Hülsenfrüchte sind der Inbegriff für pflanzliches Protein. Ballaststoffreich und vielseitig kombinierbar, sind sie zudem wahre Alleskönner, gerade in der vegetarisch-veganen Küche.
Der Ernährungstherapeut und -berater sowie VDOE-Mitglied Claus Rothenbücher erklärt im Interview mit der Redaktion GVMANAGER, warum pflanzliches Protein aus Linsen, Kichererbsen & Co. nicht nur für Veganer wertvoll ist, sondern auch wie man die Verträglichkeit der Hülsenfrüchte verbessert und weshalb Soja zu Unrecht in Verruf geraten ist.
Herr Rothenbücher, Hülsenfrüchte gelten als hervorragende pflanzliche Proteinquelle. Wie schneiden sie im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln ab?
Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen oder auch Sojabohnen sind für Veganer eine wichtige Proteinquelle und deutlich fettärmer als die ebenfalls empfehlenswerten Nüsse und Ölsaaten. 
Ihre Eiweißqualität liegt zwar etwas unter der von tierischen Proteinen, lässt sich aber durch die richtige Kombination ausgleichen. Pflanzliche Proteine enthalten alle essenziellen Aminosäuren, die der Körper nicht selbst herstellen kann. Manche aber, wie Lysin, sind nur in geringen Mengen vorhanden. Das kann sich ausgleichen, indem man sich vielfältig ernährt und pflanzliche Eiweißquellen kombiniert. 
Vor allem Getreide, das die essenziellen Aminosäuren in hoher Konzentration enthält, ist ein guter Partner für Hülsenfrüchte – idealerweise in der Vollkornvariante für ein Plus an Ballaststoffen. So ergänzen sich die Aminosäureprofile – und die sogenannte biologische Wertigkeit wird gesteigert. 
Was ist die biologische Wertigkeit von pflanzlichem Protein?
Diese gibt an, wie effizient Eiweiß aus der Nahrung in körpereigene Proteine wie Enzyme und Hormone verwandelt werden kann. Der Körper speichert die Aminosäuren in einem Pool. Das kann man sich vorstellen wie eine Kiste Legosteine, die nach Bedarf vom Körper verbaut werden. Was bislang wenig bekannt ist: Die Aminosäuren müssen nicht alle in einem einzigen Gericht kombiniert sein. Es reicht aus, wenn sie aus verschiedenen Quellen über den Tag verteilt zugeführt werden
 
„Kleine Hülsenfruchte, noch dazu in geschälter Form, wie Linsen, sind oft verträglicher als große wie Bohnen. Auch pürieren kann die Verträglichkeit verbessern.“
Claus Rothenbücher, Nutrinia – Praxis für Ernährungsberatung und Ernährungstherapie
Wie unterscheidet sich der Eiweißgehalt ganzer Hülsenfrüchte von deren Mehlen oder von hochverarbeiteten Fleischersatzprodukten?
Hülsenfruchtmehle – ob aus Kichererbsen, Linsen oder Erbsen – haben einen ähnlichen Nährstoffgehalt wie die ursprüngliche Hülsenfrucht. Bei stark verarbeiteten Fleischersatzprodukten ist keine pauschale Aussage möglich. Oft kommen hier Proteinisolate zum Einsatz (s. Kasten).
Industriellen Ersatzprodukten ernährungsphysiologisch überlegen sind meist schlichtes Sojagranulat, Sojaschnetzel oder Tofu.
Mehl versus Isolat
Hülsenfruchtmehl: Die ganze Hülsenfrucht wird gemahlen. Das Mehl enthält dementsprechend alle Komponenten der Hülsenfrucht. Der Proteingehalt entspricht etwa dem Proteingehalt des Ausgangsprodukts. Nachteil ist ein starker Eigengeschmack, weshalb das Mehl nicht für Fleischalternativen verwendet wird.
Proteinkonzentrat: Mittels einem trockenen Mahl- und Sichtungsverfahren kann aus Hülsenfruchtmehl Proteinkonzentrat gewonnen werden. Dabei wird das Mehl in leichtere, proteinreiche und schwere, stärkereiche Anteile aufgeteilt. Der Proteingehalt des Endprodukts liegt zwischen 50 und 70 %.
Proteinisolat: Hülsenfruchtmehl wird mit Wasser gemischt, dann mit Lauge und Zentrifugation das Protein von der Stärke getrennt. Mit isoelektrischer Fällung oder Ultrafiltration wird das Isolat weiter aufkonzentriert. Die Endkonzentration liegt bei 80 bis 90 % Protein.
Soja hat nicht gerade den besten Ruf…
Häufig zu Unrecht! Tofu & Co. zu boykottieren, um beispielsweise den Regenwald zu schonen, ist Nonsens. Denn das Soja, das derartig kultiviert wird und oft auch genmodifiziert ist, geht primär in die Tierfütterung. Es wäre also folgerichtig den Fleischverzehr zu hinterfragen und erst Recht auf Fleischersatzprodukte wie Tofu zu setzen. 
Soja für die Humanernährung in Deutschland wird grundsätzlich aus Europa bezogen. GMO-Soja müsste entsprechend gekennzeichnet werden, da die Akzeptanz so gering ist, kommt er aber meines Wissens nach nicht bei unseren Lebensmitteln zum Einsatz.
Was bringen Hülsenfrüchte, außer Eiweiß, noch mit?
- Sie liefern reichlich Ballaststoffe, die die Darmflora fördern.
- Eisen in Hülsenfrüchten wie Linsen liegt als Ferritin vor und wird besonders gut aufgenommen – anders als pflanzliches Eisen aus grünem Gemüse, das Vitamin-C-haltige Begleiter braucht.
- Außerdem enthalten Hülsenfrüchte wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe.
- Kalzium ist ebenfalls enthalten, aber in geringeren Mengen als in Milchprodukten.
- Kritisch können Vitamin B12, Vitamin D, Jod, Cholin und langkettige Omega-3-Fettsäuren werden – diese kommen in pflanzlicher Kost nur begrenzt vor. Hier halte ich eine Anreicherung tatsächlich für sinnvoll, insbesondere bei industriellen Fleischersatzprodukten. Im Bereich Milchalternativen ist das gängige Praxis, im Bio-Segment jedoch selten.
Die Verdaulichkeit von Hülsenfrüchten gilt als Manko. Wie kann man sie verbessern?
- Zum einen hilft es, die Menge langsam zu steigern, damit sich das Mikrobiom anpasst.
- Hülsenfrüchte gut durchzugaren, ist ebenfalls elementar.
- Kleine Hülsenfruchte, noch dazu in geschälter Form, wie Linsen, sind oft ebenfalls verträglicher.
- Auch pürieren, keimen oder fermentieren kann die Verträglichkeit verbessern.
Wie sieht es mit dem Kohlenhydratgehalt von Hülsenfrüchten aus?
Auch für Kohlenhydrate sind Hülsenfrüchte eine gute Quelle, v. a. da sie mit ihrem Nährstoffgesamtpaket punkten: Vitaminen, Mineralstoffen, sekundären Pflanzenstoffen und Ballaststoffen. 
Da können Nudeln und Kartoffeln nicht zwingend mithalten. Nudeln sollten auf jeden Fall als Vollkornvariante verzehrt werden, Kartoffeln möglichst nicht frittiert oder ersetzt durch Süßkartofflen. Das mindert auch die glykämische Last, wobei das ein Thema für sich ist.
Sind auch Pseudogetreide eine gute Eiweißquelle?
Sowohl Amaranth als auch Quinoa und Buchweizen sind proteinreich, haben eine hohe Nährstoffdichte und sind ein wunderbarer Reis-Ersatz. Da sie sich geschmacklich stark unterscheiden, sollten sie je nach Gusto eingesetzt werden. Doch Achtung: Pseudogetreide enthalten, ebenso wie Hülsenfrüchte, verschiedene antinutritive Stoffe, also Stoffe, welche die Aufnahme von anderen Nährstoffen beeinträchtigen können. Daher sollten sie keinesfalls roh serviert werden. Keimen oder fermentieren verbessert die Nährstoffaufnahme zusätzlich.
Was ist Ihr abschließender Tipp für Großküchen, wenn sie gesunde vegane Gerichte anbieten wollen?
Der Schlüssel liegt in der Vielfalt:
- Hülsenfrüchte regelmäßig einsetzen,
- Getreide und Pseudogetreide klug kombinieren,
- Nüsse und Samen nutzen, etwa Cashew- oder Mandelmus in Saucen.
- Preislich sind Hülsenfrüchte günstig, es fehlt oft nur an Ideen und Akzeptanz. Inspiration aus internationalen Küchen kann hier sehr helfen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Unser Experte Claus Rothenbücher
Die Redaktion GVMANAGER wird wissenschaftlich unterstützt bei Ernährungsthemen vom VDOE-Arbeitskreis Versorgung des BerufsVerband Oecotrophologie e. V. (VDOE), der Experten aus dem Gebiet der Ernährungs-, Lebensmittel- und Haushaltswissenschaften und Oecotrophologie vermittelt. Der VDOE vertritt 4.000 Mitglieder.
Dieses Mal antwortete Claus Rothenbücher. Der Psychologe und Ernährungstherapeut arbeitet seit vielen Jahren in der Ernährungsberatung, sowohl therapeutisch als auch präventiv. Die Schwerpunkte seiner Praxis Nutrinia reichen von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zu Unverträglichkeiten. Neben der Einzelberatung liegt ihm die Vermittlung gesunder Ernährung am Herzen – in Schulen, Kindergärten und der Gemeinschaftsverpflegung. Sein Credo ist, zu zeigen, dass gesunde Ernährung weder kompliziert noch teuer ist, sondern Spaß machen und schmecken kann.
Plant-based Ersatzprodukte
Die Hochschulgastronomie des Studierendenwerks Freiburg unter Christian Brogle tüftelt an vegetarisch-veganen Kreationen – ohne Fleischersatzprodukte, dafür mit Sojajoghurt, Cutter und vielen Hülsenfrüchten, die sogar zu Pasta verarbeitet werden. Mehr dazu lesen Sie hier.
Quelle: B&L MedienGesellschaft
 
 
 
								 
 
							 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
