Stefan Lehmann über Qualitätsstandards und Kontrollen, Netzwerken und Dumpingpreise in der Schulverpflegung
Quelle: Lehmanns Gastronomie

Was treibt Stefan Lehmann an?

In puncto Schulverpflegung hat in Deutschland kaum ein Familienunternehmen eine solch steile „Karriere“ hingelegt wie die Bonner Lehmanns Gastronomie – und noch dazu durch eigenes Engagement die Branche stets in Gespärch gebracht.

Welches Erfolgsrezept steckt hinter Günther und Stefan Lehmann, den Gründern und Geschäftsführern? 2005 starteten die visionären Lehmänner aus einer Altenheimküche heraus, mit Fokus auf Senioren und kleinem Zusatzgeschäft Kitaverpflegung. Die einst sieben Mitarbeiter und 150 Essen vervielfachten sich in kürzester Zeit. Heute, 20 Jahre später, produziert der Kita- und Schulcaterer über 20.000 Essen für über 230 Kunden mit 225 Mitarbeitern.

„Ich habe bei meinem Vater gelernt, dass man die Dinge selbst in die Hand nehmen muss, wenn man etwas verändern möchte. Das ist es, was mich antreibt.“

Stefan Lehmann, Geschäftsführer, Lehmanns Gastronomie

Welche Rolle spielte bei dieser Erfolgsstory auch das Netzwerk?
Preisdruck oder Personal – was sind die kommenden Herausforderungen?
Mehr dazu hat Stefan Lehmann der Redaktion Schulverpflegung im Interview verraten.

Herr Lehmann, gestartet aus der Seniorenverpflegung mit einigen Kitas, liegt heute der klare Fokus auf Schulverpflegung. Die Bibel Ihres Erfolgs in diesem Segment war einst eine Studiumsarbeit…

Das stimmt. Als uns die ersten einstigen Kita-Eltern fragten, ob wir nicht auch Schulverpflegung können, machte ich eine Weiterbildung zum Verpflegungsbetriebswirt an der HMA in Koblenz. Gemeinsam mit Thomas Hus vom Mensaverein Minden – wir sind seitdem gut befreundet – und einem weiteren Kommilitonen haben wir unsere Abschlussarbeit über die Einführung einer professionellen Kinder- und Schulverpflegung bei Lehmanns geschrieben.

Als Studenten konnten wir dabei sehr kreativ arbeiten – inkognito bei Wettbewerbern anrufen, Probeessen veranstalten, Dinge ausprobieren, die man als klassisches Start-up eher nicht macht. Die Arbeit wurde mit Bestnote bewertet – und rückblickend war sie wirklich so etwas wie unsere Bibel für die Anfangsjahre.

Was war der größte Rückschlag in 20 Jahren Unternehmensgeschichte und wie haben Sie diesen bewältigt?

Ein schwerer Einbruch im Jahr 2015, der durch Insiderwissen durchgeführt wurde, hat uns in unserem Urvertrauen schon sehr getroffen.

Der wirtschaftliche Tiefpunkt des Unternehmens war ganz klar die Corona-Krise, die zwei Jahre nach Fertigstellung unserer neuen großen Produktionsküche die ganze Welt lahmgelegt hat.

Als rheinländische Frohnaturen haben wir die Krisen gemeistert und sind noch enger zusammengerückt.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation im Vergleich zur Corona-Zeit, wie im Vergleich zum Start vor 20 Jahren?

„Wir haben es in den letzten zwanzig Jahren leider nicht geschafft, die Wertschätzung und das Preis-Leistungs-Verhältnis für Kinderessen in Deutschland auf ein angemessenes Niveau zu heben. Preise und Wirtschaftlichkeit sind bis heute große Herausforderungen.“

Stefan Lehmann

In der Corona-Krise haben wir leider Mitarbeiter verloren und es hat sehr lange gedauert, um alle offenen Stellen wieder mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Durch unsere Spezialisierung auf die Kinder- und Schulverpflegung waren wir schnell wieder ausgelastet und unser Unternehmen expandiert bis heute.

Jedoch haben wir es in den letzten zwanzig Jahren leider nicht geschafft, die Wertschätzung und das Preis-Leistungs-Verhältnis für Kinderessen in Deutschland auf ein angemessenes Niveau zu heben. Preise und Wirtschaftlichkeit sind bis heute große Herausforderungen.

In einem Beitrag aus 2017 habe ich die „Lehmänner“ als „verrückte Visionäre“ betitelt. Was ist rückblickend die beste oder kreativste Idee, mit der Sie Ihren Betrieb vorangebracht haben?

Eine der kreativsten Ideen war es, unser Speiseangebot im Baukastensystem anzubieten. Dies schätzen und lieben unsere Kunden bis heute. Des Weiteren hat die einzigartige Idee der Online-Großküche hohe Transparenz und viel Vertrauen bei unseren Kunden geschaffen. Auch die intensive Kundennähe, die wir seit der ersten Minute im Unternehmen leben und pflegen wird uns regelmäßig als große Stärke bestätigt. Dazu tragen unsere Eltern-Informationstools wie unser Magazin und unsere App bei.

Was verbirgt sich konkret hinter dem Baukastensystem?

Weil das eine Kind dieses nicht mag, das andere jenes, haben wir schon vor einigen Jahren unser Speisenangebot im Baukastensystem aufgebaut. Alles wird komponentenrein gekocht mit möglichst eintöniger Optik, damit Kinder bestimmte – vor allem grüne – Zutaten nicht sofort erkennen. Um trotzdem Kräuter und Gemüse unterzubringen, pürieren und tricksen wir viel. Beim Hühnerfrikassee gibt es z. B. nur die helle Sauce mit Fleisch – ohne die traditionellen Zutaten wie Erbsen, Möhren oder Champignons. Wer Gemüse möchte, kann es separat dazu bestellen. Oder Salat. Oder Rohkost. Oder alles zusammen.
Auch die Beilage kann jede Einrichtung frei wählen: Reis, Nudeln oder Kartoffeln – je nach Bedarf. Große Einrichtungen können sogar mehrere Varianten bestellen, bei kleineren geht das aus logistischen Gründen leider nicht.
Bei uns gibt es keine starren Regeln wie „Salat oder Dessert – aber nicht beides“. Die Kinder sollen ein vollwertiges Essen bekommen, so, wie es ihnen schmeckt.

Wie erfüllen Sie die DGE-Qualitätsstandards, wenn sich die Einrichtungen ihre Speisen selbst zusammenstellen?

Bei uns ist nicht der ganze Speiseplan oder eine Menülinie zertifiziert – sondern die einzelnen Komponenten, die dann mit dem DGE-Logo gekennzeichnet sind. So sehen unsere Kunden auf einen Blick, was sie kombinieren müssten, damit es DGE-konform ist. Das zu entscheiden liegt aber allein in den Händen der Einrichtung.

Dass wir das so konsequent umsetzen, verdanken wir auch unserer Mitarbeiterin Frau Dr. Elke Liesen, die einst bei der DGE tätig war und jetzt bei jedem Speiseplan ganz genau hinschaut – inklusive erhobenem Zeigefinger, wenn’s nötig ist.

Sie plädieren für bundesweit einheitliche und verpflichtende Qualitätsstandards – eine Überzeugung, die sicher nicht repräsentativ für die ganze Branche ist. Viele scheuen den Aufwand und kämpfen mit der Akzeptanz DGE-konformer Speisen…

Das unfaire Preis-Leistungs-Verhältnis ist in meinen Augen die größte Herausforderung. Um Leistung in diesem Bereich zu bewerten, sind aber einheitliche und verpflichtende Qualitätsstandards die einzige Lösung. Welche Qualitätsstandards das sind, sollte bundespolitisch vorgegeben werden. Die Zertifizierung der DGE-Qualitätsstandards ist für uns aktuell der beste Nachweis für die gute Leistung, die meine Mitarbeiter tagtäglich erbringen.

Wenn Sie selbst einen Qualitätsstandard entwickeln könnten – worauf würden Sie verzichten, worauf mehr Wert legen?

Das Wichtigste wäre für mich: Es muss kontrolliert werden. Viele Ausschreibungen verlangen zwar die Einhaltung von Standards, aber niemand kontrolliert, ob das tatsächlich passiert.
Wir erleben sogar, dass wir wegen unserer DGE-Zertifizierung manchmal „zu gut“ sind – uns wurde gesagt: Wenn wir die Standards verpflichtend in die Ausschreibung schreiben, bleiben nur Sie übrig. Das zeigt leider, wie wenig Verbindlichkeit herrscht.

Grundsätzlich halte ich die DGE-Qualitätsstandards für eine gute Basis. Aber: Ich wünsche mir, dass die Praxis mehr Gehör findet.
Ein Beispiel: Fettfisch ist laut DGE regelmäßig auf dem Speiseplan vorgeschrieben. Kinder essen jedoch häufig keinen Hering. Lachs und Thunfisch wären eine Option, sind aber oft unbezahlbar. Wir müssen also Gerichte anbieten, die am Ende kaum bestellt werden – nur um die Vorgaben zu erfüllen.
Ein flexiblerer, praxisnäherer Standard, der echte Qualität anerkennt und kontrolliert wird – das wäre mein Wunsch.

Sie haben die Branche auch durch Ihr Engagement in Netzwerken vorangebracht…

Stefan und Günther Lehmann, Gründer von Lehmanns Gastronomie
Stefan und Günther Lehmann (v. l.) vor den Namen all Ihrer Marken (Quelle: Lehmanns Gastronomie)

Wir Lehmänner waren schon immer Netzwerker und Vereinsmenschen. Mein Vater hat viele Jahre den Arbeitskreis Gemeinschaftsverpflegung Köln geführt – daraus ist auch die Idee entstanden, ein eigenes Netzwerk speziell für die Kinder- und Schulverpflegung aufzubauen. Wir gründeten vor 13 Jahren das PROFITreffen Schulverpflegung, einen bundesweiten Austausch unter derzeit 15 Unternehmen mit klaren Regeln: max. zwei Teilnehmende pro Bundesland, kein Wettbewerb, offener und ehrlicher Austausch.

Parallel engagiere ich mich in der Union der Wirtschaft, in der Denkfabrik „Zukunft der Gastwelt“ unter Leitung von Marcel Klinge. Dort vertrete ich als Beiratsmitglied den Bereich Kinder- und Schulverpflegung. Dieses Netzwerk ist politisch stark – und ich bin stolz, dort Impulse setzen zu dürfen.

Das ICA ist für mich persönlich das inspirierendste Netzwerk, bei dem ich am meisten für mein Tun mitnehmen kann.

Warum haben Sie sich dem Verband Deutscher Schul- und Kita-Caterer (VDSKC) angeschlossen?

Der VDSKC war für uns lange uninteressant, weil er sich zunächst ausschließlich auf Berlin konzentrierte. Erst mit dem neuen Vorstand und einer bundesweiten Neuausrichtung wurde klar: Wir haben gemeinsame Ziele. Nach einem intensiven Austausch sind wir 2023 beigetreten.
Ich übernehme fortan zudem den Aufbau der Landesgruppe NRW – meine aktuell größte Mission. NRW ist im Bereich Schulverpflegung sehr unstrukturiert – keine einheitlichen Vorgaben, wenig Austausch. Es herrscht ein wenig Chaos. Ich möchte hier Strukturen schaffen und die Akteure zusammenbringen.
Darüber hinaus engagiere ich mich im Arbeitskreis Catering des DEHOGA Nordrhein e.V. und habe dort inzwischen die Zuständigkeit für das Thema Kinder- und Schulverpflegung übernommen.
Auch mit den Ernährungsräten bin ich im Austausch.

All diese Netzwerke haben unterschiedliche Schwerpunkte – von politischer Arbeit bis hin zu fachlichem Austausch – und gerade das macht sie so wertvoll. Ich tanze da aktuell auf vielen Hochzeiten, und das geht nur, weil ich großartige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an meiner Seite habe.

Gibt es einen Ausweg aus dem enormen Kostendruck ohne politische Unterstützung?

Nein. Die Bereitschaft für ein gutes Kinderessen auch gutes Geld zu zahlen, ist in unserer Gesellschaft nicht gegeben. Viele Eltern können sich schon heute kaum das Essen in den Einrichtungen für ihre Kinder leisten. Caterer machen zusätzlich mit Dumping-Preisen den Markt kaputt. Meiner Meinung nach muss der Staat hier eingreifen und das Kinderessen viel stärker monetär subventionieren.

Und wenn diese Subventionierung ausbleibt?

In der Vergangenheit konnten wir bei der Lehmanns Gastronomie Preissteigerungen überwiegend durch Expansion auffangen – also mehr Essen produzieren. Aber auch das hat Grenzen. Und die enormen Kostensteigerungen der letzten Jahre waren nicht absehbar. Zusätzlich kommen Maßnahmen wie die Mehrwertsteuerreduzierung – eigentlich gedacht zur Entlastung der Gastronomie – oft nicht bei uns an. Denn in Ausschreibungen werden plötzlich Nettopreise verlangt, damit der Steuervorteil direkt an die Eltern weitergegeben wird. Das war eigentlich nicht die Idee hinter dieser politischen Maßnahme. Wir bräuchten die 12 Prozent Entlastung dringend, um weitere Kostentreiber wie die Erhöhung des Mindestlohns aufzufangen.

Solange es weiter Caterer gibt, die auch noch zu Dumpingpreisen liefern, wird sich aber nichts ändern, oder?

Das ist leider wahr. Wir Caterer sind letztlich selbst mitverantwortlich, weil wir uns gegenseitig mit niedrigen Preisen unterbieten. In Nordrhein-Westfalen gibt es noch Anbieter, die unter drei Euro pro Essen anbieten – das halte ich für unseriös. Ein gutes Kinderessen ist für diesen Preis schlicht nicht möglich. Bei uns kostet der Hauptgang aktuell 3,50 Euro, das Dessert 40 Cent. Damit gehören wir schon zu den teureren Anbietern – und verlieren dennoch Kunden wegen des Preises.

Kurzfristig werden vielleicht noch einige Große mitmachen, aber langfristig sehe ich große Probleme. Besonders im Bereich der weiterführenden Schulen ziehen sich viele Caterer zurück, weil sich das Geschäft dort kaum noch lohnt – auch wegen des zusätzlichen Personalaufwands. Wir brauchen in den Schulen Menschen, die zuverlässig das Essen ausgeben – keine Spitzenköche. Doch motivierte Mitarbeiter zu finden wird immer schwieriger. Dabei steht und fällt der Ruf eines Caterers meist genau mit diesen Kräften, da kann er noch so gutes Essen liefern…

Ergänzen Sie folgenden Satz: Der Fokus auf Kita- und Schulverpflegung erfüllt mich, weil…

… die Verpflegung unserer Kinder enorm wichtig ist. Was gibt es Schöneres, als Kinder mit einem guten Essen glücklich zu machen und damit dann auch noch gesund zu ernähren?

Was war Ihr Leibgericht als Kind?

Pizza, die liebe ich noch heute! Von uns warm belieferte Kunden kommen allerdings nicht in den Genuss dieses Gerichts. Das verbietet unser Qualitätsstandard, auch wenn das ein Lieblingsessen der Kinder ist. Pizza gibt es nur für Cook & Chill-Kunden, die sie vor Ort aufbacken und als Sonderbestellung für Cook & Hold-Kunden. Dann betreiben wir einen extra Aufwand, liefern entweder die Pizza separat zeitnah aus oder bringen einen Ofen vor Ort.

Sie in 3 Worten?

Ansteckend fröhlich, kommunikativ und tatkräftig

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Quelle: B&L MedienGesellschaft

Checklisten #spürbargrün: So wird die Außer-Haus-Gastronomie noch nachhaltiger. (Quelle: Colourbox.de)

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