzenbasierten Ernährung möchte, denn Mensen und Betriebsrestaurants erreichen in Deutschland jeden Tag fast 20 Millionen Menschen. Hier geht es neben dem Know-how, wie wohlschmeckende, abwechslungsreiche und ansprechende pflanzliche Gerichte zubereitet werden können, ganz besonders auch um die Frage der Beschaffung und der Kosten. Hier besteht noch erheblicher Fortbildungsbedarf, den auch immer mehr Einrichtungen nachfragen.

Kann bzw. sollte auch in der (Gemeinschafts-)Gastronomie durch die Auswahl der Gerichte oder eine bestimmte Menükonzeption praktische Ernährungsbildung betrieben werden?

Essen soll in erster Linie schmecken und Genuss erzeugen, nicht belehren. Wenn ich aber tolle vegane Gerichte zaubere, die meist gleichzeitig gesundheitsfördernd und umweltschonend sind, ergibt sich die Nachfrage von selbst. Und warum nicht darauf hinweisen, dass bestimmte Menüs gut für die eigene Gesundheit und auch die des Planeten sind?

Hat hierbei besonders die Schulverpflegung eine Bildungsverpflichtung? Wo liegen die Grenzen einer vegetarischen bzw. veganen Kita- und Schulverpflegung? Welche Verantwortung kommt den Eltern zu?

Bei der Schulverpflegung sieht es sicher anders aus. Hier darf und sollte die Ernährungsbildung durchaus eine wichtige Rolle spielen, denn Ernährungspräferenzen werden in der Kindheit geprägt und meist ein Leben lang beibehalten. Erfreulicherweise gibt es auch hier zunehmend vegetarische und – leider noch viel zu selten – vegane Angebote. Auch hier gilt: wenn es nicht schmeckt, bleibt das Essen liegen.

Leider darf Schulverpflegung ja nichts kosten, daher ist das Angebot, auch wenn es vegetarisch oder vegan ist, oft eine Katastrophe. Hier sehe ich vor allem Schulleitung, Träger und ganz besonders die Eltern in der Verantwortung. Denn viele Caterer bieten inzwischen sehr gute vegane Menüs an. Und, bitte, bezieht endlich die Kinder gleichberechtigt in die Entscheidungen zum Essensangebot mit ein!

Wie kann es einem Restaurant, Café oder GV-Betrieb gelingen, seine Gäste mit pflanzenbasierten Gerichten zufriedenzustellen?

Was oft sehr gut ankommt, ist bekannte Gericht zu veganisieren. Dann ist der Linseneintopf mit Tofu statt mit Würstchen, die Pizza mit viel Gemüse, aber ohne Käse, oder der Grießbrei mit einem Pflanzendrink zubereitet. Menschen vertrauen ja oft dem, was sie bereits kennen.

Vegane Gerichte dürfen auch mal ausgefallen und fancy sein, aber gute, bodenständige Küche ohne tierische Zutaten funktioniert häufig am besten. Da fällt mir immer wieder das Beispiel ein, wie ein bekannter Vegan-Koch mit Begleitung des WDR in einer Hochschulmensa Spaghetti Bolognese zubereitet hat – und keiner der zahlreichen Gäste hat gemerkt, dass es Soja-Bolognese war.

Welche Hürden gibt es noch auf dem Weg zu einem pflanzenbasierten Außer-Haus-Markt?

Verhalten und Gewohnheiten ändern sich, wenn das Angebot überzeugt. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan, aber da ist noch sehr viel Luft nach oben. Wenn ich weiter das tue, was ich schon immer getan habe, wird alles so bleiben, wie es ist. Die Zeiten, sich auf dem Glaubenssatz „Meine Kunden wollen aber Currywurst mit Pommes, sonst kommen sie nicht“ auszuruhen, sind vorbei. Aber zu allen Veränderungen gehört auch Mut. Und den Mutigen gehört die Zukunft.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Vom Gemüsemuffel zum Gemüsefan

In unserem Interview mit der Buchautorin Moana Werschler lesen Sie, wie Sie Kinder für gesunde Gerichte begeistern.

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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