Sarah Wiener widmet sich mit ihrer Stiftung seit 18 Jahren der Ernรคhrungsbildung von Kindern: Wir haben mit ihr einen Blick auf ihre Motivation und ihr Tun geworfen.
Quelle: Photothek

Sarah Wiener im Interview: Ernรคhrungsbildung fรผr Kinder

Mehr als 1,7 Millionen Kinder hat die Sarah Wiener Stiftung bis heute mit ihrer Initiative โ€žIch kann kochen!โ€œ erreicht โ€“ 19 Prozent der Grundschulen und 14 Prozent der Kitas in ganz Deutschland sind dabei.

Wie es zu der Grรผndung kam, welchen Stellenwert Ernรคhrungsbildung im Alltag von Kitas und Schulen hat bzw. haben sollte und warum โ€“ hat die bekannte Kรถchin Sarah Wiener im Interview mit Schulverpflegung berichtet. 

Sarah Wiener Stiftung steht fรผr Ernรคhrungsbildung in Kitas und Schulen

Ein einziges Erlebnis gab es nicht โ€“ das zur Grรผndung der Sarah Wiener Stiftung fรผhrte. โ€žIch habe damals Kinder getroffen, die nicht wussten, wie eine Zucchini aussieht oder woher Milch kommt, aber alle groรŸen Fastfood-Marken aus dem Effeff beherrschtenโ€œ, berichtet Sarah Wiener. โ€žSie selbst habe festgestellt, dass auch sie als Kรถchin im Grunde keine Ahnung hat, wie industriell verarbeitete Nahrungsmittel hergestellt werden und wie viel Manipulation nรถtig ist, um ein gleichmรครŸiges, haltbares, ewig gleichschmeckendes Nahrungsmittel herzustellen. โ€žDas hat mich schon irritiertโ€œ, blickt die 62-Jรคhrige zurรผck.

Viele Kinder wรผrden heutzutage ohne jede Verbindung zu Lebensmitteln aufwachsen โ€“ und ohne grundlegende Alltagskompetenzen wie Kochen. โ€žUnd ich wollte nicht nur kritisieren, sondern etwas Hilfreiches machen. Daraus entstand die Idee zur Sarah Wiener Stiftung, die ich mit guten Freunden wie Alfred Biolek gegrรผndet habeโ€œ.

Frau Wiener, wie sollte gute Kita- bzw. Schulverpflegung aussehen?

Gute Kita- und Schulverpflegung braucht im Idealfall natรผrlich auch finanzielle Unterstรผtzung, engagierte, gute Kรถchinnen und Kรถche und die Mรถglichkeit, vor Ort zu kochen. Am besten frisch, schmackhaft und vielfรคltig โ€“ und im Idealfall auch mit ernstzunehmenden Feedback der Kinder.

Ich wรผnsche mir eine Kรผche, in der nicht nur fรผr Kinder, sondern auch mit ihnen gekocht wird. Keinen lieblosen industriell hergestellten BilligfraรŸ. Die Kinder sollen wissen, wer ihr Essen gekocht hat, am besten auch, wo die Lebensmittel herkommen. Aber die Realitรคt ist so bunt wie das Essen. Es gibt groรŸe Unterschiede zwischen Caterern, zwischen Kรถchen und selbst der Mรถglichkeit, in Ruhe in angenehmer Atmosphรคre zu essen. An manchen Schulen hat man gerade mal 15 Minuten Zeit zum Essen. Da hilft dann auch das beste Essen nichts.

Was ich kochen wรผrde? Meine Gรผte… Jeden Tag etwas anderes. Ich denke, ich wรผrde jedoch viel mehr verschiedene Krรคuter, ร–le, Samen und Nรผsse anbieten. Der Pfeffer wรผrde aus einer Mรผhle kommen und das Salz wรคre unverarbeitet. Und es gรคbe definitiv nirgends eine H-Milch oder die โ€žlรคnger haltbare Milchโ€œ. Qualitรคt und Achtsamkeit fรคngt im Kleinen, Normalen an, zum Beispiel auch beim guten Vollkornbrot.

Was war bzw. ist das Hauptziel Ihrer Arbeit mit der Sarah Wiener Stiftung?

Unser Ziel: Dass jedes Kind weiรŸ, was es isst, selber kochen kann und daher in spรคteren Jahren eine gute Entscheidung fรผr sich selber treffen kann. Unabhรคngig von der sozialen Herkunft und der sehr unterschiedlichen Ess-Situation zuhause. Das erreichen wir, indem so viele Kinder wie mรถglich mit allen Sinnen, Freude und Genuss in ihren Einrichtungen, in Familienzentren und auch zuhause Lebensmittel entdecken und erleben, was man alles Kรถstliches daraus zubereiten kann. Kinder sollen nicht belehrt, sondern begeistert werden.

Mit unserer Stiftung vermitteln wir nicht nur die Praxis und das Wissen รผber natรผrliche, gesunde Ernรคhrung, sondern fรถrdern auch Selbstwirksamkeit und soziales Miteinander. Wenn ein Kind selbst Gemรผse schneidet und probiert, verรคndert sich sein Verhรคltnis zum Essen.

Warum ist Ernรคhrungsbildung im Kontext Kita bzw. Schule in Ihren Augen essenziell? 

Weil dort alle Kinder erreicht werden โ€“ unabhรคngig von Herkunft und Hintergrund der Eltern. Kita und Schule sind Lernorte fรผrs Leben. Ernรคhrung ist ein Grundstein fรผr unsere Existenz. Gemeinsames Kochen fรถrdert die Zusammengehรถrigkeit, die Kreativitรคt und Werte wie Teilen, Verantwortung, Disziplin und Durchhaltevermรถgen. Eine Nudel braucht eben so lang wie sie braucht, um weich zu werden. Alle Kinder lieben das Praktische und da kann jeder Erfolg haben. Auch diejenigen, die sonst eher Mรผhe im Schulalltag empfinden.

Die bekannte Kรถchin Sarah Wiener grรผndete vor 18 Jahren die Sarah Wiener Stiftung, um Kindern Lebensmittel und Kochen nรคher zu bringen.
(Quelle: Sarah Wiener Stiftung/Thomas Panzau)

โ€žUnser Ziel ist, dass jedes Kind weiรŸ, was es isst, selber kochen kann und daher in spรคteren Jahren eine gute Entscheidung fรผr sich selber treffen kann.โ€œ

Sarah Wiener

Warum glauben Sie, scheitert die Einbindung des Themas hรคufig im Kita-/Schulalltag?

Leider wird das Thema oft vernachlรคssigt: zu wenig Zeit, zu wenig Personal, kein Geld, wenig Wertschรคtzung. Wir setzen genau da an: mit Fortbildungen und Hilfestellung fรผr pรคdagogische Fachkrรคfte und alltagstauglichen Bildungsangeboten fรผr Pรคdagogen und andere Fachkrรคfte, die mit Kindern arbeiten.

Wie hat sich der Fokus Ihrer Stiftungsarbeit seit Grรผndung gewandelt? Wie viel โ€žRaumโ€œ nimmt beispielsweise die Thematik Nachhaltigkeit in Ihrem Wirken ein?

Wir waren schon immer nachhaltig. Gute, gesunde, vielfรคltige und frische Ernรคhrung ist vernรผnftig. Und genau das, wofรผr wir Menschen als Teil der Natur von der Schรถpfung gemacht und gedacht sind. Das ist keine Modeerscheinung, sondern die Voraussetzung fรผr ein gelingendes Leben.

Wir sind zudem ausgezeichneter BNE-Akteur. Wir sprechen รผber Saisonalitรคt, Regionalitรคt, Lebensmittelverschwendung und die Wertschรถpfungskette. Ernรคhrung betrifft viele Lebensbereiche: unsere Gesundheit, unsere Umwelt und das Miteinander. Das machen wir in unseren Angeboten erlebbar. Nachhaltigkeit ist ein fester, aber unaufgeregter Bestandteil all unserer Bildungsangebote โ€“ natรผrlich immer altersgerecht und praktisch vermittelt.

Was waren fรผr Sie herausragende Meilensteine in den letzten 18 Jahren? Worauf blicken Sie mit besonderem Stolz zurรผck?

Ein riesiger Meilenstein war sicher die Grรผndung unserer Initiative โ€žIch kann kochen!โ€œ im Jahr 2015 โ€“ gemeinsam mit der Barmer. Wir wollten innerhalb von fรผnf Jahren eine Million Kinder erreichen. Und wir haben es geschafft! Heute ist โ€žIch kann kochen!โ€œ die grรถรŸte bundesweite Initiative fรผr praktische Ernรคhrungsbildung von Kita- und Grundschulkindern. Darauf sind die Barmer und alle in der Stiftung sehr stolz. Vor allem, weil wir sehen, wie viel sich dadurch bei den Kindern bewegt โ€“ in ihren Kรถpfen und auf ihren Tellern.

Das ist auch wissenschaftlich evaluiert worden. Die dazugehรถrige Plattform โ€žFamilienkรผcheโ€œ, die wir seit 2021 auch mit der Barmer anbieten, richtet sich vor allem an Eltern, GroรŸeltern, Familien. Und mit unserem relativ jungen Angebot fรผr Familienzentren erreichen wir Kinder und Familien noch mal an einem anderen, sehr nachbarschaftlichen Ort. Ich halte aber alle unsere Programme fรผr sehr wichtig. So vielfรคltig sie auch sind. 

Welchen Beitrag leistet die Initiative fรผr die gesunde Ernรคhrung von Kindern? Wie wichtig ist die Begleitung durch Erwachsene dabei, wie wichtig die praktische Ernรคhrungsbildung? 

โ€žIch kann kochen!โ€œ vermittelt Kindern vor allem praktische Erfahrungen: schneiden, rรผhren, schmecken, probieren. Und dann natรผrlich: das eigene Werk mit anderen zu verspeisen und zu genieรŸen! Zum einen essen und mรถgen Kinder eher, was sie selbst zubereitet haben. Partizipation und Freude stehen dabei im Vordergrund โ€“ nicht Verbote oder erhobene Zeigefinger. Zum anderen wird in der Kindheit die Basis auch fรผr das spรคtere Essverhalten gelegt. Deswegen ist es so wichtig, diesen Moment zu nutzen und Kinder dabei intuitiv zu unterstรผtzen, ein gesundheitsfรถrderliches Essverhalten auszubilden. 

Leider gibt es immer mehr ernรคhrungsmitbedingte Krankheiten wie Adipositas oder Diabetes Typ 2. Wir alle wissen: Im Erwachsenenalter sein Essverhalten zu verรคndern, ist sehr viel schwieriger. Erwachsene sind wichtige Vorbilder fรผr Kinder. Besonders diejenigen, die jeden Tag das Kind sehen, unterrichten, mit ihnen spielen. In unseren Fortbildungen erfahren sie, wie sie Kindern einen ganz niedrigschwelligen Zugang zum Kochen bieten, der auch im fordernden pรคdagogischen Alltag von Kitas und Schulen gut umgesetzt werden kann. Die Kinder lieben es. Und ich denke, viele Pรคdagogen auch. 

Wie wollen Sie Ihre Arbeit noch weiterdenken? 

Im Sommer ziehen wir in unser neues Bรผroin Berlin-Kreuzberg โ€“ mit einer groรŸen Kรผche als Herzstรผck. Natรผrlich haben wir schon wieder eine Menge neuer Ideen und Plรคne, aber ich rede immer erst gerne darรผber, wenn das โ€žKindchenโ€œ dann auch auf der Welt ist.ย 

Wenn Sie kรถnnten, wie wรผrden Sie Kita- und Schulverpflegung verรคndern? 

Aus meiner Sicht wรคre es wรผnschenswert, wenn es fรผr Caterer, Kรถche sowie Hauswirtschaftskrรคfte leichter mรถglich wรคre, sowohl den Anforderungen der Qualitรคtsstandards als auch den Bedรผrfnissen der Kinder gerecht zu werden. In der Praxis beobachte ich immer wieder, dass beides nicht immer zusammenpasst: Obwohl das Essen den Standards entspricht, kommt es bei den Kindern nicht so gut an โ€“ vieles bleibt auf den Tellern oder wird weggeschmissen. Dabei ist klar: Kinder mรผssen Essen erst lernen. Deswegen wรผrde ich Kindern nicht die Gewalthoheit รผber den Speiseplan รผberlassen, sie mรผssen รถfter in Berรผhrung mit einem Lebensmittel kommen und sie probieren eher, wenn sie selbst beteiligt waren. Aber wir alle wollen Speisen essen, die uns schmecken. Deshalb fรคnde ich es gut, wenn Ernรคhrungsbildung nicht nur im Lehrplan und in der pรคdagogischen Ausbildung fest verankert wรคre, sondern auch in der Ausbildung von Kรถchen und Hauswirtschaftskrรคften โ€“ als selbstverstรคndlicher Teil von Bildung. Ich wรผrde ein Ernรคhrungsmodul auch verpflichtend fรผr alle ร„rzte in der Ausbildung anregen. Es gibt also noch eine Menge zu tun. 

Herzlichen Dank fรผr das Gesprรคch!

Zur Person: Sarah Wiener

  • Alter: 62 Jahre
  • Berufliche Berรผhrungspunkte mit dem Thema Schulverpflegung seit: 2007 โ€“ Grรผndung der Sarah Wiener Stiftung
  • Werdegang: Sarah Wiener ist Stiftungsvorsitzende der Sarah Wiener Stiftung und eine bekannte Fernsehkรถchin, Unternehmerin sowie Autorin. Sie war Mitglied des Europรคischen Parlaments fรผr die Grรผnen in ร–sterreich und setzt sich seit Jahrzehnten fรผr gesunde Ernรคhrung und รถkologische Landwirtschaft ein.
  • Vervollstรคndigen Sie den Satz: โ€žKita- und Schulverpflegung sind mir wichtig, weilโ€ฆ wir alle essen mรผssen und wollen. Kinder sind besonders schutzbedรผrftig und brauchen ein starkes, solides Fundament fรผr den Rest ihres Lebens. Ermรถglichen wir so vielen Kindern wie es geht eine lebenswerte, gesunde Zukunft!โ€œ

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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