„Angenommen alle Gemeinschaftsgastronomen aus Baden-Württemberg würden, wie es das Ministerium möchte, ausschließlich regionale Schweineschnitzel auf die Karte nehmen, nur leider in der gleichen Woche – dann gäbe es in der Folgewoche keine Ferkel mehr im Ländle.“ Mit diesem Beispiel veranschaulicht Uwe Ochott, eine Problematik, die ihn seit Jahren umtreibt. „Ich verstehe nicht, warum die regionale Fleischerzeugung nicht besser koordiniert wird. Es ist doch alles da!“, betont der GV-Manager, der seit fast 40 Jahren in der Branche tätig und auch engagiert in diversen Verbänden ist.
Problem: regionale Beschaffung
Mehr dazu, wie er dieses Problem, das alle Bundesländer betrifft, gerne – zusammen mit anderen – angehen möchte, hat Uwe Ochott der Redaktion GVMANAGER exklusiv berichtet.
Herr Ochott, Sie – als großer Betriebsverpfleger – würden die Beschaffung noch nachhaltiger ausrichten wollen, stoßen aber vor allem bei Fleisch an gewisse Grenzen – inwiefern?
Die Bundesregierung und viele Länderministerien fordern, dass mehr Bio und Regionalität gelebt wird, das befürworte ich sehr – vor allem vor dem Hintergrund, dass die GV große Verantwortung in puncto Ernährung hat, vor allem in Kitas und Schulen. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit aber nicht nur zum Wohle der Umwelt, sondern auch zum Wohle der Tiere und der Menschen bzw. deren Gesundheit. Und bezogen auf Fleisch bedeutet das für mich: qualitativ hochwertig und artgerecht erzeugtes Fleisch – hier spreche ich von mindestens Haltungsform 3 oder besser 4 – doch die Landwirte stellen davon zu wenig zur Verfügung. Weil die Nachfrage fehlt – weil die Schnittstellen nicht koordiniert genug sind.
Sie haben eine Vision, wie man dieses Dilemma lösen könnte – wo müsste man ansetzen?
Wir müssen die Wertschöpfungskette vom Landwirt über den Schlacht- und Zerlegebetrieb bzw. Verarbeitungsbetrieb, der meist eng verknüpft mit dem Großhandel ist, bis hin zum Gemeinschaftsgastronomen besser verbinden und engere Absprachen treffen. Im Kleinen funktioniert das bereits über Direktverträge: Einige meiner Kollegen schließen direkte Verträge mit Bauern ihres Vertrauens und garantieren eine gewisse Abnahmemenge. Große Betriebe sind da außen vor. Sie sind einerseits an Ausschreibungen gebunden und brauchen andererseits derart große Mengen, die sich nicht über eine Handvoll Bauern beschaffen lassen.
Also braucht es die Zwischenstufe des Handels oder der Einkaufsgemeinschaft zur besseren Koordination?
Wir könnten eine Win-win-Situation für alle schaffen, wenn wir unseren Bedarf sämtlicher idealerweise regionaler Agrarprodukte über Jahreskontrakte steuern würden, die viele ja sowieso schließen. Jede Großküche hat Erfahrungswerte und mehr oder weniger fixe Speisepläne, aus denen hervorgeht, welche Mengen sie in welchem Monat wovon braucht. Diesen Bedarf meldet sie jährlich oder ein halbes Jahr vorab ihrem Großhändler, der das wiederum an den Bauernverband oder die Landwirte direkt weitergibt. So bekommen die Landwirte eine gewisse Abnahmegarantie – für Obst, Gemüse oder eben Qualitätsfleisch. Sie haben einen Anreiz, mit der Aufzucht zu beginnen und dieses Angebot erst zu schaffen. Qualität lohnt sich dann wieder für sie.
„Für mich bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur zum Wohle der Umwelt, sondern auch zum Wohle der Tiere und Menschen bzw. deren Gesundheit.“
Uwe Ochott, Leiter Betriebsgastronomie, Stuttgart
Könnte eine solche Nachfrage mit der derzeitigen landwirtschaftlichen Infrastruktur überhaupt gedeckt werden?
Ich denke schon, dass wir genügend Landwirte in Deutschland haben, die hohe Qualität liefern können, sei es Bio, Demeter oder Haltungsform 4. Auch die landwirtschaftlichen Flächen, um die Produktion zu erweitern, sind vorhanden – aber es fehlt die Nachfrage. Es gibt so viel Freifläche, die sich rekultivieren ließe für Futtermittel und Tiere. So könnte für Deutschland auch wieder ein rentabler Zweig in der Aufzucht bzw. Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte entstehen.
Im Moment sterben ja immer mehr landwirtschaftliche Betriebe, weil es unrentabel für sie ist.
Und um das in Gang zu bringen, müsste die GV erstmal gezielt eine solche Nachfrage erzeugen?
Ja, wir als Großverbraucher müssen den ersten Impuls geben! Und dann kann sich diese Entwicklung schnell multiplizieren und zu einem nachhaltigen Wandel – um nicht zu sagen einer Revolution – führen. Unsere Gäste würden mehr für das Thema sensibilisiert und auch Super- und Bio-Märkte könnten mehr Interesse daran finden, wodurch sich in Summe die Preisschraube dreht – ein Benefit für alle.
Apropos Preisschraube: Gerade Qualitätsfleisch ist trotz allem ein Kostenfaktor …
Das stimmt. Aber wir brauchen mehr Qualität auf unseren Tellern, um uns bzw. unsere Gäste gesünder zu ernähren! Und warum erhöhen wir deswegen nicht den Anteil an Gemüse und Beilagen und senken den Fleischanteil auf dem Teller um ca. 30 Prozent? Der Trend geht sowieso in diese Richtung.
Auch die Agrarindustrie könnte sich profilieren, wenn sie mehr auf Qualität setzt.
Welche Rolle spielt der Bauernverband bei Ihrer Idee?
Ich sehe in dieser Form der Kooperation eine große Chance für den Bauernverband, wieder seiner eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden und statt über Politik zu klagen, eine Lösung mitzuentwickeln. Der Verband könnte die Verträge anbieten – und das Ganze überwachen.
Früher übernahmen die Raiffeisenverbände eine ähnliche Funktion für die Bauern und haben sie gebündelt. Dann kamen diese ganzen Regularien auf EU-Ebene, es wurde immer komplexer und wir haben uns irgendwann selbst blockiert. Aber warum lassen wir dieses Modell nicht wieder aufleben? Eine koordinierte Wertschöpfungskette vom Landwirt zum Großverbraucher mit den Schnittstellen Bauernverband und Einkaufsgemeinschaften bzw. Großhändler.
Dann kämen wir vielleicht von diesen unkontrollierten, manchmal auch nicht richtig platzierten Subventionen der EU weg. Nichtsdestotrotz könnte man die Idee über den Bauernverband ja auch auf die EU ausrollen – vor allem vor dem Hintergrund des Tierwohls und der gesunden Ernährung in der GV.
Wie definieren Sie für sich in Bezug auf Fleischprodukte Regionalität – angesetzt am Punkt der Geburt/Aufzucht, Schlachtung bzw. Verarbeitung oder Auslieferung?
Beim Thema Fleisch ist der nachhaltigste Faktor für mich die Haltungsform. Regionalität wäre für mich etwa 80 bis 100 Kilometer im Umkreis des verarbeitenden und wiederverkaufenden Betriebs. Warum? Er ist derjenige, der nachhaltig ausliefern muss. So verbessern wir auch die CO2-Bilanz der Lieferkette deutlich. Und das ist gerade in Ballungsgebieten, wie bei mir in Stuttgart, gut möglich. Trotzdem sollte das Fleisch idealerweise auch aus der jeweiligen Region stammen, also dort aufgezogen sein.
Nochmals zurück zur Qualität, es gibt ja bereits Alternativen wie das Strohschwein. Wie definieren Sie für sich hochwertiges Fleisch?
Es gibt ja bereits vier definierte Haltungsformen – und alles, was wir tun, um von Haltungsform 1 und 2 wegzukommen, ist eine Verbesserung. Mindestens Haltungsform 3 sollte es sein, besser 4. Bio-Qualität wäre schließlich das i-Tüpfelchen.
Das Strohschwein ist für mich ein bisschen Augenwischerei. Durch die Strohhaltung wird suggeriert, dass die Tiere glücklicher sind, aber ein freilaufendes Schweinchen ist noch glücklicher. Schweine suhlen sich lieber draußen im Dreck als drinnen im idyllisch anmutenden Stroh. Und danach kehren sie am liebsten in einen sauberen Stall zurück, ohne verunreinigtes Stroh.
Strohschweine lassen sich gut vermarkten. Wollen wir den Schritt in die Masse schaffen, müssen wir auf die dem Verbraucher vom LEH her bekannten Haltungsformen zurückgreifen. Und wenn der Großverpfleger dann damit wirbt, dass er künftig nur noch Fleisch ab der Haltungsform 3 oder 4 auftischt, dann kann der Gast das gut einordnen. Und das könnte dann auch langfristig die privaten Einkaufsgewohnheiten der Gäste beeinflussen.
Wenn so viel hochwertiges Fleisch nachgefragt wird, und es werden dann vorrangig nur die edleren Teile sein – was passiert dann mit dem Rest?
Hier sehe ich wieder eine Chance für die verarbeitenden Betriebe. Sie könnten daraus auch Wurstprodukte in hoher Qualität, sprich Haltungsform 3 oder 4, und aus der Region herstellen und entsprechend deklarieren. Diese lassen sich gezielt im regionalen LEH vermarkten und damit ein Mehrwert schaffen. So wird sich der Kreis schließen.
Braucht es ergänzend auch politische Leitplanken?
Ich glaube, es wurde politisch bereits gut vorgelegt. Ich würde aber nicht ausschließen, dass – wenn sich das etabliert hat – wir nochmal eines drauflegen, sodass z. B. eine Haltungsform 5 mit Bio on Top kommt.
Und, um die Idee mal weiterzuspinnen: Dann hätten wir im europäischen Vergleich auch die Möglichkeit, das Gütesiegel „Made in Germany“ auch mit unserer Landwirtschaft abzubilden.
Wie geht es nun weiter?
In meinem Netzwerk gibt es viele, die das gleiche Problem haben – aber es passiert nichts, weil wir nicht gehört werden. Deswegen einen weiteren Verband o. Ä. zu gründen, halte ich aber für genauso wenig zielführend. Wir müssen uns einfach mal zusammentun!
Ich möchte, exklusiv unterstützt vom GVMANAGER und ersten Partnern wie der S&F-Gruppe, einen Aufruf starten und danach gezielt Kooperationspartner ansprechen und zu einem Round-Table-Gespräch einladen.
Lasst uns einfach mal wieder, ohne uns von Regularien blockieren zu lassen, eins plus eins zusammenzählen, das Vorhandene nutzen und stärken – und dann multiplizieren. Einfach so! Es ist alles schon da! Wir haben Zugriff auf die besten Zutaten, um einen Eintopf zu kochen, der allen schmeckt – packen wir es an!
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Quelle: B&L MedienGesellschaft