Mit dem Menüleitsystem Food2050 werden am Campus Irchel an der Universität Zürich nicht nur schlicht die Speisenangebote benannt und gezeigt. Auch deren Klimawirkung und Gesundheitswert wird visualisiert. Dabei geht man in puncto Klimawirkung einen komplett neuen Weg. Statt des CO2-Fußabdrucks oder einer Sternebewertung zeigt das Menüleitsystem auf großen Displays und weiteren digitalen Touchpoints ein riesiges Thermometer und eine Gradzahl. So steht neben dem Gericht „Gerösteter Hokkaido Kürbis und Chimichurri“ die Zahl +1,4°C, dessen Klimawirkung. Sprich: Wenn sich alle Menschen von diesem Gericht ernähren würden, würde die Erderwärmung theoretisch um +1,4°C ansteigen.
„Einzigartig an unserer Zusammenarbeit mit dem ZFV ist, dass die Messung aller Betriebe ad hoc funktioniert hat. Damit ist das Projekt das erste dieser Größe welches alle Betriebe – und damit alle CO2-Emissionen der Lebensmittel des ganzen Unternehmens – betrachtet.“
Manuel Klarmann, Mitgründer und Geschäftsführer, Eaternity
Eingesetzt wird das Menüleitsystem Food2050 seit Januar 2022 am Campus Irchel, der zu den Züricher ZFV-Unternehmungen (ZFV) gehört. Insgesamt ist der ZFV in über 200 Betrieben der Bereiche Gastronomie, Hotellerie sowie Kinderbetreuung und -verpflegung tätig. Dort soll das Menüleitsystem sukzessive ebenfalls eingeführt werden.
Berechnung der Klimawirkung durch Food2050 und Eaternity
„Das Menüleitsystem 2050 berechnet, welche Auswirkung der berechnete CO2e-Wert auf die Klimaerwärmung hat, und weist diese Information in Grad Celsius aus. Dies erlaubt die direkte Anknüpfung an das Pariser Klimaabkommen, in dem angestrebt wurde, dass sich die Erde bis 2050 maximal um +1,5°C erwärmen sollte.“
Christian Kramer, CEO und Mitgründer, Food2050
Doch wie genau werden die Werte berechnet und visualisiert? Die Basisarbeit leistet Eaternity. 2014 gegründet, wobei die Idee auf das Jahr 2008 zurückgeht, verfügt dieses Unternehmen über eine der umfangreichsten Datenbanken entlang der Lebensmittelversorgungskette. Mit diesen Daten werden die Umweltauswirkungen der Gerichte und deren Zutaten mit der Methode der Lebenszyklusanalyse berechnet und in CO2-Äquivalenten angegeben. Dabei fließt u. a. ein, woher die Zutaten stammen, wie sie verarbeitet wurden – und zwar direkt über das vor Ort verwendete Warenwirtschaftssystem von necta. „Einzigartig an unserer Zusammenarbeit mit dem ZFV ist, dass die Messung aller Betriebe ad hoc funktioniert hat. Damit ist das Projekt das erste dieser Größe welches alle Betriebe – und damit alle CO2-Emissionen der Lebensmittel des ganzen Unternehmens – betrachtet“, berichtet Manuel Klarmann, Mitgründer und Geschäftsführer von Eaternity.
Übersetzung des CO2-e-Werts in eine Gradzahl
Da sich viele Gäste unter den reinen CO2-Werten aber nichts vorstellen können, übersetzt Food2050 diese Zahl. „Das System berechnet, welche Auswirkung der angegebene CO2e-Wert auf die Klimaerwärmung hat, und weist diese Information in Grad Celsius aus. Dies erlaubt die direkte Anknüpfung an das Pariser Klimaabkommen, in dem angestrebt wurde, dass sich die Erde bis 2050 maximal um +1,5°C erwärmen sollte“, erläutert Christian Kramer, CEO und Mitgründer von Food2050. Die Basis des Systems bildet das Climate Impact Model (CIM). Es übersetzt die wissenschaftlich berechneten Klimaemissionen von Menüs in deren Klimawirkung in Grad Celsius.
Nachgefragt bei…
Mehr zu den Hintergründen des Projekts und der nachhaltigen Ausrichtung des ZFV haben der Redaktion GVMANAGER im Folgenden vier Gesprächspartner berichtet:
- Dario Notaro, Chief Business Development Officer der ZFV,
- Marcel Lutz, Product Manager und F&B Angebotsentwickler der ZFV,
- Olga Steiger, Leiterin Nachhaltigkeit, Unternehmensentwicklung und Qualitätsmanagement der ZFV. sowie
- Christian Kramer, CEO und Mitgründer von Food2050.
Welches Ziel haben Sie mit der Einführung von Food2050 verfolgt?
Dario Notaro: Ziel der Berechnungen von Food2050 und der Visualisierung vor Ort ist es, mehr Transparenz zu schaffen. Die strategische Partnerschaft unterstützt uns damit darin, unsere Gäste zu informieren und zu sensibilisieren. So können sie besser verstehen, wie viel jeder Einzelne für das Klima und die eigene Gesundheit tun kann. Mit einer einfachen Entscheidung am Mittagstisch. Dass die Entscheidung für die Umwelt absolut nichts mit Verzicht zu tun haben muss, stellen die von unserem F&B-Team kreierten klimafreundlichen und ausgewogenen Menükreationen unter Beweis. Mit einer kreativen Klimaküche unterstützt unser F&B-Team das Ziel, die Gäste für eine nachhaltige Ernährung zu begeistern. Und dank dem Food2050-Ticker vor Ort ist die Erreichung dieses Ziels transparent sichtbar.“
Wie hat sich seit Einführung des Menüleitsystems ggf. das Auswahlverhalten der Gäste verschoben?
Dario Notaro: Uns wird immer wieder berichtet, dass sich Gäste von den Zahlen inspirieren lassen. Den allermeisten war die konkrete Auswirkung ihrer Menüwahl bis dato nicht bewusst. Handfeste Zahlen und Auswertungen zum Verhalten haben wir noch nicht, diese werden aber in Kürze folgen.
Haben Sie die Rezepturen angepasst, um geringere Werte ausloben zu können?
Marcel Lutz: Bei der Rezeptierung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, Food2050 hilft uns dabei die Klimawirkung und Ausgewogenheit unserer Menüs aktiv zu überprüfen und Massnahmen zu treffen die unser Angebot für die Umwelt und für unsere Gäste laufend verbessern. Und dies nicht nur hinsichtlich der Klimawirkung, sondern auch bezüglich der Ausgewogenheit. Neben der transparenten Kommunikation an unsere Gäste ist auch die laufende Verbesserung unseres Angebotes ein wichtiges Ziel der strategischen Partnerschaft. Dieses Ziel verfolgen wir auch weiterhin.
Sie haben zuvor bereits Ausgewogenheit und Umweltfreundlichkeit der Gerichte gekennzeichnet – mit dem Menü-Nachhaltigkeits-Index (MNI). Warum der Wechsel?
Marcel Lutz: Der Fokus des MNI lag auf den diversen Umwelteinwirkungen. Mit dem Menüleitsystem Food2050 gehen wir nun viel stärker auf die Klimawirkung ein und können diese visualisieren bzw. transparent ausweisen. Da dies alles digital geschieht, ist es sehr modern und trifft den Zeitgeist, v.a. bei unseren Gästen an den Universitäten. Für diese Zielgruppe ist die digitale Verfügbarkeit an Wissen selbstverständlich. Da sind die Foodprofile genau das Richtige. Außerdem ist die Ausweisung der Klimawirkung in Grad Celsius sehr klar und einfach verständlich. Entsprechendes Feedback haben wir auch von unseren Betriebsleitern vor Ort erhalten. Funktionell bietet das Menüleitsystem für uns zudem den Vorteil, dass es die benötigten Daten vollautomatisch über eine ausgereifte Schnittstelle zu unserem Warenwirtschaftssystem Necta zieht. So können wir unsere Rezepte wie bis anhin digitalisiert erfassen und die Werte direkt ausweisen.
Worin liegt der Vorteil des Konzepts gegenüber dem klassischen CO2-Fussabdruck?
Christian Kramer: Nach diversen Piloten wurde immer klarer, dass Konsumenten einen Anhaltspunkt für ihr Verhalten suchen, um globalen Klimazielen und nationalen Ernährungsempfehlungen entsprechen zu können. CO2 ist für Konsumenten zu abstrakt, wobei Grad Celsius eine international gängige Metrik ist, die sich vor allem auch mit den weltweiten Temperaturrekorden spüren lässt. Zudem erlaubt die Bewertung des Erderwärmungspotenzials die direkte Anknüpfung an das Pariser Klimaabkommen mit +1.5°C. Zentral war für uns das Zusammenspiel der Ausgewogenheit und der Klimawirkung in der Kommunikation, um mittelfristig auch der global anerkannten Planetary Health Diet gerecht zu werden, welche nun über Zeit ausgewiesen werden kann.
Sie sagen, Sie wollen den Gästen weiter die Wahl lassen: Wie oft gibt es dann z. B. pro Woche noch fleischlastige Gerichte?
Marcel Lutz: Uns ist es wichtig, unsere Gäste zwar zu inspirieren, sie aber nicht zu bevormunden. Wir denken an alle Gäste, auch jene, die sich klassisch ernähren wollen. Deshalb bieten wir weiterhin ein Fleischmenü oder ein Angebot an Fisch und Fleisch beim Free Flow-Buffet an. In einigen Betrieben bieten wir für die vegetarischen und veganen Menüs, die mindestens in einer Ausführung immer zum Angebot gehören, auch die Add On-Möglichkeit, bei der Fleisch dazu bestellt werden kann. Uns geht es darum, den interessierten Gästen Transparenz zu bieten. Wir wollen selbstverständlich zum Umdenken anregen, jedoch ist es absolut in Ordnung, dass sich unsere Gäste auch einmal ein Schnitzel gönnen.
Was macht der ZFV – abgesehen von einer transparenten Information – sonst noch fürs Klima?
Olga Steiger: Wir messen den Ausstoß von Treibhausgasen nicht nur von unseren Menüs, sondern vom gesamten Unternehmen über alle drei Scopes. Somit fließt beispielsweise auch unser Energieverbrauch und der Einkauf von diversen Produkten und Materialien in unsere Treibhausgasbilanz ein, die wir jährlich aktualisieren. Basierend auf unserem Ausstoß im Jahr 2019 haben wir uns wissenschaftsbasierte Ziele nach der Science Based Targets Initiative (SBTi) gesetzt, um als Unternehmen den notwendigen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1.5 °C zu leisten. Bis 2050 streben wir an, Netto Null-Emissionen zu erzeugen. Um zielgerichtet vorwärtszukommen, erarbeiten wir gerade eine Klimastrategie, wo klimafreundliche Menüs oder auch die Vermeidung von Food Waste eine große Rolle spielen. Denn die meisten Emissionen entstehen bei uns im Scope 3, beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen.
Wie sieht für Sie eine nachhaltige Mensa aus?
Olga Steiger: Eine nachhaltige Mensa ist für uns ein Begegnungsort, an dem wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie so weit wie möglich umgesetzt haben. Und da spielen diverse Nachhaltigkeitsaspekte eine Rolle: Sowohl eine kontinuierliche und aus wissenschaftlicher Sicht notwendige Reduktion von Treibhausgasemissionen und Food Waste als auch die Möglichkeit, sich ausgewogen zu ernähren. Dazu gehört für uns aber auch, dass die nachhaltige Mensa unseren Mitarbeitenden einen Arbeitsplatz bietet, an dem Chancengerechtigkeit und Inklusion gelebt werden. Schliesslich ist in einer nachhaltigen Mensa die gesamte Lieferkette fair ausgestaltet, für Mensch und Umwelt. Eine nachhaltige Mensa hat klare Ziele vor Augen, ruht sich aber nicht auf Erreichtem aus, sondern verbessert sich kontinuierlich weiter.
Wie lautet Ihr Resümee nach zwei Jahren Food2050?
Dario Notaro: Vom Beginn der Partnerschaft bis heute hat sich einiges getan: Alleine die technischen Weiterentwicklungen vom ersten Pilotsystem an der Universität Zürich bis zu den heutigen Ausführungen wie beispielsweise im Toni-Areal oder dem Verkehrshaus der Schweiz sind sehr beeindruckend. Und auch wir haben durch die Auswertungen sehr viel dazu gelernt, was unser Angebot in Sachen Klimafreundlichkeit und Ausgewogenheit stetig vorantreibt. Wie Olga aber gerade sagte, geht es darum, sich stetig weiterzuentwickeln und genau das werden wir auch in Zukunft tun.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Quelle: B&L MedienGesellschaft