Temperatur ist der unterschรคtzte Faktor des Kaffeegenusses. Warum heiรŸer Kaffee kein heiรŸer Tipp ist, erklรคrt Dr. Steffen Schwarz.
Quelle: Colourbox.de

Welche Temperatur darf Kaffee haben?

Als Autor fรผr das Fachmagazin Kaffee & Co. widmet sich Dr. Steffen Schwarz, Geschรคftsfรผhrer von Coffee Consulate, in regelmรครŸigen Beitrรคgen Themen rund um das beliebte HeiรŸgetrรคnk. In diesem Beitrag geht es um die richtige Temperatur fรผr Kaffee.

Haptik, das Mundgefรผhl, ist der Teil unserer Wahrnehmung des Geschmacksbildes (Flavour), der wohl am meisten unterschรคtzt wird. Und doch ist er wesentlicher als wir denken. Aber fangen wir ganz vorne an. Unser Problem beginnt bereits in der deutschen Sprache. Schon der Begriff โ€žGeschmackโ€œ ist im Deutschen missverstรคndlich: er bezeichnet zugleich die reine Geschmackswahrnehmung (Gustatorik), sowie das multimodale Empfinden (also die gemeinsame Wahrnehmung von Gustatorik, Olfaktorik und Haptik), sowie ein subjektives Werturteil รผber รคsthetisches, soziales, ethisches oder moralisches Gefallen. Die Einfรผhrung besser differenzierender Begriffe erweist sich daher als hilfreich.

Wenn wir im sensorischen Bereich die multimodale Sinneswahrnehmung als โ€žGeschmacksbildโ€œ bezeichnen, so wie es in der englischen Sprache der Begriff โ€žFlavourโ€œ kann, und die reine Geschmackswahrnehmung als โ€žGeschmackโ€œ im Sinne von โ€žTasteโ€œ auffassen, kรถnnen wir uns schon klarer verstรคndigen.

Die Haptik, die eine mehrheitlich trigeminale Wahrnehmung darstellt (รผber den Nervus trigeminus werden zum Beispiel Berรผhrungsreize, Schmerz- und Temperaturempfindung vermittelt; Anm. d. Red.) und zugleich Temperaturinformationen (heiรŸ, kalt), Schmerzen, Schรคrfe, Menthol oder Viskositรคt vermittelt, kann hรคufig kaum differenziert werden. So kรถnnen Kรคlte und Minze oder auch Hitze und Schรคrfe nur durch zusรคtzliche Informationen unterschieden werden.

Interessant in diesem Zusammenhang ist wieder die Sprache. So bezeichnet das Englische โ€žhotโ€œ zugleich โ€žheiรŸโ€œ als auch โ€žscharfโ€œ. Beide Reize werden รผber dieselben alpha-afferenten Nervenbahnen geleitet und kรถnnen daher nur bei Vorhandensein von ergรคnzenden Informationen unterschieden werden.

Spicy hot vs. thermical hot

Ich erinnere mich an ein wundersames Missverstรคndnis vor vielen Jahren in Indien, als ich mich รผber den Grad der Schรคrfe der angebotenen Speisen informieren wollte (ich hatte ein bevorstehendes Cuptasting wenige Stunden spรคter und wollte daher keine zu scharfen Speisen zu mir nehmen). Mein Fahrer versicherte mir, dass das Essen nicht โ€žhotโ€œ ist. โ€žSir, this is absolutely sure not hot!โ€œ. Ich vertraute auf diese klare Aussage, um mich wenige Minuten spรคter geschmacksblind durch Schรคrfe wiederzufinden. Auf meine Nachfrage hierzu entgegnete mir der verwirrte Fahrer โ€žOh, Sir was talking of spicy hot, not thermical hot. This is very, very spicy but not warm food, Sir.โ€œ

Gedankt sei der englischen Sprache fรผr diese Situation! Zugegeben, auch im Deutschen kรถnnen รคhnliche Missverstรคndnisse durch Homonyme (ein Wort, das fรผr verschiedene Begriffe steht) entstehen. Dennoch liegt im Rรผckblick zwar ein verpasstes Cuptasting, aber ein erheblicher Verstรคndniszugewinn fรผr die allgemeine Sensorik.

Temperaturen beeinflussen Geschmackswahrnehmung

Unsere gesamte Sensorik ist optimiert auf ein Temperaturfeld im Bereich rund um 37ยฐC โ€“ also unserer Kรถrpertemperatur. Bei deutlich hรถheren oder niedrigen Temperaturen verschiebt sich die Geschmackswahrnehmung und nimmt in beiden Fรคllen ab.

Das Phรคnomen kennen wir aus unserer Kindheit, wenn man eine Limonade ins Freibad mitgenommen hatte und diese dann in der Sonne aufgeheizt wurde. Untrinkbar sรผรŸ wurde die klebrige Brรผhe. Hรคtten wir sie weiter erhitzt, wรคre das Empfinden fรผr die SรผรŸe wieder zurรผckgegangen. Dies kรถnnen wir auch gut erkennen, wenn die Limonade abgekรผhlt wird. Aus dem Kรผhlschrank, oder sogar zusรคtzlich mit Eiswรผrfeln, kann diese getrunken werden, ohne das Gefรผhl von zu viel SรผรŸe – obwohl der Zuckergehalt natรผrlich stets der gleiche ist.

Fรผr Kaffee gilt dasselbe. Dies ist auch der Grund, warum man viele Industriekaffees nur unmittelbar heiรŸ gebrรผht trinken kann. Der Anteil an Defekten aus dem Rohkaffee ist so hoch und wurde durch eine tiefe, dunkle, intensive Rรถstung so gut wie mรถglich kaschiert. Solange der Kaffee dann noch heiรŸ ist, รผberwiegt die haptische, thermische Wahrnehmung. Im Abkรผhlen treten dann jedoch die geschmacklichen Eigenschaften des Kaffees hervor und man kann die verschiedenen Defekte (sei es aus dem Rohkaffee oder aus der Rรถstung) auch als Laie als nicht balancierten Nachgeschmack wahrnehmen, den man gerne mit dem zum Kaffee gereichten โ€žTrostkeksโ€œ oral abschaben und hoffentlich bald wieder vergessen kann.

Bitterkeit lรคsst sich auch mit Zucker โ€žschรถnenโ€œ, ungewollte Sรคurespitzen mit Milch oder anderen Proteinquellen ausgleichen – spannend zu verstehen, wie man sich den Kaffee quasi โ€žschรถn trinkenโ€œ kann und einige Anbieter dies noch zur Geschรคftsidee mit vielen Wahlmรถglichkeiten ausgebaut und weiterentwickelt haben.

Ein Spitzenkaffee โ€“ zum Beispiel ein sortenreiner Parzellenkaffee einer einzelnen Varietรคt โ€“ entfaltet erst bei Kรถrpertemperatur sein volles und balanciertes Geschmacksbild. Feine fruchtige Sรคuren, eine natรผrliche SรผรŸe und die volle Aromenvielfalt treten erst im Auskรผhlen hervor.

Es ist auch interessant einmal einen Filterkaffee, Cafรฉ Crรจme oder Espresso mit verschiedenen Temperaturen zuzubereiten und die geschmacklichen Unterschiede unmittelbar miteinander zu vergleichen. Mit zunehmender Temperatur nimmt die Bitterkeit zu und auch die Haptik, die Wahrnehmung fรผr den Kรถrper, steigt an. Umgekehrt wirkt der Kaffee eher leichter und wรคssrig bei abnehmenden Temperaturen, bei denen die Bitterkeit sinkt, jedoch die Wahrnehmung der Sรคuren zunimmt.

Neben den geschmacklichen Einflรผssen besteht bei zu hohen Temperaturen ein nachweislich zunehmendes gesundheitliches Risiko in Bezug auf die Auslรถsung von Tumoren der Speiserรถhre durch thermische Einflรผsse.

Mit Temperaturen tricksen

Es lohnt sich also bei allen Zubereitungsarten einmal genau hinzuschmecken und den Kaffee mit verschiedenen Temperaturen zuzubereiten. Sie werden erstaunt sein, wie hรคufig sich damit ein erheblich besseres Geschmacksbild in der Tasse erzielen lรคsst. Ein kleiner Trick, der wenig kostet (vielleicht sogar Energie spart) und eine erhebliche Wirkung auf den Geschmack in der Tasse und damit auf den Verkauf des Kaffees besitzt.

Die Unterschiede in der Tasse lassen sich รผbrigens sehr leicht erklรคren und auch messtechnisch im Labor, zum Beispiel mittels Gaschromatographie oder NMR, nachweisen. Die Extraktionskurve von kalt extrahiertem Kaffee entspricht genau der eines mit heiรŸem Wasser extrahierten Kaffees โ€“ lediglich sind fettlรถsliche Bestandteile reduziert. Ein kรคlter gebrรผhter Kaffee lรถst also weniger lipophile Bestandteile aus dem Kaffee heraus und besitzt damit ein reduziertes Abbild der Extraktionskurve eines heiรŸ gebrรผhten Kaffees. Der heiรŸ gebrรผhte Kaffee erhรคlt dem entgegen alle lรถslichen Bestandteile.

Da es sich bei den lipophilen Bestandteilen nicht ausschlieรŸlich um erwรผnschte Anteile des Kaffees handeln muss, ist klar, dass eine Temperaturreduktion ein positives Ergebnis auf die Tasse und das Geschmacksbild des Kaffees haben kann.

Bewusst hinschmecken

Dies erklรคrt auch die vรถllig andere geschmackliche Dimension von Cold Brew. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass โ€žCold Brewโ€œ kein Getrรคnk, sondern ein Extraktionsverfahren ist, das sowohl als Mazeration (Cold Leach), als Filtration (Cold Drip) oder als Druckverfahren (Cold Press) ausgefรผhrt werden kann โ€“ selbstverstรคndlich mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen.

In allen Fรคllen besteht gegenรผber den warmen oder heiรŸen Extraktionen eine verminderte Auslรถsung von fettlรถslichen Bestandteilen. Hรคufig entstehen diese aus tieferen, dunkleren Rรถstungen oder auch aus Abbauprodukten von Kaffeedefekten, weshalb sich industriell gerรถsteter Kaffee weitgehend unbrauchbar fรผr die Herstellung eines wohlschmeckenden und balancierten Cold Brews erweist.

Wichtig ist im Zusammenhang mit der Temperatur der Extraktion und der Temperatur des Getrรคnkes auch noch die Form und die Materialbeschaffenheit des TrinkgefรครŸes. Auch hierbei empfiehlt sich ein kurzer Selbsttest mit ein paar verschiedenen Tassen und auch Glรคsern. Je heiรŸer das Getrรคnk ist, desto flรผchtiger, also volatiler, sind die Aromen und ein entsprechendes GefรครŸ, das in der Lage ist, diese besser zu halten, bietet ein daher vรถllig anderes Geschmacksbild.

Es lohnt sich also, einmal bewusst hinzuschmecken, den Kaffeegenuss zu verbessern und vielleicht dabei sogar neue hochwertige Kaffees zu entdecken und bewusste Genussmomente jenseits von thermischen Schmerzen zu suchen.

Quelle: Dr. Steffen Schwarz, B&L MedienGesellschaft

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