Daten sind das neue Gold in einer digitalen Lebensmittelwelt und damit auch in der GV.
Quelle: Mooncux – stock.adobe.com

Tipps von Hendrik Haase zur digitalen Lebensmittelwelt

Seine Vorträge sind zum Schmunzeln und Grübeln zugleich. Ob Erdbeer-Pflückroboter, digitale „Nase“ oder die neuesten Apps rund um Ernährung – Hendrik Haase gibt sehr anschaulich und humorvoll Einblick in die digitale Revolution unserer Lebensmittelwelt. Auch erschreckende Zahlen und Tendenzen spürt er auf, wie die inzwischen 88 Prozent Zombie Eater, die während des Essens auf irgendeinen Bildschirm starren.

Hendrik Haase redet und schreibt über Lebensmittel, unsere Esskultur und eine genießbare Zukunft in Zeiten des digitalen und ökologischen Wandels. Die Branche der Gemeinschaftsgastronomie begleitet er inzwischen seit 10 bis zwölf Jahren. Grund genug für die Redaktion GVMANAGER ihn anlässlich des 75-jährigen Jubiläums des Fachmagazins zum digitalen Paradigmenwechsel in der GV zu befragen.

Nachgefragt bei Hendrik Haase

Hendrik Haase ist Befürworter und Kritiker der digitalen Lebensmittelwelt
Quelle: Bitkom

„Richtig spannend wird es, wenn all diese Daten, die heute entlang der gesamten Lebensmittelkette von Acker bis Teller gesammelt werden, verknüpft werden. Es geht am Ende nicht um den Roboterarm, es geht um den Maschinenraum!“

Hendrik Haase

Herr Haase, eigentlich sind Sie Digitalisierung gegenüber recht aufgeschlossen, so uneigentlich gibt es da aber ein paar Kritikpunkte, oder? Beispielsweise was Roboter angeht?

Ich mag das Bild vom kochenden, menschlich aussehenden Roboter nicht, weil es zu viel verspricht. Klar ist es faszinierend, wenn mir ein Kochroboter auf Knopfdruck ein frisches Gericht zubereitet. Aber letzten Endes ist das „nur“ ein Haufen Feinmechanik, der intelligent gesteuert wird. Und diese humanoiden Varianten, wie Tesla z. B. vorgestellt hat, sehe ich kritisch; v. a. wenn es heißt sie übernehmen morgen alle unsere Arbeitsplätze. Gerade die, die viele feinmotorische Handgriffe erfordern, wie in der Küche.

Wie stehen Sie zum Hype um KI in der Branche?

Künstliche Intelligenz klingt so ein bisschen Superhuman, übernatürlich und verspricht – ähnlich wie Roboter – viel zu viel. Zudem hat der Begriff angesichts seiner Entstehungsgeschichte einen gewissen Beigeschmack. Denn tatsächlich wurde der Begriff KI in den 50ern von jungen Wissenschaftlern geboren – als eine Art PR-Begriff. Es ging darum Fördergelder von der Rockefeller Stiftung für ein Projekt rund um stochastische neuronale analoge Verstärkungsberechnungen zu bekommen. Das klang aber alles zu kompliziert. So kam der griffigere Begriff „Künstliche Intelligenz“ in die Welt – mitsamt allen damit verbundenen, zum Teil überzogenen Erwartungen.
Ich persönlich präferiere den Begriff selbstlernende Algorithmen.
Was mich allerdings fasziniert, begeistert und auch erschreckt, ist, wie schnell diese neuen Algorithmen dazulernen und mit welcher Präzision sie sinnvolle Vorhersagen treffen können. Gerade bei Techniken wie der Bilderkennung, also Computer Vision, ging die Lernkurve in den letzten Jahren steil nach oben.

Wie alltäglich ist diese Technologie bereits? Und wie relevant für die Branche der Gemeinschaftsgastronomie?

Inzwischen befindet sich diese Technik in jedem Smartphone und vielen weiteren Geräten, die wir mit uns herumtragen. Selbst in der Landwirtschaft wird die Technologie z. B. in Form von Bilderkennung genutzt. Eine Heidelbeere wird heute in modernen Sortieranlagen 30-mal mit Multispektralkameras fotografiert, um den Reifegrad und die Qualität zu bestimmen in einem Spektrum, das das menschliche Auge gar nicht erfassen kann. Daraus erstellt die KI Prognosen über Haltbarkeit und Frische der Früchte. Per MRT lassen sich pro Stunde acht Tonnen Nüsse durchleuchten und mittels KI-Musteranalyse auf Schädlinge und Haltbarkeit prüfen. Die Präzision mit der heute Massen von Lebensmitteln erzeugt, sortiert oder gezielt mit Pflanzenschutz oder technischen Unkrautbehandlungsmaßnahmen behandelt werden können, ist faszinierend.

Auch in der Gemeinschaftsgastronomie kommt die Bilderkennung zum Einsatz, z. B. bei kamerabasierten SB-Kassen oder in Kombidämpfern, die dann wissen was auf dem Blech liegt und die Garzeiten automatisch anpassen können. Hier und da erlebt man noch Kinderkrankheiten, aber die Technik wird immer schneller und immer besser.

GV-Köche sollten lernen, mehr in Daten zu denken, um die digitale Lebensmittelwelt zu verstehen und nutzen.
Quelle: GVMANAGER/Midjourney

Sie sagen, das Spannende an dieser Technologie liegt im Verborgenen – inwiefern?

Richtig spannend wird es, wenn all diese Daten, die heute entlang der gesamten Lebensmittelkette von Acker bis Teller gesammelt werden, verknüpft werden. Es geht am Ende nicht um den Roboterarm, es geht um den Maschinenraum! Selbstlernende Algorithmen, die wir KI nennen sind dann am effektivsten, wenn ihnen möglichst viele Daten zur Verfügung stehen. Wir müssen daher lernen, mehr in Daten zu denken! Wo entstehen sie? Wie kann ich sie nutzen? Viel zu oft werden sie heute verschenkt. Die Wertschöpfung aus der Datenanalyse entsteht dann woanders. So bergen diese neuen digitalen Technologien auch das Risiko des Kontrollverlustes. Die Frage, die ich mir auch in meinem aktuellen Buch stelle, ist folglich: Wie können wir die Kontrolle behalten, in einer digitalen Welt des Essens?

Und wie geht das?

Statt Daten zu verschenken, sollten wir sie nutzbar für uns machen, aus den Ergebnissen der Datenanalysen selbst Kapital schlagen. Sonst tun das andere. Da geht es auch um Infrastruktur, und um Sicherheit.

Warum besteht die Gefahr abwandernder Kundschaft und unethischer Arbeitsbedingungen?

Über digitale Wege verschiebt sich der Point of Sale weg vom Regal, der klassischen Speisekarte oder dem Gastraum hinein in den digitalen Raum. Eine App, eine Karte eine Antwort eines KI-Chatbots: auf einmal konkurriert man als Kantine mit Lieferdiensten, Restaurants oder anderen Speisenanbietern, die alle nur einen „Touch“ entfernt sind. Die kann dazu führen, dass das eigene Angebot weniger wahrgenommen oder gleich links liegen gelassen wird, da die smarten Vorschläge viel besser zu den jeweiligen Vorlieben, oder dem Wunsch nach mehr Gesundheit oder Nachhaltigkeit passen.

Unethisch kann es werden, wenn man sich die neuen Arbeitsbedingungen „unter den Algorithmen“ anschaut. Sichtbar wird dies bereits bei den vielen Personen, die beim Essenausfahren heute schon algorithmisch von einer KI gemanaged werden. Der Druck und die Arbeitsbedingungen sind gnadenlos. Der Überwachung und Steuerung von Mitarbeitenden über digitale Tools in deren Maschinenraum ein selbstlernender auf größtmögliche Effizienz und Produktivität getrimmter Algorithmus entscheidet, sind grenzenlos. Hier ist die Diskussion erst am Anfang.

Sie sagen, die GV muss die neuen Technologien besser verstehen, um Chancen und Risiken besser einschätzen zu können – wo sind die größten Wissenslücken? Und wie könnte man diese füllen?

Statt in Hype, magische Zukunftshoffnung oder Dystopien abzurutschen, sollten wir uns aus meiner Sicht mehr mit den Grundlagen dieser neuen Technologien beschäftigen: Dazu gehören die verschiedenen Arten von Anwendungen und Algorithmen, die es in der Welt der KI gibt, wie diese funktionieren und auf welcher Datenbasis sie „trainiert“ wurden. Wir müssen breiter über Dateninfrastruktur, Datenqualität nicht zuletzt über Ethik und Bias – also KI-Vorurteile in den Modellen – Erklärbarkeit und Transparenz reden.

Kulturell müssen wir lernen mit der Algorithmizität umzugehen. Das ist aus meiner Sicht wichtiger als nur die Symptome des Umbruchs zu betrachten. Ansonsten werden wir nicht zu Gestaltern unserer Zukunft sondern nur zu Anwendern.

Derzeit gibt es weder Ethik- noch Qualitätsstandards – wer müsste diese setzen?

Den wichtigsten Anteil daran haben aus meiner Sicht Gesellschaft und Politik. Leider fehlt es hier auf beiden Seiten nach wie vor an Wissen und auch an Tempo, um den rasend schnellen Entwicklungen adäquat zu begegnen. Die Wirtschaft und insbesondere die Gastronomie muss das aber nicht daran hindern, vorweg zu gehen und Pionierarbeit zu leisten. Apple schlägt gerade viel Kapital daraus, dass sie das Thema Privatsphäre für ihre Positionierung unter den Tech-Giganten entdeckt haben. Innerhalb der Gastronomie braucht es schnellstens Kompetenzzentren oder Institutionen, die in der digitalen Welt den Überblick behalten und ein tiefgreifenderes Verständnis aufbauen, was die vielen Tools und Technologien im Stande sind zu leisten und wo Gefahren und Risiken liegen.

Was kann man innerhalb der eigenen Großküche in puncto Reglementierung tun?

Das Wichtigste ist es aus meiner Sicht, neben den Kompetenzen eigene Standpunkte zu entwickeln, ein Werte-Set und dieses offen zu kommunizieren und intern umsetzen. Wie steht der eigene Betrieb zu dieser neuen digitalen Welt? Wie steht es um das Verhältnis analog und digital, wenn es „ums Essen“ geht im eigenen Betrieb? Wo wird es wie eingesetzt? Jetzt ist die Zeit darüber nachzudenken um nicht von der Zukunft überrollt zu werden.

Was sind Ihre Top 3 digitalen Entwicklungen im Bereich der Ernährungsbranche generell?

Es gibt inzwischen sehr gut funktionierenden Prognosesysteme für die Gastronomie, die aus Big Data mit Hilfe von KI recht gut vorhersagen können wie der Bedarf einer Speise oder Zutat am nächsten Tag oder der nächsten Woche sein wird. Das spart viele Ressourcen und dämmt nicht zuletzt die unsägliche Lebensmittelverschwendung ein.

Faszinierend finde ich maschinelle Nasen die immer besser und präziser werden.

Ich bin gespannt, wie die Welt der personalisierten Ernährung in ein paar Jahren aussehen wird. Schon heute gibt es Algorithmen, die auf Basis von DNA, Blut, Urin und anderen Bio-Daten präzise Empfehlungen abgeben können, was ich am besten als nächstes essen sollte – oder besser nicht.

Was ist Ihr abschließendes Fazit – ist die digitale Entwicklung Chance oder Problem für die Branche?

Technologie ist ein Werkzeug – nicht etwas, das einfach über uns kommt. Wir müssen nur lernen dieses Werkzeug zu verstehen und richtig zu nutzen, und zwar um die digitale Servicequalität zu erhöhen. Und dann können daraus auch Effizienzgewinne resultieren, indem wir wieder Zeit für das Wesentliche bekommen. Die Frage ist, wofür nutzen wir diese Zeit dann? Vielleicht, um das analoge Erlebnis wieder zu stärken – den Genuss mit allen Sinnen, unsere Esskultur. Mein Tipp: Lassen Sie sich nicht von diesen ganzen Maschinen ablenken oder Angst einjagen, sondern überlegen sie wie aus dem Team Mensch und KI ein unschlagbares Team werden kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

info

Digital zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen

Wie kann Transparenz vom Acker bis zum Teller gelingen? Welche Rolle spielen Digitalisierung und Blockchain für nachhaltige Lebensmittelsysteme? Olga Graf hat uns dazu mehr berichtet.

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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